Die Sicherheitskräfte halten rücksichtslos an ihrem weit verbreiteten Einsatz rechtswidriger tödlicher Gewalt fest und zeigen damit ihre klare Absicht, Demonstrierende zu töten oder zu verstümmeln, um die Unruhen um jeden Preis niederzuschlagen. Seit dem 15. November setzen sie ausserdem verstärkt scharfe Munition ein, um Proteste in den von Kurd*innen und anderen unterdrückten ethnischen Minderheiten bewohnten Provinzen aufzulösen.
Sondersitzung des Uno-Menschenrechtsrats in Genf
Amnesty International hat mit einer internationalen Petition über eine Million Unterschriften dafür gesammelt, dass die Vereinten Nationen eine Resolution verabschieden, mit der die Menschenrechtsverletzungen im Iran international und unabhängig untersucht werden. Deutschland und Island haben eine Sondersitzung des Uno-Menschenrechtsrats in Genf für Donnerstag, den 24. November beantragt, in der diese Resolution auf den Weg gebracht werden soll.
«Die Lage im Iran erfordert eine starke Resolution zur Einrichtung eines unabhängigen Untersuchungs- und Rechenschaftsmechanismus für den Iran, um Beweise für Verbrechen zu sichern, gegen Straflosigkeit vorzugehen und eine klare Botschaft an die iranischen Behörden zu senden, dass sie nicht länger ungehindert Verbrechen nach internationalem Recht begehen können», sagte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.
Auch die Schweiz muss klar Position beziehen
Der am 11. November eingereichte Antrag auf eine Uno-Sondersitzung zum Iran wird unterdessen von 44 Ländern unterstützt, darunter auch der Schweiz, die sich der Forderung allerdings erst spät anschloss.
«Wir fordern die Schweiz auf, sich sichtbar für die Schaffung eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus einzusetzen. Auch das Engagement der Schweiz gegen die Todesstrafe, zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und die aktive Solidarität mit den Demonstrierenden ist wichtig. Die Schweiz kann mit Prozessbeobachtungen von Personen, denen wegen ihrer Teilnahme an Protesten die Todesstrafe droht, einen konkreten Beitrag leisten», sagte Michael Ineichen, Leiter Advocacy bei der Schweizer Sektion von Amnesty International.
Mindestens 60 Tote in der vergangenen Woche
Seit dem Ausbruch von Protesten Mitte September hat Amnesty die Namen und Daten von 305 Personen dokumentiert, die von Sicherheitskräften getötet wurden. Darunter befanden sich auch mindestens 41 Kinder. Allein in der vergangenen Woche wurden nach Informationen von Amnesty International 53 Männer, 2 Frauen und 5 Kinder in 10 Provinzen des Iran getötet, die meisten von ihnen (42) in kurdisch besiedelten Gebieten.
Hauptleidtragende des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte waren Angehörige der unterdrückten ethnischen Minderheiten im Iran, insbesondere Belutsch*innen und Kurd*innen. Die Ermittlungen zur Identität der Getöteten dauern noch an, wobei die tatsächliche Zahl der Todesopfer weitaus höher sein dürfte.
Mehr als zwei Monate nach Beginn der Unruhen hat die systematische Straflosigkeit die iranischen Behörden ermutigt, nicht nur weiterhin rechtswidrig tödliche Gewalt anzuwenden, sondern auch auf die Todesstrafe als Mittel zur Einschüchterung und politischen Unterdrückung zurückzugreifen. Seit Ende Oktober 2022 haben die Behörden gegen mindestens 21 Personen, die alle im Zusammenhang mit den Protesten angeklagt waren, in grob unfairen Prozessen vor Revolutionsgerichten die Todesstrafe beantragt. Dabei kam es zu beunruhigenden Aufrufen, die Verfahren zu beschleunigen und die Angeklagten öffentlich hinzurichten.
Kreislauf der Gewalt durchbrechen
In dem Versuch, die internationale Unterstützung für die Sondersitzung und die Einrichtung eines Untersuchungsmechanismus beim Uno-Menschenrechtsrat zu schwächen, haben die iranischen Behörden fälschlicherweise behauptet, dass sie ihr Vorgehen entschärfen und Untersuchungen durchführen würden.
«Während sich die Mitgliedstaaten des Uno-Menschenrechtsrats auf die Sondersitzung am Donnerstag vorbereiten, lassen die Sicherheitskräfte des Landes weiterhin ein Sperrfeuer auf Männer, Frauen und Kinder los und erzwingen gleichzeitig Mobilfunk- und Internetsperren, um ihre Verbrechen vor der Welt zu verbergen», sagte Agnès Callamard.
«Dieses Vorgehen, bei dem Hunderte von Demonstrierenden im Schutze der Dunkelheit getötet werden, erinnert an die Niederschlagung der Proteste im November 2019 durch die iranischen Behörden. Das Ausbleiben einer angemessenen Reaktion der internationalen Gemeinschaft hat damals ein andauerndes Blutvergiessen ermöglicht. Es ist nun höchste Zeit, dass die Mitgliedstaaten des Uno-Menschenrechtsrats ihren Teil dazu beitragen, diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen».