Kelly Mackey auf einer Podiumsdiskussion in Bern. © Amnesty International
Kelly Mackey auf einer Podiumsdiskussion in Bern. © Amnesty International

Schwangerschaftsabbruch in Irland «Im Stich gelassen»

Bern, 8. März 2015
Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, gelten im tief katholischen Irland als Kriminelle. Kelly Mackey, Kampagnenleiterin in der irischen Sektion von Amnesty International, kämpft in ihrer Heimat für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Im Interview erklärt sie, warum.

In Irland herrscht ein rigoroses Abtreibungsrecht. Sobald eine Eizelle befruchtet ist, gilt sie als irischer Staatsbürger mit allen Rechten, …

… dessen Leben es unbedingt zu schützen gilt! Das Recht ist in meiner Heimat tatsächlich unglaublich streng. Selbst eine Minderjährige, die von ihrem Vater vergewaltigt wurde, ist in Irland per Gesetz gezwungen, das Kind auszutragen. Das gleiche gilt für Frauen, die durch die Schwangerschaft schwere Gesundheitsschäden erleiden. Bis ins Jahr 2013 waren Abtreibungen nicht einmal erlaubt, wenn die Schwangerschaft das Leben der Frau bedrohte.

Warum ist das Recht in Irland so viel strikter als in anderen europäischen Ländern?

Abtreibungen sind in Irland schon seit der Staatsgründung verboten. Als die Republik nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, hatte die Katholische Kirche immensen Einfluss auf Politik und Gesellschaft. Staat und Kirche waren zwar auf dem Papier getrennt, de facto bildeten sie jedoch eine Einheit. Noch heute betreibt die Kirche die meisten Schulen und Krankenhäuser des Landes. Die Dogmen des Katholizismus sind in der Gesellschaft also weiterhin sehr präsent. Im Jahr 1983 stimmte die Mehrheit der irischen Wähler sogar dafür, das Abtreibungsverbot auch in der Verfassung festzuschreiben.

Trotzdem brechen jedes Jahr Tausende Irinnen eine Schwangerschaft ab – ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.

Das stimmt. Denn es existiert mittlerweile ein legales Schlupfloch: Seit 1992 dürfen Frauen ins Ausland reisen, um dort einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Ein 14-jähriges Missbrauchsopfer hatte dieses Recht vor Irlands höchstem Gericht erstritten. Allein nach England reisen inzwischen jeden Tag zehn bis zwölf Irinnen, um sich dort dem Eingriff zu unterziehen. Es ist vollkommen heuchlerisch. Irland hat sein Problem gewissermassen exportiert.

Aber nicht jede Frau wird sich einen Flug ins Ausland leisten können.

Das stimmt. Eine Abtreibung im Ausland vornehmen zu lassen, ist teuer. Die Kosten summieren sich schnell auf 1500 Euro. Das ist mehr, als sich viele Frauen aus der Unterschicht leisten können. Aber auch für viele Migrantinnen kommt eine Abtreibung im Ausland nicht in Frage, weil sie beispielsweise in einem laufenden Asylverfahren stecken oder aus einem anderen Grund das Land nicht verlassen können.

Sind die AbtreibungsgegnerInnen in Irland eigentlich weiterhin in der Mehrheit?

Nein, Meinungsumfragen zeigen, dass mittlerweile rund 80 Prozent der Irinnen und Iren das Recht auf Abtreibung in bestimmten Fällen befürworten. Etwa wenn eine Schwangerschaft durch ein Inzestverbrechen zustande kam, wenn die Gesundheit der Schwangeren auf dem Spiel steht oder wenn der Embryo nicht überlebensfähig ist. Die öffentliche Meinung hat sich also stark gewandelt – doch die Politik liegt noch weit zurück.

In einem Punkt hat sich die Politik zumindest bewegt: Frauen dürfen seit vergangenem Jahr abtreiben, wenn die Schwangerschaft ihr Leben bedroht. Wie kam es zu dieser Kehrtwende?

«Eine Schwangere starb 2012 an einer Blutvergiftung. Auch ihr hatte man untersagt, abzutreiben. Ihr Tod versetzte Irland in einen Schockzustand.»

