Amnesty International Report 2017/18 Die Menschenrechtslage in der Russischen Föderation

22. Februar 2018
Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert. Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet.

Amtliche Bezeichnung: Russische Föderation
Staatsoberhaupt: Wladimir Putin
Staats- und Regierungschef: Dmitri Medwedew

 

Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Russland blockierte im UN-Sicherheitsrat mit seinem Vetorecht mehrere Resolutionen zu Syrien. Migranten und Flüchtlingen wurden die ihnen zustehenden Rechte verweigert. Ein neues Gesetz legte fest, dass häusliche Gewalt nur noch in bestimmten Fällen strafbar war. Immer wieder wurden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche Opfer von Diskriminierung und Gewalt. In Tschetschenien wurden zahlreiche Männer Opfer von Entführungen, Folter und Tötungen im Zuge einer gezielten Kampagne der Behörden gegen Homosexuelle.

GESETZLICHE, VERFASSUNGSRECHTLICHE UND INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN

Am 10. Februar 2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstösse gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an.

Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmässigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet.

GEWALT GEGEN FRAUEN UND MÄDCHEN

Im Februar 2017 trat ein Gesetz in Kraft, wonach häusliche Gewalt, die von „engen Verwandten“ verübt wird, nicht mehr als Straftat gilt, wenn die Opfer Schmerzen erleiden, sondern nur noch dann, wenn sie Verletzungen davontragen und ihre Arbeitsfähigkeit verlieren. Die Neuregelung führte dazu, dass in einigen Regionen die Zahl gewaltsamer Übergriffe gegen Frauen zunahm.

RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT

2017 gab es im ganzen Land so viele Protestkundgebungen wie seit Jahren nicht mehr. Hunderte friedlich Demonstrierende, Passanten und Journalisten wurden festgenommen. Viele von ihnen erfuhren grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Sie wurden über lange Zeiträume willkürlich in Haft gehalten und in unfairen Verfahren zu hohen Geldstrafen oder mehrtägiger Verwaltungshaft verurteilt.

Im März 2017 kam es in mindestens 97 Städten zu Protesten gegen Korruption. Vielerorts löste die Polizei friedliche Kundgebungen mit exzessiver und unnötiger Gewalt auf. Mehr als 1600 Personen wurden festgenommen, unter ihnen mindestens 14 Journalisten, die über die Proteste berichtet hatten. Gegen viele der Inhaftierten wurden in unfairen Verfahren politisch motivierte Anklagen erhoben. Hunderte befanden sich allein deshalb in Haft, weil sie friedlich ihre Rechte auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit wahrgenommen hatten. In der Hauptstadt Moskau wurden 14 Mitarbeiter und freiwillige Helfer der Stiftung für Korruptionsbekämpfung, die eine von vielen Menschen verfolgte Live-Übertragung der Proteste im Internet organisiert hatten, in ihren Büros willkürlich festgenommen. Zwölf von ihnen wurden am 27. bzw. 28. März zu Verwaltungshaft verurteilt.

Nach dem 26. März 2017 wurden mindestens acht Demonstranten, die bei Kundgebungen in Moskau, Petrosawodsk und Wolgograd versucht hatten, sich und andere gegen Polizeigewalt zu schützen, wegen angeblicher Gewaltdelikte schuldig gesprochen. Gegen weitere Protestierende wurden Strafverfolgungsmassnahmen eingeleitet und in einigen Fällen fragwürdige Anklagen erhoben.

An den grössten Protestkundgebungen nahmen viele Schüler und Studierende teil. Um sie unter Druck zu setzen, sprachen Lehrkräfte an Schulen und Universitäten auf Anweisung der Behörden informell Warnungen aus und drohten ihnen mit Ausschluss vom Unterricht. In einigen Fällen, in denen die Protestierenden minderjährig waren, drohten die Behörden damit, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen.

Am 7. Februar 2017 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sein Urteil im Fall Lashmankin u. a. gegen Russland. Es handelte sich um eine Beschwerde, die 23 Personen aus verschiedenen Regionen eingereicht hatten. Das Gericht vertrat die Ansicht, Russland habe durch strenge Auflagen in Bezug auf Zeit, Ort und Ablauf von Demonstrationen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt, ohne ihnen Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln zu gewähren. Die Beschwerde bezog sich auf Ereignisse in den Jahren 2009 bis 2012, als für Kundgebungen noch weniger restriktive Bestimmungen galten als 2017.

RECHT AUF VEREINIGUNGSFREIHEIT

Das Gesetz zu "ausländischen Agenten" wirkte sich 2017 weiterhin auf die Tätigkeit von NGOs aus. Die beim Justizministerium geführte Liste "ausländischer Agenten" wurde um 13 Organisationen erweitert, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten. Mehrere Dutzend Organisationen wurden aus der Liste gestrichen, weil sie geschlossen worden waren, keine Unterstützung mehr aus dem Ausland erhielten oder ihre "politischen Aktivitäten" gemäss dem Gesetz über "ausländische Agenten" eingestellt hatten, so dass am Jahresende 85 Organisationen auf der Liste verblieben. NGOs, die von dem Gesetz betroffen waren, darunter führende Menschenrechtsorganisationen, sahen darin jedoch keine Verbesserung.

Im März 2017 fasste der EGMR die Beschwerden von 61 russischen NGOs gegen das Gesetz über "ausländische Agenten" zusammen und übermittelte sie der russischen Regierung zur Stellungnahme. Im September gaben die russischen Behörden ihre Stellungnahme ab. Das Verfahren war Ende des Jahres noch nicht abgeschlossen.

Im bislang einzigen Strafverfahren in Bezug auf das Gesetz über "ausländische Agenten" wurde die Anklage gegen die Menschenrechtsverteidigerin Valentina Cherevatenko am 19. Juni 2017 mit der Begründung fallen gelassen, es liege kein Straftatbestand vor. Ihr war "systematische Unterlassung gesetzlicher Pflichten" vorgeworfen worden.

Vier weitere ausländische Organisationen wurden für "unerwünscht" erklärt. Damit waren nicht nur die betreffenden Organisationen in Russland illegal, sondern auch jegliche Arbeit und Unterstützung für sie. Ende 2017 gab es insgesamt elf "unerwünschte" Organisationen.

Von September bis November 2017 wurden gegen mehrere NGOs Verwaltungsverfahren wegen Verbreitung von Materialien "unerwünschter" Organisationen eingeleitet. Betroffen waren das SOWA-Zentrum, die Andrey-Rylkov-Stiftung für Gesundheit und soziale Gerechtigkeit, das Zentrum für unabhängige Sozialforschung und das Zentrum für soziale Partnerschaft. Sie hatten noch nicht alle alten Links und Hinweise auf "unerwünschte" Organisationen von ihren Internetseiten entfernt. Das Verwaltungsverfahren gegen das SOWA-Zentrum wurde wegen Verjährung eingestellt. Andere NGOs mussten je 50000 Russische Rubel (etwa 720 Euro) Strafe bezahlen.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUssERUNG

Die meisten Medien waren 2017 weiterhin faktisch staatlich kontrolliert und wurden von den Behörden genutzt, um Menschenrechtsverteidiger, Oppositionelle und andere kritische Stimmen zu verleumden. Überall im Land wurden Initiatoren von Protestbewegungen und politische Aktivisten, die kritischen Stimmen Gehör verschafften, von Regierungsanhängern und "unbekannten" Personen, die vermutlich den Sicherheitsbehörden angehörten oder mit ihnen zusammenarbeiteten, schikaniert und körperlich attackiert.

Die Behörden versetzten der Meinungsfreiheit im Internet einen weiteren Schlag, indem sie u. a. Anonymisierungsdienste und virtuelle private Netzwerke verboten. Im Mai 2017 genehmigte Präsident Wladimir Putin die "Strategie für die Entwicklung der Informationsgesellschaft 2017–2030", die vorsah, den "traditionellen geistig-ethischen Werten Russlands" bei der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien Vorrang einzuräumen.

Die Gesetzgebung zur Bekämpfung des Extremismus wurde ausgeweitet und willkürlich eingesetzt, um das Recht auf freie Meinungsäusserung zu beschneiden. Im August 2017 äusserte sich der UN-Ausschuss für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung besorgt darüber, dass die Bestimmungen dazu genutzt wurden, um Personen zum Schweigen zu bringen, die diskriminierten Bevölkerungsgruppen angehörten. Er empfahl erneut, den Begriff des Extremismus in den Rechtsvorschriften klar zu definieren und die "Föderale Liste extremistischen Materials" abzuschaffen.

Die künstlerische Freiheit wurde in einigen Fällen auf Druck konservativer Gruppen eingeschränkt, die bestimmte Kunstwerke als Beleidigung ihres religiösen Glaubens betrachteten. Theateraufführungen wurden abgesagt, und die daran Beteiligten waren Anfeindungen und physischer Gewalt ausgesetzt. Gegen eine Reihe prominenter Moskauer Theatermacher wurden Strafverfahren eingeleitet, die von der Fachwelt einhellig verurteilt und als politisch motiviert eingestuft wurden.

Im November 2017 trat ein Gesetz in Kraft, das es den Behörden erlaubte, Medien, die ihren Sitz im Ausland hatten und aus dem Ausland finanziert wurden, als "ausländische Agenten" einzustufen. Dies schadete ihrem Ansehen und war mit Auflagen verbunden, was die Offenlegung ihrer Finanzen anging. Ende 2017 waren neun Massenmedien zu "ausländischen Agenten" erklärt worden.

RECHT AUF RELIGIONS- UND GLAUBENSFREIHEIT

Staatliche Stellen schikanierten nach wie vor religiöse Minderheiten, indem sie Gruppen verboten, deren Internetseiten sperrten und Publikationen auf die "Föderale Liste extremistischen Materials" setzten.

Am 20. April 2017 verbot das Oberste Gericht die Moskauer Zentrale und die 395 Regionalverbände der Zeugen Jehovas in Russland. Zur Begründung hiess es, die Religionsgemeinschaft mit ihren mehr als 170000 Anhängern sei "extremistisch". Zeugen Jehovas, die sich weiter zu ihren Überzeugungen bekannten, mussten mit Strafverfolgung und Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren rechnen.

Die 2016 eingeführten restriktiven Bestimmungen bezüglich missionarischer Aktivitäten wurden wahllos angewandt. So unternahmen die Behörden im Januar 2017 den Versuch, einen Yogalehrer in Sankt Petersburg wegen eines öffentlichen Vortrags strafrechtlich zu verfolgen. In Wladiwostok beschlagnahmten sie Bibeln der Heilsarmee, weil sie entgegen den Vorschriften nicht mit dem Namen der verteilenden Organisation gekennzeichnet waren.

Am 11. Mai 2017 verurteilte ein Gericht in Jekaterinburg den Blogger Ruslan Sokolovsky zu einer Bewährungsstrafe von dreieinhalb Jahren, die im Rechtsmittelverfahren auf zwei Jahre und drei Monate herabgesetzt wurde. Er wurde wegen "Anstiftung zu Hass" und "Beleidigung der Gefühle von Gläubigen" schuldig gesprochen, weil er ein Video ins Internet gestellt hatte, in dem zu sehen war, wie er das Smartphone-Spiel Pokémon Go in einer Kirche spielte.

RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANS- UND INTERGESCHLECHTLICHEN

Die staatlich unterstützte Diskriminierung und Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen ging 2017 unvermindert weiter, und das homofeindliche "Propagandagesetz" wurde aktiv durchgesetzt. Am 18. Oktober wurde die Aktivistin Evdokia Romanova von einem Gericht in Samara wegen "Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen" zu einer Geldstrafe von 50000 Russischen Rubel (etwa 720 Euro) verurteilt, weil sie 2015 und 2016 in den sozialen Medien Links zur Internetseite der internationalen Organisation Jugendkoalition für sexuelle und reproduktive Rechte (Youth Coalition for Sexual and Reproductive Rights) geteilt hatte.

Im April 2017 berichtete die unabhängige Tageszeitung Nowaja Gaseta, dass in Tschetschenien mehr als 100 Männer, die man für schwul hielt, verschleppt und in Geheimgefängnissen gefoltert und anderweitig misshandelt worden seien. Einige der Männer seien getötet worden. Überlebende berichteten, es habe sich um eine von den Behörden koordinierte Gewaltkampagne gehandelt. Augenzeugen sagten aus, einige der gefangen genommenen Männer seien getötet worden, andere habe man ihren Familien übergeben, damit diese sie gemäss lokalen "Traditionen" töteten, um die "Familienehre" zu wahren.

Die Ermittlungsbehörden der Russischen Föderation reagierten nur zögerlich auf die Berichte. Sie lehnten die Einleitung einer förmlichen Untersuchung ab, nachdem ein langwieriges Vorermittlungsverfahren zu dem Ergebnis geführt hatte, die Vorwürfe seien nicht fundiert genug, trotz der Bemühungen der russischen Ombudsfrau für Menschenrechte, die entsprechenden Fakten zu erheben und zu überprüfen. Bis zum Jahresende war offenbar noch keine Untersuchung eingeleitet worden.

NORDKAUKASUS

Aus dem Nordkaukasus wurden auch 2017 schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie aussergerichtliche Hinrichtungen. Die Lage in Tschetschenien verschlechterte sich weiter. Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei.

Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Nowaja Gaseta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gaseta solidarisch erklärten, wurden bedroht.

Die Tageszeitung Nowaja Gaseta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien. Soweit bekannt, war bis zum Jahresende noch niemand im Zusammenhang mit diesen Vorfällen strafrechtlich verfolgt worden.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Unabhängige Prozessbeobachter berichteten, dass in Strafprozessen und Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten systematisch gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstossen wurde. Dies betraf auch Fälle, in denen es um gewaltfreien Protest ging. Die meisten Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten stützten sich auf äusserst umstrittene Polizeiberichte als einziges Beweismaterial. Die Prozesse endeten mit hohen Geld- und langen Haftstrafen. Oft waren die Verfahren sehr kurz; nach den Protesten am 26. März 2017 verhandelte das für den Moskauer Bezirk Twerskoi zuständige Gericht 476 Fälle an 17 Prozesstagen.

Am 22. August 2017 wurde Aleksandr Eivazov, ehemaliger Gerichtssekretär am St. Petersburger Oktyabrsky-Bezirksgericht und Whistleblower, wegen "Behinderung der Justiz" festgenommen. Er hatte sich geweigert, ein Verhandlungsprotokoll, das eine andere Person verfasst hatte, zu unterzeichnen und zurückzudatieren. Aleksandr Eivazov war Zeuge zahlreicher Verstösse gegen Verfahrensordnungen, ethische Grundsätze und die Rechte von Beschäftigten im Justizwesen geworden. Er hatte sich mit entsprechenden Beschwerden an die zuständigen Behörden gewandt und die Informationen in den sozialen Medien verbreitet. Soweit bekannt, befasste sich niemand mit seinen Beschwerden. Ende 2017 war Aleksandr Eivazov trotz seiner Asthmaerkrankung immer noch inhaftiert.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen.

Im Januar 2017 wurde bekannt, wo sich der gewaltlose politische Gefangene Ildar Dadin befand, nachdem er während eines Gefangenentransports einen Monat lang "verschwunden" war. Ildar Dadin hatte in einem im November 2016 veröffentlichten Brief den Vorwurf erhoben, in der Gefängniskolonie Segezha gefoltert worden zu sein, und wurde daraufhin in eine andere Kolonie verlegt. Die Behörden verweigerten seinen Anwälten und seinen Angehörigen bis zur Ankunft in der neuen Hafteinrichtung jegliche Auskunft über seinen Verbleib.

Im Mai 2017 befasste sich der EGMR mit acht Beschwerden aus Russland und entschied, dass der Transport der Gefangenen durch die Strafvollzugsbehörden grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstelle. Das Urteil betraf u. a. Anna Lozinskaya und Valery Tokarev, die mehrfach mit Fahrzeugen transportiert worden waren, deren eingebaute Einzelzellen nur 0,3 Quadratmeter Fläche umfassten.

