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Hintergrundinformationen
Der Eintrag im Jahresbericht 2007 basiert auf Vorkomnissen und Daten aus dem Jahr 2006
Oppositionsparteien liefen Sturm gegen Änderungen der Wahlgesetze, mit denen das Erfordernis einer Mindestwahlbeteiligung als Voraussetzung für die Gültigkeit von Wahlen abgeschafft worden war. Im März verabschiedete das Parlament ein neues Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, das keine expliziten Schutzgarantien für Personen enthielt, die im Zuge von Antiterroroperationen festgenommen werden. Das Gesetz ermächtigte zudem die Streitkräfte, derartige Operationen auch ausserhalb russischen Hoheitsgebiets durchzuführen. Nationalistische Tendenzen in der Bevölkerung nährten Befürchtungen, dass im Vorfeld der für 2007 geplanten Wahlen Fremdenfeindlichkeit ein akutes Problem werden könnte. In ihrer Einwanderungspolitik ging die Regierung zunehmend restriktiver vor, indem sie beispielsweise gegen ausländische Strassenhändler mit Wirkung vom Januar 2007 an rigide Auflagen erliess.
Im Mai sagte Präsident Putin der ausufernden Korruption im Behördenapparat den Kampf an. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft vom November entsteht dem Staat durch Korruption alljährlich ein Schaden von umgerechnet 240 Milliarden US-Dollar, was ungefähr dem Haushaltsvolumen der Regierung entspricht. Die Medien und vor allem die Fernsehsender sahen sich strikten staatlichen Kontrollen unterworfen. Im Berichtszeitraum fielen mehrere Geschäftsleute, Politiker und Regierungsvertreter offenkundigen Auftragsmorden zum Opfer. Die Rolle Russlands als Gastgeber des G8-Gipfels der führenden Industrienationen und die Übernahme des Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats im Mai hatte nicht zuletzt zur Folge, dass die Menschenrechtspolitik der Moskauer Regierung international verschärft ins Blickfeld geriet.
Die Situation im Nordkaukasus war weiterhin von Gewalt und Instabilität gekennzeichnet. Im Juni kam in Argun in Tschetschenien der Anführer der tschetschenischen Separatisten, Abdul-Khalim Sadulajew, bei Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sicherheitskräften ums Leben. Schamil Basajew, der die Verantwortung für das Geiseldrama vom September 2004 in einer Schule in Beslan in Nordossetien sowie für andere im Zuge des Tschetschenienkonflikts verübte Kriegsverbrechen übernommen hatte, starb im Juli bei der Explosion eines Sprengsatzes.
Kritische Stimmen unerwünscht
Im April traten Änderungen der Gesetze über gesellschaftliche und gemeinnützige Organisationen sowie eines weiteren föderalen Gesetzes (Law on closed administrative-territorial entities) in Kraft, mit denen Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit einhergingen. Ergänzende Regelungen führten darüber hinaus für Organisationen der Zivilgesellschaft strikte Berichtspflichten ein. Vorgeblich zielten die Änderungen darauf ab, verbesserte Grundlagen für die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen zu schaffen, in der Praxis jedoch gaben sie den Behörden zusätzliche Befugnisse zur Kontrolle der Finanzen und Aktivitäten russischer und ausländischer zivilgesellschaftlicher Organisationen. Vage Formulierungen in den Gesetzesnovellen liessen zudem eine willkürliche Anwendung und unverhältnismässig hohe Strafen bei Zuwiderhandlung gegen die neuen Rechtsvorschriften befürchten. Durch die Änderungen drohte ferner von Nichtregierungsorganisationen initiierten und geförderten Programmen infolge mangelnder Ressourcen das endgültige Aus.
Das vom Juli 2002 datierende Gesetz über «extremistische Aktivitäten» wurde im Berichtszeitraum ergänzt und enthielt in seiner Neufassung eine deutlich erweiterte Definition von »Extremismus«. So wurde die Rechtfertigung von Terrorakten ebenso unter Strafe gestellt wie die Verleumdung von Staatsbediensteten. Auch zivilgesellschaftlichen Organisationen und Regierungskritikern drohten auf der Grundlage des revidierten Gesetzes Einschränkungen ihrer Handlungsmöglichkeiten bis hin zu strafrechtlichen Sanktionen.