Bereits im Jahr 1992 hat das oberste Gericht des Landes entschieden, dass dies möglich sein müsse. Doch die Politik ignorierte dieses Urteil fast zwanzig Jahre lang. Erst zwei aufsehenerregende Fälle haben die Regierung zum Handeln gezwungen: Vor ein paar Jahren zog eine schwerkranke irische Frau vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie litt an einer seltenen Krebserkrankung und musste fürchten, dass die Schwangerschaft zu einem Rückfall führen könnte. Trotzdem durfte sie nicht abtreiben. Das Gericht sprach im Jahr 2010 sein Urteil: Irland musste der Frau 15‘000 Euro Schmerzensgeld zahlen, weil der Staat ihr Recht auf Privatsphäre verletzt hatte. Zwei Jahre später starb in einem irischen Krankenhaus eine schwangere Frau an einer Blutvergiftung. Auch ihr hatte man untersagt, abzutreiben. Dabei hätte ihr der Eingriff vermutlich das Leben gerettet. Dieser Fall machte weltweit Schlagzeilen und versetzte Irland in einen Schockzustand. Die Menschen waren fassungslos. Zum ersten Mal diskutierte das ganze Land über Schwangerschaftsabbruch. Das Tabu war gebrochen – und die Regierung musste handeln.

Abtreibung ist ein Thema, das stark polarisiert. Warum mischt sich Amnesty International überhaupt in diese hochemotionale Debatte ein?

Ja, die Diskussion wird tatsächlich sehr emotional geführt. Und dies aus verständlichen Gründen. Schliesslich geht es um den Schutz des ungeborenen Lebens. Natürlich ist die Gesellschaft verpflichtet, den Fötus im Mutterleib zu schützen. Auch ein ungeborener Mensch soll die Chance haben, zu leben. Doch wenn in einem Land Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen verboten sind, ist dies ein grosses Problem. Denn ein solches Totalverbot verletzt in einigen Fällen die Menschenrechte der werdenden Mütter.

Zum Beispiel?

Das internationale Recht ist hier eindeutig. Wenn eine Schwangerschaft die Gesundheit oder das Leben einer Frau gefährdet, ist eine Abtreibung zulässig. Ähnliches gilt für Schwangerschaften, die durch eine Vergewaltigung zustande kamen. Man darf eine Frau, die Opfer sexueller Gewalt wurde, nicht dazu zwingen, ein Kind auszutragen. Frauen und Mädchen, die vergewaltigt wurden, sind schwer traumatisiert. Und die Gesellschaft muss sie vor weiteren Traumata bewahren. So sieht es das internationale Recht. Das mag nicht jedem passen. Und natürlich steht es jedermann zu, Abtreibungen kategorisch abzulehnen. Amnesty kämpft ja auch für das Recht auf Meinungsfreiheit. Aber niemand darf seine Meinung anderen aufzwingen. Frauen sollen selbst über Dinge entscheiden können, die ihren eigenen Körper und ihre Gesundheit betreffen.

Ist Amnesty in Kontakt mit Frauen, die unter dem irischen Abtreibungsverbot leiden?

Ja, wir untersuchen momentan, wie sich das Verbot auf das Leben der betroffenen Frauen auswirkt. Wir haben Mädchen und Frauen interviewt, die gegen ihren Willen ein Kind austragen mussten. Und wir haben mit Frauen gesprochen, die sich trotz des Verbots einem Schwangerschaftsabbruch unterzogen haben. In diesen Gesprächen wurde eines sehr deutlich: Die Frauen und Mädchen fühlen sich stigmatisiert und mundtot gemacht. Sie haben das Gefühl, dass ihnen niemand zuhört und sich niemand für ihre Leidensgeschichte interessiert. «Irland hat uns im Stich gelassen», diesen Satz haben wir wieder und wieder gehört. Deswegen ist es auch so wichtig, dass sich Frauen aus anderen Ländern mit ihnen solidarisch erklären. Die Welt muss den Irinnen zeigen, dass sie nicht alleine sind.

Interview: Ramin M. Nowzad