Wie Amnesty International im Bericht «Vom Papier zur Praxis: Kosovo muss seine Verpflichtungen gegenüber Überlebenden häuslicher Gewalt einhalten» (PDF, 82 Seiten in Englisch) aufzeigt, sind Überlebende häuslicher Gewalt, meist Frauen und Mädchen, mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert, wenn es darum geht, Schutz zu erhalten und Zugang zu Justiz und Unterstützung zu bekommen.
«Überlebende häuslicher Gewalt im Kosovo stossen bei ihrem Versuch, missbräuchliche Situationen zu verlassen, auf Hindernisse in allen Richtungen», sagt Lauren Aarons, stellvertretende Programmdirektorin von Amnesty International und Leiterin der Abteilung Gender. «Die Reaktion der Behörden ist zu sehr auf die Strafverfolgung ausgerichtet. Tatsächlich müssen fast alle Überlebenden bei der Polizei Anzeige erstatten, um Schutz zu erhalten. Gleichzeitig wird nicht genug getan, um sie dabei zu unterstützen, ein unabhängiges Leben abseits des Missbrauchs zu führen. Überlebende aus Randgruppen werden ebenfalls vergessen.»
Verbesserungen, aber mit vielen Lücken
Nach einer Reihe von Femiziden haben die Behörden des Kosovo in den letzten Jahren beträchtliche Schritte unternommen, um die Gesetzgebung zu verschärfen und die politischen Massnahmen zu verbessern, um den Bedürfnissen der Überlebenden gerecht zu werden. Zuletzt hat die Versammlung der Republik Kosovo im März 2023 einen neuen Gesetzentwurf über die Verhütung von und den Schutz vor häuslicher Gewalt, Gewalt gegen Frauen und geschlechtsspezifischer Gewalt in erster Lesung angenommen. Dieses Gesetz steht weitgehend im Einklang mit der Istanbul-Konvention und anderen internationalen Menschenrechtsübereinkommen und enthält umfassende Massnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
Amnesty International stellte jedoch zahlreiche Lücken in der staatlichen Unterstützung für Überlebende häuslicher Gewalt und einen Mangel an Massnahmen zur Einbeziehung der Betroffenen in die Entscheidungsfindung fest, wodurch ihre Rechte untergraben werden.
Zu diesen Lücken gehören Hindernisse bei der Entschädigung und anderen Rechtsansprüchen wie Unterhaltszahlungen sowie unzureichende Unterstützungsdienste für Überlebende, die eine Unterkunft verlassen. Die Überlebenden berichteten auch über schädliche Vorverurteilungen durch Polizeibeamt*innen, überlastete Sozialarbeiter*innen und zu wenig hilfreiche oder abwesende Opferanwält*innen. Ausserdem besteht ein Mangel an Informationen über die Rechte der Betroffenen.
Ethnischen Minderheiten wie Serb*innen, Rom*nja, Aschkali etc. sowie LGBTI*-Personen sehen sich aufgrund der sich überschneidenden Formen der Diskriminierung, denen sie ausgesetzt sind, zusätzlichen Problemen gegenüber.
Hindernisse beim Zugang zu Unterstützung
Frauen im Kosovo sind mit erheblichen sozioökonomischen Schwierigkeiten konfrontiert, die sie daran hindern, missbräuchliche Situationen zu verlassen und auf Dauer frei von Angst und Gewalt zu leben. Im Jahr 2017 waren nur 17 Prozent der Frauen im Kosovo formal erwerbstätig, verglichen mit 50 Prozent der Männer; auch besitzen Frauen weit weniger Eigentum als die Männer. Darüber hinaus sind Frauen häufig vom Familienerbe ausgeschlossen, und auch die Aufteilung des Vermögens zwischen den Ehegatten in Scheidungsverfahren benachteiligt Frauen tendenziell.
Wenn Überlebende versuchen, missbräuchliche Situationen zu verlassen, erhalten sie bestenfalls anfänglichen Schutz und kurzfristige Unterstützung, werden dann aber bei dem Versuch, ihr Leben neu aufzubauen, allein gelassen: Sie erhalten nur unzureichende Hilfe beim Zugang zu Wohnraum, zur Anerkennung von beruflichen Qualifikationen oder zu Arbeitsplätzen.
«Die Behörden des Kosovo haben sich verpflichtet, die Überlebenden in den Mittelpunkt ihrer Massnahmen gegen häusliche Gewalt zu stellen. Jetzt müssen sie diese Verpflichtung in die Tat umsetzen. Das bedeutet, dass sie ausreichende Ressourcen bereitstellen, aber auch den Überlebenden zuhören und mit ihnen zusammenarbeiten müssen», so Lauren Aarons.