Übergriffe gegen Journalisten
Journalisten sahen sich im Berichtszeitraum Einschüchterungsversuchen, tätlichen Angriffen und strafrechtlicher Verfolgung aufgrund von Anklagen ausgesetzt, die jeder Grundlage entbehrten.
Am 7. Oktober wurde die Journalistin und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja im Aufzug ihres Wohnhauses in Moskau erschossen, aller Wahrscheinlichkeit nach wegen ihres beruflichen Engagements. Seit 1999 hatte sie mit Beiträgen in der Tageszeitung Novaia Gazeta den Konflikt in Tschetschenien kritisch begleitet und war für ihre couragierte Berichterstattung mehrfach ausgezeichnet worden. Auch Gewaltexzesse innerhalb der Streitkräfte, staatliche Korruption und Polizeibrutalität hatte Anna Politkowskaja mit ihrem investigativen Gespür immer wieder ans Tageslicht gebracht. Als Folge sah sie sich Einschüchterungsversuchen und Schikanen sowohl der russischen als auch der tschetschenischen Behörden ausgesetzt. Am 16. Oktober fand in Nasran in Inguschetien eine Trauerfeier zum Gedenken an ihren Tod statt, die von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst wurde. Die Polizei nahm mindestens fünf Menschenrechtler fest, die des Verstosses gegen Verwaltungsvorschriften angeklagt wurden. Vier der Beschuldigten kamen frei, weil die Gerichte keine gesetzeswidrige Handlung erkennen konnten. Der Organisator der Gedenkveranstaltung wurde hingegen zu einer Geldstrafe verurteilt.
Am 3. Februar befand ein Gericht Stanislaw Dmimitrewskij für schuldig, sich mit dem Abdruck von Meinungsbeiträgen führender Vertreter der tschetschenischen Separatistenbewegung der Anstiftung zum Rassenhass schuldig gemacht zu haben, obwohl in den Artikeln weder zu Rassismus noch zu Gewalt aufgerufen waren war. Das Urteil gegen ihn lautete auf zwei Jahre Haft auf Bewährung, für weitere vier Jahre wurden behördliche Auflagen gegen ihn verhängt. Im November untersagte ein Gericht dem Verein für russisch-tschetschenische Freundschaft, einer Nichtregierungsorganisation unter Vorsitz von Stanislaw Dmimitrewskij, jegliche weitere Betätigung. Die Richter stützten ihr Urteil auf ein neues Gesetz über Nichtregierungsorganisationen, das «extremistischer» Straftaten für schuldig befundene Personen von Führungsaufgaben in solchen Vereinigungen grundsätzlich ausschloss.
Demonstrationen
Die Behörden verboten eine Reihe von Demonstrationen offenbar ohne zwingende rechtliche Handhabe und griffen damit in unzulässiger Weise in das Recht auf Versammlungsfreiheit ein. Teilnehmer friedlicher und getreu den Gesetzen des Landes angemeldeter Protestveranstaltungen wurden in Haft genommen.
Im Vorfeld des G8-Gipfels nahmen die Sicherheitskräfte Globalisierungsgegner fest, die sich auf dem Weg nach St. Petersburg befanden. Einige der Verhaftungen erfolgten offenbar ohne stichhaltige Gründe.
Im April sollen Angehörige der Sonderpolizeieinheit OMON mit exzessiver Gewalt gegen eine Gruppe von mehr als 500 Männern, Frauen und Kindern vorgegangen sein, die gegen mutmassliche Korruption in der Verwaltung von Dagestan protestierten. Berichten zufolge feuerten die Polizisten ohne Vorwarnung Tränengas direkt in die Menschenmenge. Dabei wurde Murad Nogmotow getötet, zwei weitere Demonstranten wurden schwer verletzt. Die örtliche Staatsanwaltschaft leitete im Zusammenhang mit dem Vorfall Ermittlungen ein.
Konflikte im Nordkaukasus
Im Kontext von Operationen der russischen Sicherheitskräfte zur Bekämpfung des Terrorismus wurden aus dem Nordkaukasus, insbesondere aus Tschetschenien und Inguschetien, erneut Berichte über extralegale Hinrichtungen, das «Verschwindenlassen» von Menschen, Entführungen, Folterungen und willkürliche Inhaftierungen in zum Teil inoffiziellen Einrichtungen bekannt. Personen, die sich an die russischen Gerichte oder an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wandten, um zu ihrem Recht zu gelangen, sahen sich Einschüchterungsversuchen durch die Behörden ausgesetzt. Auch Anwälte, die die Interessen dieser Menschen vertraten, wurden schikaniert.
Der gelegentlich als Aufstand charakterisierte Konflikt in Tschetschenien konnte nach wie vor nicht beigelegt werden, obwohl Anstrengungen unternommen wurden, um zu einem normalen Lebensalltag zurückzukehren. Beispielsweise wurde in grossem Massstab in Wiederaufbauprojekte investiert. Russische Truppen sowie tschetschenische Polizei- und Sicherheitskräfte setzten ihre Operationen gegen bewaffnete Oppositionsgruppen der Tschetschenen fort. Im Süden der Region nahmen Einheiten der föderalen Truppen Gebirgsgegenden unter Granatenbeschuss. Im Gegenzug verübten tschetschenische bewaffnete Gruppen Anschläge auf Polizisten und auf Fahrzeugkonvois der russischen Streitkräfte. Ausserdem zündeten sie wiederholt Autobomben. Angesichts der Präsenz zahlreicher paramilitärischer Verbände in Tschetschenien, die völlig willkürlich und jenseits jedweder Rechenschaftspflicht agierten, war es äusserst schwierig, die für schwere Menschenrechtsverstösse konkret Verantwortlichen zu ermitteln.
Nach Schätzung zwischenstaatlicher Organisationen lag die Zahl der durch den Konflikt in Tschetschenien intern vertriebenen Menschen noch immer bei etwa 180000. Rund 37000 von ihnen lebten in Behelfsunterkünften, in denen Berichten zufolge erbärmliche Bedingungen herrschten. Der tschetschenische Ministerpräsident Ramsan Kadyrow äusserte sich im April mit den Worten, diese Notunterkünfte seien «Nester der Kriminalität, des Drogenkonsums und der Prostitution» und müssten deshalb geschlossen werden. Tatsächlich wurden im Berichtszeitraum nach vorliegenden Meldungen fünf solcher Einrichtungen, die rund 4500 Menschen beherbergten, aufgelöst. In anderen Einrichtungen wurden Personen aus der Liste der Bewohner gestrichen, obwohl für sie keine alternativen Unterbringungsmöglichkeiten bestanden.
Von Bulat Chilajew und Aslan Israilow musste befürchtet werden, dass sie dem «Verschwindenlassen» zum Opfer gefallen sind. Die Verantwortlichen hierfür wurden in den Reihen tschetschenischer oder russischer Einsatzkräfte vermutet. Rund zehn Augenzeugen beobachteten, wie die beiden am 9. April von bewaffneten und maskierten Männern in ein Fahrzeug gestossen wurden. Wenig später wurde unweit der Stelle eine Erkennungsmarke des Militärs gefunden. Bulat Chilajew hatte als Fahrer für die Nichtregierungsorganisation Grazhdanskoe Sodeistvie gearbeitet, die sich unter anderem um die medizinische Versorgung von intern vertriebenen und anderen vom Tschetschenienkonflikt betroffenen Menschen kümmert. Bei Jahresende fehlte von den zwei Männern noch jede Spur.
In Inguschetien verübten bewaffnete Gruppen Berichten zufolge Mordanschläge auf staatliche Funktionsträger, bei denen auch unbeteiligte Passanten, Familienangehörige der Zielpersonen einschliesslich Minderjähriger sowie Leibwächter ums Leben kamen. Aus Nordossetien und Dagestan wurden ferner willkürliche Inhaftierungen gemeldet. Dort soll zudem ein Häftling im Gewahrsam der Polizei gefoltert und extralegal hingerichtet worden sein. Ende 2006 lebten in Inguschetien und Dagestan annähernd 25000 Menschen, die vor dem Konflikt in Tschetschenien geflüchtet waren.
