Im Februar 2020 verhafteten die deutsche und französische Polizei die ehemaligen syrischen Geheimdienstmitarbeiter Anwar Raslan und Eyad al-Gharib. In einem Prozess, der im April 2020 begann, wurden sie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit der Folter von Gefangenen in der Abteilung 251 des Geheimdienstes angeklagt. Am 24. Februar 2021 wurde Eyad al-Gharib wegen seiner Rolle bei der Folter von inhaftierten Demonstrant*innen zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt.
Am 13. Januar 2022 erging nun das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz gegen Anwar Raslan: Lebenslänglich. «Das heutige Urteil ist ein historischer Sieg. Es verschafft den Stimmen zehntausender Überlebender von unrechtmässiger Inhaftierung, Folter und sexualisierter Gewalt sowie den Stimmen der Familien, deren Angehörige in syrischen Gefängnissen und Verhörzentren gestorben sind, Gehör», sagt Lynn Malouf, stellvertretende Direktorin von Amnesty International für den Nahen Osten und Nordafrika. «Insbesondere wird in diesem Urteil auch der systematische Charakter von sexualisierter Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne diejenigen, die es gewagt haben, ihre Geschichten zu erzählen, ohne die Akteur*innen der syrischen Zivilgesellschaft und ohne die Menschenrechtsorganisationen und Jurist*innen, die sich über die Jahre hinweg beharrlich für Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung eingesetzt haben.»
«Staaten auf der ganzen Welt müssen dem Beispiel Deutschlands folgen und ähnliche Verfahren gegen Personen einleiten, die verdächtigt werden, Verbrechen nach internationalem Recht begangen zu haben.»
Lynn Malouf weiter: «Anwar Raslans Verurteilung ist eine Mahnung an die syrische Regierung und an alle, die ungestraft Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben: der Gerechtigkeit kann Genüge getan werden. Staaten auf der ganzen Welt müssen dem Beispiel Deutschlands folgen und ähnliche Verfahren gegen Personen einleiten, die verdächtigt werden, Verbrechen nach internationalem Recht begangen zu haben. Da eine innerstaatliche Strafverfolgung in Syrien undenkbar ist und keine Möglichkeit besteht, Fälle an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen, ist die universelle Gerichtsbarkeit der einzige Weg, um Gerechtigkeit zu erreichen.»
Hintergrund
Überlebende, syrische Aktivist*innen und Nichtregierungsorganisationen haben erfolgreich darauf hingewirkt, schwerste Verbrechen unter der Regierung von Bashar al-Assad in einem Gerichtsprozess aufzuklären.
Der Prozess gegen Anwar Raslan und Eyad al-Gharib vor dem Oberlandesgericht Koblenz begann am 23. April 2020. Das Verfahren gegen Eyad al-Gharib wurde getrennt verhandelt. Er wurde bereits am 24. Februar 2021 wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Strukturermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts und die Beweiserhebung vor dem Oberlandesgericht Koblenz sind wertvoll für den nächsten Prozess zu Syrien auf der Basis der universellen Gerichtsbarkeit. Dieser beginnt am 19. Januar 2022 gegen den syrischen Arzt Aala M. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt.
Das Gericht in Koblenz hat eindeutig und formal die unmenschlichen Haftbedingungen, systematische Folter, sexualisierte Gewalt und Tötungen in Syrien festgestellt. Amnesty International erwartet, dass in Deutschland und in weiteren Staaten auf diesen Erkenntnissen aufbauend weitere Prozesse nach dem Weltrechtsprinzip anstrengt werden.