Roma Unterkunft und Zwangsräumungen in Rumänien, September 2011
Roma Unterkunft und Zwangsräumungen in Rumänien, September 2011

Romafamilien: Zwangsräumungen in Baia Mare, Rumänien

Juni 2012
Am 10. April gab der Sprecher des Bürgermeisters in der Online-Zeitschrift eMaramures bekannt, dass die Stadt plane, die informelle Siedlung Piritia zu räumen. Die Bewohner seien informiert worden, dass sie aus dem Areal wegziehen müssen und nach Ablauf der 30-Tage-Frist werde man die Häuser abreissen. Weiter erklärte der Sprecher, dass es in einer ersten Phase hauptsächlich darum ginge, alle Einzelpersonen und Familien, welche ihren Wohnsitz nicht in Baia Mare registriert haben, in ihre Herkunftsorte zu schicken. Ihre Häuser würden zerstört werden und in Baia Mare gäbe es keine alternative Unterkunftsmöglichkeiten für sie.

Schon zu diesem Zeitpunkt hat Amnesty International befürchtet, dass die geplanten Räumungen der Stadt Baia Mare rechtswidrigen Zwangsräumungen gleich kommen könnten, die nach Völkerrecht verboten sind. Dies unter anderem im Internationale Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, zu deren Einhaltung sich Rumänien verpflichtet hat. Demzufolge müssen die Behörden der Gefahr Rechnung tragen, dass Menschen infolge einer Räumung obdachlos werden können. Sie müssen garantieren, dass den Familien eine alternative Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. Ferner müssen die Behörden die Betroffenen vor der Räumung konsultieren, eine ausreichende Frist einräumen, Schadensersatz leisten und den Zugang zu Rechtsmittel sicher stellen. Generell gilt, dass nach internationalem Recht Räumungen nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfen.
Amnesty International ist auch über den Entschluss der Behörden besorgt –falls es dann soweit kommt– dass sich die Massnahmen hauptsächlich gegen Individuen richten, welche keine in Baia Mare registrierten Ausweispapiere besitzen. Ein solches Vorgehen käme einer Strafmassnahme gleich, die sich vorsätzlich und in diskriminierender Weise gegen Menschen ohne Aufenthaltstitel oder anderweitigem rechtlichen Status richtet. Darüber hinaus würden die von der Maßnahme betroffenen Menschen in ihren Rechten auf Freizügigkeit und auf freie Wahl ihres Wohnsitzes verletzt. Beides Grundsätze, die im internationalen Abkommen über zivile und politische Rechte festgehalten sind, das Rumänien unterzeichnet hat.
Es handelt sich nicht um das erste Mal, dass die Behörden von Baia Mare versuchen, informelle Roma Siedlungen zu räumen. Schon im Juli 2010 und im August 2011 hatten die Behörden angekündigt, Hunderte von Roma aus den Siedlungen Craica, Ferneziu, Horea und Valea Borcutului zu vertreiben. Beide Male konnten die Zwangsräumungen Dank nationalem und internationalem Druck aufgehalten werden. Doch im Mai 2012 stehen die Zwangsräumungen in Craica und Pirita unmittelbar bevor. Zu diesem Zeitpunkt äussern die Romani CRISS und Amnesty International erneut ihre Bedenken darüber, dass einmal mehr die internationalen Standards für eine Räumung missachtet werden. So wurde den Familien von Craica gesagt, sie müssen entweder in ein altes Gebäude der Industriefirma Cuprom umsiedeln oder ein Stück Land akzeptieren, auf dem sie ihr eigenes Haus errichten können. Konkrete In-formation wurden jedoch nicht erteilt.
Bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch das Aufgreifen der Medien der Information, der zufolge der Zugang zum zukünftigen Wohngebäude der Romas mit Kameras und Sicherheitskräften überwacht werden solle. Die Stadtverwaltung hat das Gebäude vorerst für 3 Jahre von einem privaten Unternehmen gemietet. Es gibt keine Sicherheit, dass es bei Ablauf dieser Frist nicht erneut zu Umsiedlungen kommt. Jene Bewohner, die Anstelle der Unterkunft im Fabrikgebäude ein Stück Land gewählt haben, wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie in Militärzelten wohnen würden, bis sie selber im Stande seien, ihr eigenes Haus zu bauen.

Sogenannte Roma-Repräsentanten

Es scheint, als haben die Behörden den Kontakt zu den betroffenen Roma-Familien grösstenteils auf einige wenige politische Anführer oder Organisationen der Roma Bevölkerung reduziert. Diese werden zu Besprechungen eingeladen und mit Informationen ausgestattet, damit sie stellvertretend Entscheide im Namen der Roma-Familien treffen. So wurde der lokalen Bevölkerung von Craica keine Möglichkeit gegeben, ihre Bedenken direkt zu äussern, als die lokalen Behörden die informelle Siedlung besuchten. Alles läuft über diese sogenannten Roma-Repräsentanten. Doch eine Frau erzählt Amnesty: „Manchmal sickert ein bisschen Information via die Roma-Repräsentanten zu uns durch. Aber niemand hat sie in diese Funktion gewählt, sie haben sich selber dazu ernannt. Die lokalen Behörden sollten nicht zu ihnen, sondern zu uns, die wir hier wohnen und betroffen sind, sprechen. Die Repräsentanten haben kein Recht, in unserem Namen zu sprechen.“
Die beiden Organisationen Romani CRISS und Amnesty International sind darüber besorgt, dass nicht die ganze betroffene Bevölkerung zu Wort kommen kann. Die Existenz dieser politischen Anführer schürt zudem ein Klima der Einschüchterung, Bedrohungen und Belästigungen. Die selbsternannten Repräsentanten verwenden diese Methoden, um die Zustimmung der Roma zu den Umsiedlungen zu erpressen. Die Leute unterschrieben Dokumente, ohne genau zu wissen, was ihnen vorgelegt wird. Oder es wird ihnen gesagt, dass sie obdachlos würden, sofern sie nicht zustimmen. Fast alle Personen, mit denen Amnesty International gesprochen hat, haben nicht genügend Information darüber erhalten, was mit ihnen geschehen wird.

Ungeeignete Unterkunft

Am 7. Juni protestieren 30 Nichtregierungsorganisationen in Bukarest gegen die andauernde Zwangsräumung von Roma-Familien. Kritisiert wurde vor allem, dass die Familien in unangemessene Unterkünfte gebracht wurden, ohne zuvor darüber in Kenntnis gesetzt zu werden. Amnesty International schliesst sich den Bedenken der Organisationen an und ruft die lokalen und nationalen Behörden auf, Räumungen ab sofort unter internationalen Standards durchzuführen.
Nur wenige Tage davor, am 1. Juni, haben die Zwangsräumungen begonnen, bei welchen die betroffenen Familien in ein altes Fabrikgebäude gebracht worden sind. In diesem Gebäude befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch immer gefährliche Substanzen, die im ehemals chemischen Labor verwendet wurden. Auch das Warnschild, das auf die Gefährlichkeit der Materialien hinweist, befand sich noch vor Ort. Noch am selben Abend hatten die ersten Kinder und Erwachsene Symptome von Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Kopfschmerzen. 22 Kinder und 2 Erwachsene mussten ins Krankenhaus gebracht werden.
Amnesty International hat schon vor der Umsiedlung Bedenken darüber geäussert, dass im betreffenden Gebäude keine Untersuchungen über die gesundheitlichen Folgen im Falle einer Nutzung als Unterkunft stattgefunden haben. Diese wären erforderlich, da in der ehemaligen Fabrik Schwermetalle verarbeitet wurden. Offensichtlich wird in diesem Fall das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit verletzt. Giftige, verschmutzte oder sich in der Nähe von kontaminierten Gebieten befindliche Gebäude eignen sich nicht als Bleibe. Auch müssen geeignete sanitäre Anlagen vorhanden sein, was bei dem ehemaligen Firmengebäude nicht der Fall ist. Darin gibt es nur zwei Gemeinschaftstoiletten für Frauen und Männer auf jedem Stockwerk. Und die kleinen Küchen auf jedem Stockwerk sind nicht adäquat ausgestattet.
Deshalb fordert Amnesty International die lokalen und nationalen Behörden dazu auf, so rasch als möglichst in Absprache mit den betroffenen Roma eine neue, adäquate Unterkunft für sie zu finden.

Hintergrundinformation

Am 24. April 2012 hat der europäische Menschenrechtshof ein entscheidendes Urteil gefällt: Wohnen Personen schon seit vielen Jahren am selben Ort, so müssen die Behörden dieser Tatsache Rechnung tragen und nicht so vorgehen, wie sie es  bei üblichen Räumungen von rechtswidrigen Grundstückbesetzungen tun. Die Behörden sind verpflichtet aufzuzeigen, dass die Räumung verhältnismässig ist und müssen in Betracht ziehen, dass den Leuten die Gefahr von Obdachlosigkeit droht.