Internationale Überwachung der Menschenrechtssituation
Im Vorfeld der Wahl Russlands in den neu geschaffenen Uno-Menschenrechtsrat im Mai sicherte die Regierung eine aktive Zusammenarbeit mit den Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen zu und verwies insbesondere darauf, dass mit dem Uno-Sonderberichterstatter über Folter ein Besuchstermin noch im laufenden Jahr vereinbart worden sei. Im Oktober verschob der Sonderberichterstatter jedoch seinen Besuch, in dessen Verlauf er vor allem den Nordkaukasus hatte bereisen wollen. Als Begründung gab er an, von russischer Seite sei ihm mitgeteilt worden, dass die Bedingungen, unter denen er üblicherweise Inspektionsbesuche durchführe, wegen Unvereinbarkeit mit innerstaatlichem Recht nicht akzeptiert werden können. Insbesondere waren die russischen Behörden nicht bereit, unangemeldete Besuche in Hafteinrichtungen und vertrauliche Gespräche mit Gefangenen zuzulassen. Seit dem Jahr 2000 wartete der Sonderberichterstatter bereits vergeblich auf eine Einreisegenehmigung nach Tschetschenien.
Europarat
Im Januar verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarats eine dezidiert kritische Resolution zu Tschetschenien, in der sie ineffektive Ermittlungen und die daraus resultierende Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen verurteilte und Repressalien gegen Personen anprangerte, die den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen hatten, um zu ihrem Recht zu gelangen. Bedauert wurden ferner das Ausbleiben von Massnahmen zur Wiederherstellung von Recht und Gesetz und die als Folge der Untätigkeit der Behörden anhaltende Gewalt und instabile Sicherheitslage. Die Versammlung forderte das Ministerkomitee des Europarats nachdrücklich auf, «sich seiner Verantwortung bei einer der wichtigsten Fragen im Bereich der Menschenrechte in einem Mitgliedstaat des Europarats zu stellen».
Im Mai appellierten Nichtregierungsorganisationen aus Anlass des zehnten Jahrestags des Beitritts von Russland zum Europarat eindringlich an die Regierung in Moskau, ihre damit eingegangenen Verpflichtungen einzulösen und unter anderem der Straflosigkeit in Tschetschenien ein Ende zu setzen.
Ebenfalls im Mai besuchte eine Delegation des Europäischen Ausschusses zur Verhütung der Folter Russland, erhielt jedoch erst mit Verzögerung Zugang zu der Ortschaft Tstenteroi, in der sich inoffizielle Hafteinrichtungen befunden haben sollen.
Ungeachtet einer entsprechenden Zusage vom Februar 1999 hatte die russische Regierung das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten zum Gegenstand hat, bis Ende des Berichtszeitraums nach wie vor nicht ratifiziert. Im November vertagte die Staatsduma, das russische Parlament, die Einführung von Schwurgerichten in Tschetschenien in das Jahr 2010. In allen anderen Landesteilen hatten derartige Gerichte längst ihre Tätigkeit aufgenommen. Als Konsequenz aus der Entscheidung des Parlaments blieb ein Todesstrafenmoratorium vorläufig in Kraft, das 1999 erlassen und dessen Gültigkeit solange festgeschrieben worden war, bis in der gesamten Russischen Föderation Geschworenengerichte etabliert worden sind.
Uno-Ausschuss gegen Folter
Der Uno-Ausschuss gegen Folter gab im November einen Bericht heraus, der eine Reihe von Defiziten der russischen Regierung bei der Bekämpfung der Folter aufdeckte. Der Ausschuss beanstandete das Fehlen einer an der Uno-Konvention gegen Folter orientierten Definition von Folterhandlungen im Strafgesetzbuch des Landes. Er monierte Gesetze und Praktiken, die inhaftierten Personen den Zugang zu Rechtsanwälten und Familienangehörigen erschwerten, und wies mit Sorge auf die Vielzahl übereinstimmender Vorwürfe über Folterungen und Misshandlungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen hin. Weitere Kritikpunkte des Ausschusses galten ausbleibenden Ermittlungen zur Aufklärung von Anschuldigungen über Folterungen und Misshandlungen sowie gewalttätigen Übergriffen gegen Wehrpflichtige in den Reihen der Streitkräfte und Repressalien gegen Rekruten, die gegen ihre Behandlung Beschwerde führen. Auch der Handel mit Frauen und Mädchen sowie fehlende Vorkehrungen zum Schutz von ausländischen Staatsbürgern vor Rückführungen und Abschiebungen standen auf der Mängelliste des Uno-Ausschusses gegen Folter. In Bezug auf Tschetschenien äusserte er sich besorgt angesichts vertrauenswürdiger Hinweise auf die Existenz inoffizieller Hafteinrichtungen, das «Verschwindenlassen» von Menschen, Entführungen und Folterungen.
