Justizminister Grapperhaus reagierte damit auf die öffentliche Kritik, unter anderem von Amnesty International. Zuvor hatte er einen neuen separaten Straftatbestand «Geschlechtsverkehr gegen den Willen einer Person» einführen wollen, der für diese Tat nur die Hälfte des Strafmasses wie bei der Vergewaltigung vorsah. In Reaktion auf die breite Kritik aus der Öffentlichkeit an diesem Gesetzentwurf hat Grapperhaus dem niederländischen Unterhaus nun mitgeteilt, dass er stattdessen ein Gesetz einführen wolle, in dem jegliche Form von nicht einvernehmlichem Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung eingestuft wird.
In den Niederlanden haben 19 Prozent der Frauen und 3 Prozent der Männer eine Penetration ihres Körpers ohne Zustimmung erlebt. Die TäterInnen bleiben oft straffrei. Nach geltendem Recht gilt die Straftat nicht als Vergewaltigung, wenn es keine Beweise für eine Nötigung gibt – dies steht im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsnormen, welche das Fehlen einer Einwilligung ins Zentrum stellt.
#LetsTalkAboutYES-Kampagne
Aus diesem Grund startete die niederländische Sektion von Amnesty die Kampagne #LetsTalkAboutYES. Aktivistinnen und Aktivisten sprachen mit Menschen auf der Strasse über einvernehmlichen Sex. Eine Gruppe von Frauen, die Vergewaltigungen erlebt haben, führte eine Kampagne durch, um zu betonen, wie wichtig es ist, die Gesetzgebung zu ändern. Mehr als 53’000 Menschen schickten Postkarten an Minister Grapperhaus und forderten ihn auf, die Definition der Vergewaltigung im Strafgesetz zu ändern, statt einen neuen Tatbestand einzuführen.
«Die Änderung des Gesetzes ist ein sehr wichtiger Schritt, um den Schutz der körperlichen Integrität gewährleisten zu können und die niederländische Gesetzgebung mit Menschenrechtskonventionen in Einklang zu bringen», sagte Martine Goeman, Leiterin des Gender-Programms von Amnesty International in den Niederlanden. «Wir warten gespannt auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs und sind sehr stolz auf die Aktionen der Gruppe der Frauen, die Vergewaltigungen erlebt haben, sowie aller anderen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich Gehör verschafften.»
Im Namen der Aktionsgruppe der Frauen, die Vergewaltigung erlebt haben, sagt eine der Frauen: «Ich bin unglaublich dankbar − ich bin fast sprachlos [...] Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf bald geändert wird und dass die Zustimmung zu Sex in den Mittelpunkt rückt. Ausserdem hoffe ich, dass dies den Ton in der öffentlichen Debatte verändert, dass wir uns gegenseitig sagen, dass Sex einvernehmlich sein muss und auf Gleichberechtigung beruht. Hätte ich das im Alter von 16 Jahren verstanden, hätte ich mich nicht 20 Jahre lang schuldig gefühlt, und vielleicht hätte ich es früher gewagt, um Hilfe zu bitten und zur Polizei zu gehen.»
Die Gesetzesvorlage des Ministers
Justizminister Grapperhaus kündigte an, dass er den Gesetzentwurf gemäss einem neuen Modell umschreiben werde. Eine Person solle wegen Vergewaltigung verurteilt werden können, wenn sie hätte wissen müssen, dass die andere Person keinen Sex wollte – auch wenn es keine entsprechende Gegenwehr gab. Dies ist insbesondere in Situationen der Fall, in denen ein Opfer vor Angst erstarrt und daher nicht in der Lage ist, sich zu wehren.
Ziel des Justizministers sei es, im Dezember 2020 Beratungen über eine geänderte Fassung des Gesetzentwurfs aufzunehmen. Amnesty International wird darauf achten, ob das neue Gesetz festhalten wird, dass der Straftatbestand der Vergewaltigung auf mangelnder Zustimmung beruht.