Oyub Titiev, Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny / (Ersatzbild nach Ablauf der Bildrechte vom Originalbild) © Amnesty International
Oyub Titiev, Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny / (Ersatzbild nach Ablauf der Bildrechte vom Originalbild) © Amnesty International

Russland Menschenrechtsverteidiger droht in Tschetschenien ein unfairer Prozess

9. Juli 2018
Die russischen Behörden müssen den Menschenrechtsverteidiger Oyub Titiev sofort und bedingungslos freilassen, fordert Amnesty International. Dem Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial in Grosny drohen bis zu zehn Jahre Haft wegen angeblichen Drogenbesitzes.

Oyub Titievs Gerichtsverhandlung begann am 9. Juli 2018 in Shali, 36 Kilometer von der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entfernt. «Der Strafprozess gegen Oyub Titiev ist ein Skandal. Die Vorwürfe gegen ihn sind politisch motiviert. Es handelt sich um einen Vergeltungsschlag gegen einen Mann, der mutig genug ist, sich in einer Region, die von grausamen Verbrechen wie Verschwindenlassen und Folter in Geheimgefängnissen geplagt ist, für Menschenrechte einzusetzen», sagte Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International.

«Es gibt wenig Hoffnung, dass Oyubs Recht auf einen fairen Prozess respektiert wird. In Tschetschenien gibt es keine unabhängige Justiz: Richter und Richterinnen werden von Handlangern des vom Kreml gestützten Präsidenten der Republik, Ramsan Kadyrow, eingeschüchtert.»

Oyub Titievs Anwaltsteam hatte beantragt, dass dieser in einer anderen Region Russlands vor Gericht gestellt wird, da ihm in Tschetschenien wegen der fehlenden Unabhängigkeit zwischen Justiz und Exekutive ein unfairer Prozess drohe. Am 5. Juli hat der Oberste Gerichtshof Tschetscheniens den Antrag abgelehnt. Das Anwaltsteam hat gegen diesen Entscheid Berufung eingelegt.

«Die Verlegung von Titievs Fall in eine andere Region ist die einzige Chance, um zu verhindern, dass seine Verurteilung schon von Anfang an feststeht», sagte Marie Struthers.

Oyub Titiev wurde am 9. Januar 2018 von der Polizei in seinem Auto in Grosny angehalten und während mehrerer Stunden ohne Kontakt zur Aussenwelt festgehalten. Die tschetschenischen Behörden behaupteten später, Drogen in seinem Auto gefunden zu haben. Titiev wehrte sich gegen die Vorwürfe. Er hält daran fest, dass die Polizei die Drogen absichtlich in seinem Auto deponiert habe.

Weitere Informationen zu Oyub Titiev

Memorial ist Opfer ständiger Repressalien

In den letzten Jahren wurden Memorial und ihre Mitarbeitenden in Tschetschenien immer wieder Opfer von Belästigungen, Einschüchterungen und physischer Gewalt. 2009 wurde die Memorial-Mitarbeiterin Natalia Estemirova in der Nähe ihres Zuhauses entführt und umgebracht. Es wurde niemand für den Mord an Estemirova zur Rechenschaft gezogen.

Oyub Titiev selbst wurde von Ramsan Kadyrow persönlich angegriffen. 2010 sagte der Präsident der Republik im tschetschenischen Fernsehen, dass «ein Mann und eine Frau von Memorial» – eine klare Anspielung auf Oyub Titiev und eine seiner Kolleginnen – «Feinde des Volks, des Rechts und des Staats» seien.

Memorial wurde zum Ziel mehrerer Attacken in Tschetschenien und in den benachbarten Regionen des russischen Nordkaukasus. Kurz nach Titievs Festnahme wurde das Memorial-Büro in Nazran in der Republik Inguschetien in Brand gesetzt. Bis heute wurde niemand für die Tat zur Rechenschaft gezogen.  Am 28. März wurde Sirazhutdin Datsiev, Leiter des Memorial-Büros in Dagestan, von einem Unbekannten verprügelt.

Kreml ignoriert Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien

Die russischen Bundesbehörden ignorieren systematische und schwere Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien konsequent und vernachlässigen damit ihre Verpflichtung, die Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen.

Sogar den letztjährigen Berichten über eine schreckliche Säuberungsaktion gegen Homosexuelle in der Region wurde auf Bundesebene kaum Beachtung geschenkt; die Behörden lehnten eine offizielle Untersuchung ab und ignorierten glaubwürdige Beweise von JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen.

Weitere Informationen zur Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien