Bosnien und Herzegowina, Republik Srpska Vergewaltigungsopfer warten auf Gerechtigkeit

Medienmitteilung vom 31. Oktober 2012. London/Zürich. Medienkontakt
Bis heute haben die Behörden der Republik Srpska in Bosnien und Herzegowina den vollen Umfang der sexuellen Gewalt gegen Frauen im Krieg der frühen 1990er nicht anerkannt. Amnesty International fordert deshalb, dass die Republik Srpska per Gesetz garantiert, dass Überlebende von Kriegsvergewaltigungen entschädigt werden.

Untätigkeit der Behörden und die Tabuisierung in der Gesellschaft macht es für Tausende vergewaltigter Frauen bis heute schwer, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Ohne offenen Diskurs und eine angemessene Entschädigung geht ihr Leid weiter. Das zeigt der heute veröffentlichte Kurzbericht von Amnesty International, der vor allem das systematische Todschweigen der Kriegsvergewaltigungen zwischen 1992 und 1995 anprangert und Einblick in die aktuelle Situation der überlebenden Frauen gibt.

Stella Jegher, Frauenrechts-Expertin bei Amnesty International Schweiz, ist überzeugt, dass die Tabuisierung von Kriegsvergewaltigungen - einem international anerkannten Kriegsverbrechen - für die Überlebenden verheerend ist. Behörden und Medien würden so bis heute kategorisch das Leid eines Teils der Bevölkerung ignorieren.

Seit Beginn des Krieges hat Amnesty International die Aussagen vieler Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, gesammelt. Darunter sind Berichte über oftmals systematische und wiederholte Vergewaltigungen. Zudem berichten Frauen, dass sie als Sexsklavinnen gehalten wurden. Soweit Amnesty International bekannt ist, haben die Behörden der Republik Srpska niemals systematisch Daten über die betroffenen Frauen gesammelt. Dies wäre aber ein notwendiger erster Schritt, um das Ausmass des Problems zu erfassen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen.

Viele der Frauen leiden heute noch unter posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen psychischen Spätfolgen. Gefühle der Unsicherheit und Scham, Selbstvorwürfe, Depression, Gedächtnislücken, Konzentrationsstörungen, Albträume, Angstzustände oder auch ein allgemeines Misstrauen gegenüber den Mitmenschen gehören zu ihrem Alltag. «Die Behörden der Republik Srpska müssen zunächst einmal laut und deutlich klarstellen, dass während des Krieges Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalttaten begangen wurden», so Jegher. «Nur so kann ein Umfeld geschaffen werden, in dem eine öffentliche Debatte über das Thema entsteht und es den Betroffenen möglich wird, über das Erlebte zu reden und Entschädigung zu fordern.»

Laut aktueller Gesetzeslage der Republik Srpska stehen zwar Überlebende von Folter, Körperverletzung, Vergewaltigung und anderen im Krieg verübten Verbrechen unter besonderen Schutz, wenn die körperliche Beeinträchtigung 60 Prozent und mehr beträgt. In diesen Fällen erhalten die Betroffenen auch Sozialleistungen. Allerdings werden psychische Schäden bislang nicht berücksichtigt, psychologische Behandlungskosten sind folglich nicht gedeckt. Zudem ist die Antragsfrist abgelaufen, um unter diesen Schutz gestellt zu werden. Dadurch bleibt vielen im Krieg vergewaltigten Opfern der Zugang zu dieser Unterstützung versagt. Hier sieht Amnesty International dringenden Handlungsbedarf: «Um die Opfer von Kriegsvergewaltigungen zu entschädigen, muss die Republik Srpska das Gesetz nachbessern. Es muss eine eigene Kategorie für Betroffene von Vergewaltigungen oder anderen Formen von sexueller Gewalt geschaffen werden, die nicht ausschliesslich auf körperliche Schäden abstellt. Zudem muss die die Antragsfrist wieder geöffnet wird», so Jegher.