Auf den Strassen vor dem Obergericht in London hatten sich am 28. und 29. Oktober zahlreiche Menschen versammelt. «Free Assange«, riefen sie immer wieder. Wie Amnesty International forderten auch sie lauthals die Freilassung des Wikileaks-Gründers, der sich abermals vor Gericht verantworten musste.
Die Vereinigten Staaten fochten die Entscheidung eines britischen Gerichtes vom Januar an, welches eine Auflieferung aufgrund Assanges angegriffener psychischer Gesundheit und die zu erwartenden Haftbedingungen in den USA abgelehnt hatte.
Assange blieb dem Berufungsverfahren wegen Gesundheitsproblemen fern. Der gebürtige Australier sitzt seit mehr als zwei Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh.
Vorgeworfen wird Assange, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Die US-Justiz will Assange in den USA wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Julian Assange ist der erste Publizist, der sich wegen Anklagen unter dem Spionagegesetz verantworten muss. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 175 Jahre Gefängnis.
Assange drohen schwere Menschenrechtsverletzungen
Amnesty International forderte die US-Behörden im Vorfeld der Verhandlungen in London erneut auf, die Anklage fallenzulassen. An die britischen Behörden appellierte die Menschenrechtsorganisation, Julian Assange nicht auszuliefern, sondern ihn sofort freizulassen.
Der Aufruf folgte auf eine Recherche von Yahoo News, aus der hervorging, dass US-Geheimdienste offenbar eine Entführung oder Tötung von Julian Assange in Erwägung zogen, als er sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhielt. Diese Berichte schwächen die ohnehin schon unzuverlässigen diplomatischen Zusicherungen der USA, dass Assange im Falle einer Auslieferung nicht unter missbräuchlichen Bedingungen untergebracht werde.
«Die Zusicherungen der US-Regierung, Julian Assange nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis zu inhaftieren oder ihn missbräuchlichen Sonderverwaltungsmassnahmen zu unterwerfen, werden dadurch entkräftet, dass sie sich das Recht vorbehält, diese Garantien zu widerrufen», sagt Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.
Amnesty International fürchtet, dass Assange schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, wie Folter und verlängerte Einzelhaft.
Folgen für Meinungsfreiheit weltweit
«Es ist untragbar, dass praktisch niemand für mutmassliche US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak zur Rechenschaft gezogen wurde, während einem Publizisten, der solche Verbrechen aufgedeckt hat, eine lebenslange Haftstrafe droht», sagt Callamard.
«Die unerbittliche Verfolgung von Julian Assange durch die US-Regierung geht weit über das Schicksal eines einzelnen Mannes hinaus und gefährdet die Medien- und Meinungsfreiheit», sagt Agnès Callamard. Die Veröffentlichung von Informationen, die im öffentlichen Interesse liegen, ist ein Eckpfeiler der Medienfreiheit und des Rechts der Öffentlichkeit auf Informationen über staatliches Fehlverhalten. Die Anklage der US-Regierung stellt eine ernste Bedrohung für die Pressefreiheit dar.
Eine Auslieferung von Assange würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen: Journalist*innen, die staatliches Fehlverhalten aufdecken, könnten in den USA und weiteren Ländern vermehrt kriminalisiert und verfolgt werden, warnt Callamard.