Die öffentlichen Aufsichtskommissionen, die der unabhängigen Überwachung der Haftanstalten dienten, verloren weiter an Bedeutung und erzielten kaum Wirkung, nicht zuletzt wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung. Die Mitglieder der Kommissionen wurden von öffentlichen Kammern ernannt, bei denen es sich um beratende Gremien handelte, die sich aus staatlich ausgewählten Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammensetzten. Eine Änderung der Ernennungsregeln führte dazu, dass einige Aufsichtskommissionen weniger Mitglieder umfassten. Dies wirkte sich zum Teil auf die Unabhängigkeit der Kommissionen aus, weil bestimmte Menschenrechtsverteidiger faktisch von einer Mitwirkung ausgeschlossen waren.

Es gab Berichte, wonach Mitgliedern der öffentlichen Aufsichtskommissionen und des Menschenrechtsrats des Präsidenten sowie anderen unabhängigen Beobachtern der Zugang zu Strafkolonien von der jeweiligen Gefängnisverwaltung willkürlich verweigert wurde.

BEWAFFNETER KONFLIKT – SYRIEN

Russland nutzte im UN-Sicherheitsrat 2017 fünfmal sein Vetorecht, um Resolutionen zu Syrien zu verhindern. Das Land blockierte Resolutionen, die Sanktionen für die Produktion und den Einsatz chemischer Waffen in Syrien vorsahen, den Angriff mit chemischen Waffen auf Chan Scheichun verurteilten und die syrische Regierung aufforderten, Inspekteuren Zugang zu allen entsprechenden Anlagen zu gewähren. Ausserdem verhinderte Russland, dass das Mandat des Gemeinsamen Untersuchungsmechanismus verlängert wurde, der ermitteln sollte, wer für den Einsatz chemischer Waffen in Syrien verantwortlich war.

RECHTE VON FLÜCHTLINGEN UND MIGRANTEN

Nach wie vor schob Russland Asylsuchende und Flüchtlinge in Länder ab, in denen sie Gefahr liefen, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.

Am 1. August 2017 entschied ein Moskauer Gericht, der usbekische Journalist Khudoberdi Nurmatov (auch bekannt unter dem Pseudonym Ali Feruz) habe gegen die russischen Einwanderungsgesetze verstossen und solle nach Usbekistan abgeschoben werden. Khudoberdi Nurmatov war einige Jahre zuvor aus Usbekistan geflohen, da er vom Geheimdienst verfolgt wurde, nachdem er sich geweigert hatte, als Informant für den Dienst zu arbeiten. Ausserdem drohten ihm Strafverfolgungsmassnahmen auf Grundlage eines usbekischen Gesetzes, wonach einvernehmlicher Geschlechtsverkehr zwischen Männern strafbar ist. Nachdem der EGMR vorläufige Massnahmen erlassen hatte, setzte das Moskauer Stadtgericht die Abschiebung am 8. August 2017 aus, ordnete allerdings Khudoberdi Nurmatovs Inhaftierung in einer Hafteinrichtung für ausländische Staatsbürger an, in der er sich Ende 2017 immer noch befand. Seine Beschwerde wurde vom EGMR im Dezember der russischen Regierung zur Stellungnahme übermittelt.

Für Arbeitsmigranten und andere Ausländer war die polizeiliche Anmeldung am Wohnort Voraussetzung, um Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung zu erhalten. Oft verweigerten die Vermieter jedoch die erforderliche Zustimmung.

Im September 2017 wurde die Menschenrechtsverteidigerin Tatiana Kotlyar zu einer Geldstrafe von 150000 Russischen Rubel (etwa 2170 Euro) verurteilt, weil sie unter ihrer Adresse 167 Migranten angemeldet hatte, um ihnen den Zugang zu grundlegenden Leistungen zu ermöglichen. Wegen Verjährung wurde ihr die Geldstrafe erlassen.