Im Prozess gegen die beiden Seenotretter*innen Sarah Mardini und Seán Binder hat das Berufungsgericht von Mytilini aufgrund von Verfahrensmängeln, wie der fehlenden Übersetzung der Anklageschrift, die Anklage zurück an die Staatsanwaltschaft verwiesen. Nils Muižnieks, Direktor für Europa bei Amnesty International, reagierte auf diese Nachricht:
«Die Entscheidung verschafft den Behörden erneut die Möglichkeit, diese Tortur zu beenden und ihre eigenen Fehler zu korrigieren, indem sie alle Anklagepunkte fallen lassen, insbesondere die schwerwiegenden Anklagen wegen Straftaten, die noch auf die beiden zukommen. Die vom Gericht vorgebrachten Verfahrensmängel unterstreichen das absurde Vorgehen der griechischen Behörden gegen Menschen, die sich für die Rechte von Migrant*innen und Geflüchteten einsetzen.
Wir fordern die griechischen Behörden erneut auf, alle Anklagepunkte gegen Sarah und Seán fallen zu lassen. Die Kriminalisierung dieser mutigen Menschenrechtsverteidiger*innen, nur weil sie Geflüchteten und Migrant*innen in Not geholfen haben, steht stellvertretend für das gefühllose Verhalten Griechenlands und Europas gegenüber den Menschen, die an ihren Grenzen Sicherheit suchen.
Seit Beginn dieses absurden Verfahrens, das das Leben von Sarah und Seán durch die ständige Ungewissheit auf Eis gelegt hat, sind über vier Jahre vergangen. Die andauernde strafrechtliche Verfolgung und die unbegründeten Anklagen wegen Straftaten, zu denen noch Ermittlungen hängig sind, geben Anlass zu ernsten Bedenken hinsichtlich der wahren Absichten der Behörden. Dieser Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Strafrechtssystem durch die Behörden missbraucht werden kann, um Menschenrechtler*innen für ihre Arbeit zu bestrafen oder sie abzuschrecken.»
Hintergrund
Die Anklageschrift wird nun an die Staatsanwaltschaft zurückgeschickt. Für Sarah Mardini und Seán Binder läuft die Verjährungsfrist für die verbleibenden Anklagen wegen Ordnungswidrigkeiten im Februar 2023 ab. Die Ermittlungen gegen die Seenotretter*innen wegen Beihilfe zur illegalen Einreise, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Betrug sind allerdings noch nicht abgeschlossen.