Die Fussballspielerinnen des Kollektivs «Les Hijabeuses» setzen sich für die Abschaffung des Hijab-Verbots im französischen Fussball ein. © Catalina Martin-Chico/Panos Pictures
Die Fussballspielerinnen des Kollektivs «Les Hijabeuses» setzen sich für die Abschaffung des Hijab-Verbots im französischen Fussball ein. © Catalina Martin-Chico/Panos Pictures

Frankreich Kopftuchverbot für französische Sportlerinnen bei Olympia verstösst gegen Völkerrecht und IOK-Regeln

Medienmitteilung 16. Juli 2024, London/Bern – Medienkontakt
Die Regel, dass französische Sportlerinnen bei den Olympischen Spielen kein Kopftuch tragen dürfen, verstösst gegen internationale Menschenrechtsnormen. Sie offenbart eine diskriminierende Doppelmoral seitens der französischen Behörden und entlarvt die feige Position des Internationalen Olympischen Komitees (IOK). Dies geht aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor.

Der englischsprachige Bericht mit dem Titel «We can’t breathe anymore. Even sports, we can’t do them anymore: Violations of Muslim women’s and girls’ human rights through hijab bans in sports in France» zeigt auf, dass das Kopftuchverbot für muslimische Frauen und Mädchen in Frankreich auf allen Ebenen des Sports verheerend ist.

«Die Behauptung, dass bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 zum ersten Mal Gleichberechtigung herrsche, wird durch das Kopftuchverbot für französische Sportlerinnen widerlegt. Das Verbot deckt zudem eine auf rassistische und geschlechtsspezifische Diskriminierung auf, die muslimischen Frauen und Mädchen den Zugang zum Sport verbaut», sagt Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz.

«Politiker*innen dürfen Frauen weder vorschreiben, was sie anziehen sollen und was nicht, noch sollten Frauen gezwungen werden, sich zwischen dem von ihnen geliebten Sport und ihrem Glauben oder ihrer kulturellen Identität zu entscheiden.» Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz

Diskriminierende Kleidungsvorschriften verletzen die Menschenrechte von muslimischen Frauen und Mädchen, haben verheerende Auswirkungen auf ihre Teilnahmemöglichkeiten im Sport und blockieren die Bemühungen, den Sport für alle zugänglich zu machen.

«Politiker*innen dürfen Frauen weder vorschreiben, was sie anziehen sollen und was nicht, noch sollten Frauen gezwungen werden, sich zwischen dem von ihnen geliebten Sport und ihrem Glauben oder ihrer kulturellen Identität zu entscheiden», sagt Lisa Salza. «Die französischen Behörden, Sportverbände und das IOK sollten mit sofortiger Wirkung alle Verbote für das Tragen des Hijabs im französischen Sport aufheben, sowohl bei den Olympischen Sommerspielen als auch bei allen anderen Sportanlässen.»

Verstoss gegen die Menschenrechtsbestimmungen des IOK

In Frankreich ist das Tragen eines Kopftuchs in mehreren Sportarten nicht erlaubt. Dies schafft eine untragbare Situation, in der das Gastgeberland der Olympischen Spiele nicht nur gegen mehrere international verankerte Menschenrechtsverpflichtungen verstösst, sondern auch den Verpflichtungen und Werten aus den Menschenrechtsbestimmungen des IOK zuwiderhandelt. Trotz wiederholter Aufforderungen seitens der Zivilgesellschaft hat sich das IOK bisher geweigert, auf die französischen Sportbehörden einzuwirken, damit sie das Kopftuchverbot bei den Olympischen Spielen und auf allen sportlichen Ebenen aufheben. Das IOK antwortete einem Schreiben einer Koalition von Organisationen,  darunter auch Amnesty International, dass das französische Verbot von Hijabs im Sport nicht in den Zuständigkeitsbereich der olympischen Bewegung falle, da die Religionsfreiheit von den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich ausgelegt werde. In der Antwort des IOC wurden andere Rechte, gegen die das Verbot verstösst, wie das Recht auf freie Meinungsäusserung, nicht erwähnt.

Das von Frankreich erlassene Kopftuchverbot bei Sportwettkämpfen widerspricht den Bekleidungsregeln internationaler Organisationen.

Das von Frankreich erlassene Kopftuchverbot bei Sportwettkämpfen widerspricht den Bekleidungsregeln internationaler Organisationen wie dem Weltfussballverband FIFA, dem Weltbasketballverband FIBA und dem Weltvolleyballverband FIVB. Amnesty International hat die Regelungen in 38 europäischen Ländern begutachtet und festgestellt, dass Frankreich das einzige Land ist, das religiöse Kopfbedeckungen entweder durch landesweite Gesetze oder individuelle Sportregeln verbietet.

Die Basketballspielerin Hélène Bâ sagte Amnesty International, dass das Kopftuchverbot bei den Olympischen Spielen ein eindeutiger Verstoss gegen die Olympische Charta sowie die Werte und Regelungen von Olympia sei, der die Grundrechte und -freiheiten der Sportlerinnen beschneidet. «Ich denke, es wird ein Moment der Schande für Frankreich werden», sagte Hélène Bâ.

Hijab-Verbote auch auf Amateurebene

In Frankreich geht das Verbot für muslimische Frauen, jegliche Form von religiöser Kopfbedeckung zu tragen, weit über die Olympischen und Paralympischen Spiele hinaus. In mehreren Sportarten wie Fussball, Basketball und Volleyball ist das Tragen des Hijabs sowohl auf Profi- als auch auf Amateurebene verboten. Diese von den Sportverbänden verhängten Verbote bedeuten, dass viele muslimische Frauen und Mädchen nicht nur von der Teilnahme am Sport ausgeschlossen sind, sondern auch nie die notwendigen Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten erhalten, um olympisches Niveau zu erreichen.

Die französischen Verbote bringen Demütigung, Trauma und Ängste mit sich und haben dazu geführt, dass viele Frauen und Mädchen ihren Sport aufgeben oder versuchen, diesen in einem anderen Land auszuüben. Wenn muslimische Frauen und Mädchen daran gehindert werden, ungehindert Sport zu treiben, sei es in der Freizeit oder als Beruf, kann dies verheerende Auswirkungen auf alle Aspekte ihres Lebens haben, auch auf ihre geistige und körperliche Gesundheit.

Gemäss dem Völkerrecht ist die staatliche Neutralität bzw. das Laizitätsprinzip, also die Trennung von Staat und Religion, kein legitimer Grund für Einschränkungen der Meinungs- und/oder Religionsfreiheit. Doch seit einigen Jahren instrumentalisieren die französischen Behörden diese Begriffe, um die Verabschiedung von Gesetzen und politischen Massnahmen zu rechtfertigen, die muslimische Frauen und Mädchen unverhältnismässig stark betreffen. Dem vorangegangen ist eine seit 20 Jahren währende unerbittliche Kampagne von Gesetzen und Vorschriften bezüglich der Kleidung muslimischer Frauen und Mädchen in Frankreich, die auf Vorurteilen, Rassismus und geschlechtsspezifischer Islamfeindlichkeit beruht.