Folterungen
In nahezu allen Landesteilen sahen sich auf Polizeistationen inhaftierte Personen Folterungen unterworfen. Vorschriften zur Vorbeugung gegen derartige Praktiken wurden von der Polizei vielfach missachtet, die unter dem Druck stand, «Geständnisse» präsentieren zu müssen. So wurden beispielsweise entgegen der Rechtslage Familien nicht über die Festnahme von Angehörigen informiert und Häftlingen die Rechte auf anwaltlichen Beistand und auf eine Untersuchung durch einen Arzt ihrer Wahl vorenthalten. Die Staatsanwaltschaften unterliessen es in aller Regel, Ermittlungen zur konsequenten Aufklärung von Foltervorwürfen zu veranlassen oder für einen effektiven Rechtsschutz zugunsten der mutmasslichen Opfer zu sorgen. Woran es in Russland nach wie vor mangelte, war ein wirksames, unabhängiges und landesweit durchsetzbares System unangemeldeter Inspektionsbesuche in Hafteinrichtungen. Aus mehreren Strafkolonien wie denen in Perm und Swerdlowsk trafen Berichte ein, denen zufolge dort inhaftierte Gefangene Schlägen durch das Wachpersonal ausgesetzt waren.
In einem Urteil vom Januar kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Schluss, dass die russischen Behörden den im Gewahrsam der Polizei befindlichen Häftling Alexei Michejew im September 1998 gefoltert und ihm Rechtsschutz versagt hatten. Die Richter erklärten die russische Regierung für schuldig, in dem verhandelten Fall gegen das Folterverbot und das Recht auf wirksame Beschwerde verstossen zu haben.
Im April wurde der im Untersuchungsgefängnis von Jekaterinenburg einsitzende Aslan Umachanow im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen zu Verhörzwecken auf eine Polizeiwache gebracht, ohne dass die Behörden seinen Rechtsanwalt von dieser Massnahme unterrichtet hatten. Auf der Wache soll der Mann von Ermittlern brutal geschlagen und mit Elektroschocks gequält worden sein, um ihn zu einem »Geständnis« zu zwingen. Obwohl die von Aslan Umachanow erlittenen Verletzungen in einem medizinischen Gutachten dokumentiert waren, blieben strafrechtliche Schritte zur Aufklärung seiner Foltervorwürfe aus.
Ehemalige Guantánamo-Häftlinge
Die Behörden der Republik Kabardinien-Balkarien hielten den ehemaligen Guantánamo-Gefangenen Rasul Kudajew trotz seiner angegriffenen Gesundheit weiterhin in Gewahrsam. Er war 2004 von den US-amerikanischen Behörden nach Russland überstellt, dort zunächst für rund vier Monate inhaftiert und anschliessend freigelassen worden. Nach Anschlägen in Naltschik, der Hauptstadt von Kabardinien-Balkarien, vom Oktober 2005 hatten die Behörden Rasul Kudajew erneut festgenommen und terroristischer Straftaten angeklagt. Seine Pflichtverteidigerin wurde im November 2005 von dem Fall entbunden, nachdem sie offiziell Beschwerde gegen die Folterung ihres Mandanten im Gewahrsam der Polizei eingereicht hatte. Versuche, sie durch die Anrufung der Gerichte wieder als Verteidigerin einzusetzen, blieben ohne Erfolg.
Flüchtlinge
In Übereinstimmung mit den Verpflichtungen Russlands aus internationalen Menschenrechtsabkommen und internationalem Flüchtlingsrecht hoben russische Gerichte mehrere Ausweisungsverfügungen gegen usbekische Staatsbürger auf oder setzten deren Vollzug vorläufig aus. Gleichwohl wurde mindestens ein Usbeke gegen seinen Willen in sein Heimatland zurückgeführt.
Im Oktober wiesen die russischen Behörden Rustan Muminow nach Usbekistan aus, obwohl er seine Absicht erklärt hatte, einen Asylantrag stellen zu wollen. Seine Ausweisung fand ungeachtet der Tatsache statt, dass vor einem Moskauer Gericht noch Rechtsmittel gegen diese Massnahme anhängig waren und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung bis auf Weiteres untersagt hatte. Die russische Justiz leitete in dem Fall noch im selben Monat strafrechtliche Ermittlungen ein.
Rechte sexueller Minderheiten
Angehörige sexueller Minderheiten, die in Moskau Clubs besuchten, in denen sie sich mit Gleichgesinnten treffen konnten, wurden Opfer gewalttätiger Übergriffe. Die Polizei musste sich Kritik gefallen lassen, weil sie den Betroffenen keinen ausreichenden Schutz bot.
Im Mai wurde eine in Moskau geplante Schwulenparade verboten. Bürgermeister Juri Lutschkow und führende Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche und der muslimischen Gemeinde sprachen sich vehement gegen die Durchführung einer solchen Parade aus und gaben Erklärungen mit eindeutig homosexuellenfeindlichem Tenor ab. Ein Moskauer Gericht befand das Verbot für rechtens. Personen, die an der Schwulenparade hatten teilnehmen wollen, legten stattdessen am Grab des unbekannten Soldaten vor dem Kreml Blumen ab und schlossen sich einer genehmigten Demonstration nahe dem Moskauer Rathaus an. An beiden Orten wurden sie von Gegendemonstranten provoziert, die ihnen homosexuellenfeindliche Parolen entgegenriefen und einige der Protestteilnehmer tätlich angriffen. Die Polizei liess offenbar Massnahmen zu ihrem Schutz vermissen und setzte wahllos gewalttätige wie friedliche Demonstranten beider Seiten fest. Im Verlauf der Ereignisse wurden mehrere Homosexuelle verletzt, ebenso Journalisten, die über die Vorgänge berichteten.
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz
Viele rassistisch motivierte Anschläge mit zum Teil tödlichem Ausgang wurden von den russischen Behörden nicht wirklich ernsthaft untersucht. Zwar war im Vergleich zu den Vorjahren ein grösseres Bemühen der Strafverfolgungsorgane zu erkennen, aus Rassenhass verübte Verbrechen aufzuklären und zu ahnden, das ganze Ausmass des Problems wurde jedoch weiterhin unterschätzt. Vereinzelte Initiativen auf örtlicher Ebene stellten keinen Ersatz für ein umfassendes Programm zur Bekämpfung rassistischer und fremdenfeindlicher Einstellungen dar.
Die neunjährige Liana Sisoko, Kind eines russisch-malischen Elternpaars, wurde am 25. März in St. Petersburg von zwei Jugendlichen mit Messerstichen schwer verletzt, die ihr am Aufzug des Wohnblocks ihres Elternhauses aufgelauert hatten. Die Täter schmierten Berichten zufolge ein Hakenkreuz an die Wand und schrieben hinzu: «Skinheads – wir haben es getan.»
Am 13. April starben in Wolgograd ein männlicher Roma und eine Russin eines gewaltsamen Todes, als eine Gruppe von 20 Jugendlichen eine Roma-Familie mit Metallstangen und Spaten angriff. Bei dem Anschlag, der allem Anschein nach rassistisch motiviert war, zogen sich mehrere andere Personen schwere Verletzungen zu. Die getötete Russin war als zufällige Passantin in das Geschehen hineingeraten.
Im März sprach ein Gericht sieben Angeklagte der Beteiligung an einem tödlichen Anschlag vom Februar 2004 auf die neunjährige Tadschikin Churscheda Sultonowa schuldig und verurteilte sie wegen »Rowdytums« zu Freiheitsstrafen zwischen 18 Monaten und fünfeinhalb Jahren. Einem der Angeklagten hatte die Staatsanwaltschaft Mord aus rassistischen Beweggründen zur Last gelegt, doch sprach das Gericht ihn von diesem Vorwurf frei.
Diskriminierendes Vorgehen der Polizei
Die beiden Nichtregierungsorganisationen Jurix und Open Society Justice Initiative veröffentlichten im Berichtszeitraum die Ergebnisse von Studien, aus denen hervorging, dass Menschen nichtslawischer Herkunft unverhältnismässig häufig von der Moskauer Polizei angehalten und durchsucht werden. Als sich in den Monaten September und Oktober die Beziehungen zwischen Russland und Georgien spürbar verschlechterten, wurden in der Folge Hunderte georgischer Staatsbürger wegen angeblichen Verstosses gegen die Einwanderungsgesetze oder unter Straftatverdacht nach Georgien ausgewiesen. In der Abschiebehaft mussten sie Berichten zufolge unhygienische Verhältnisse ertragen und blieben ohne Nahrung oder Wasser. Zwei georgische Abschiebehäftlinge sollen infolge dieser Missstände und wegen nicht ausreichender medizinischer Versorgung gestorben sein.
Gewalt gegen Frauen
Das Problem familiärer Gewalt gegen Frauen wurde vom russischen Gesetzgeber nach wie vor nicht angegangen. Auch die Unterstützung der Regierung für Frauenhäuser und Telefon-Hotlines war völlig unzureichend. Der Uno-Ausschuss gegen Folter äusserte sich im November äusserst besorgt über das Ausmass häuslicher Gewalt in Russland und ein viel zu geringes Angebot an Zufluchtsstätten für die Opfer. Er rief die Regierung auf, mittels entsprechender Gesetze für einen angemessenen Schutz von Frauen zu sorgen, Massnahmen gegen familiäre Gewalt zu ergreifen, den Opfern medizinische, soziale und rechtliche Unterstützung zukommen zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu bieten, zumindest vorübergehend an einem sicheren Ort Zuflucht zu finden. Der Ausschuss appellierte ferner eindringlich an die Behörden, die Täter für ihre Gewaltexzesse vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen.
Im Berichtszeitraum stellte das Frauenhaus in Petrosawadsk, der Hauptstadt der Republik Karelien, seinen Betrieb ein. Es war eines der wenigen staatlich geförderten Zufluchtsstätten für weibliche Gewaltopfer gewesen.
Zweifel an der Fairness von Gerichtsverfahren
Einige Gefangene verbüssten im Berichtsjahr Freiheitsstrafen, die nach Gerichtsverfahren gegen sie verhängt worden waren, welche internationalen Standards für einen fairen Prozess nicht entsprochen haben und nach Überzeugung der Verteidiger aus politischen Gründen angestrengt worden sind.
Michail Chodorkowskij, ehemals Vorstandsvorsitzender des Erdölkonzerns YUKOS, und sein einstiger Geschäftspartner Platon Lebedjew sassen neunjährige Haftstrafen ab, zu denen sie ein Gericht 2005 wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt hatte. Beiden wurde das Recht verwehrt, ihre Strafen in oder zumindest nahe ihrer Heimatregion abzuleisten. Im Januar wurde Michael Chodorkowskij ohne rechtliche Grundlage für zwei Wochen in eine Strafzelle gesperrt, weil man in seinem Besitz eine Kopie frei zugänglicher Richtlinien für die Behandlung von Gefangenen gefunden hatte. Im März musste er erneut eine Woche lang in einer Strafzelle verbringen, weil er in einem Bereich des Gefängnistrakts Tee getrunken hatte, in dem dies nicht erlaubt war.
Der zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilte Rechtsanwalt Michail Trepaschkin, ein ehemaliger Mitarbeiter der russischen Sicherheitsdienste, blieb in der Haft ohne ausreichende medizinische Behandlung seiner chronischen Asthmaerkrankung. Er war 2005 von einem Militärgericht unter anderem des Verrats von Staatsgeheimnissen für schuldig befunden und zur Ableistung seiner Strafe in eine Gefängniskolonie eingewiesen worden. Die dortige Verwaltung soll Michail Trepaschkin eine Zelle ohne Heizung und Belüftung zugeteilt haben, um ihn unter Druck zu setzen, damit er seine Beschwerde gegen die mangelnde Fairness seines Gerichtsverfahrens und gegen seine Behandlung in der Haft