In den letzten 12 Monaten haben die russischen Behörden eine beispiellose Kampagne der Unterdrückungen und Repressalien gegen den zu Unrecht inhaftierten Oppositionsführer Alexej Nawalny und seine Mitstreiter*innen geführt. Alle Überreste des Rechts auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit wurden zerstört, hält Amnesty International heute am ersten Jahrestag der Verhaftung des Politikers fest.
Dutzende von Nawalnys Mitarbeiter*innen und Anhänger*innen werden wegen falscher Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt.Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International
«Seit der Festnahme von Alexej Nawalny auf einem Moskauer Flughafen vor einem Jahr sind der Politiker, seine Anhänger*innen und Organisationen der russischen Zivilgesellschaft unerbittlichen Repressalien ausgesetzt. Dutzende von Nawalnys Mitarbeiter*innen und Anhänger*innen werden wegen falscher Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt. Eine wachsende Zahl von ihnen befindet sich bereits im Gefängnis. Inzwischen haben die Behörden seine Organisationen als extremistisch eingestuft und ihre Websites blockiert», sagte Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International. «Einige von Alexej Nawalnys Mitstreiter*innen konnten aus dem Land fliehen, doch nun befürchten sie, dass ihre Angehörigen in Russland ein ähnliches Schicksal der unbegründeten Verfolgung und Inhaftierung erleiden werden. Am Jahrestag seiner Verhaftung erleben Nawalny und seine Mitstreiter*innen die Hölle auf Erden.»
Willkürlicher Extremismus-Vorwurf
Alexej Nawalny wurde am 17. Januar 2021 auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo willkürlich festgenommen – nach seiner Ankunft aus Berlin, wo er sich nach seiner Vergiftung in Sibirien im August 2020 erholt hatte. Er wurde in Untersuchungshaft genommen, weil er es angeblich versäumt hatte, sich regelmässig persönlich bei seiner Bewährungshilfe zu melden, während er sich von seiner fast tödlichen Vergiftung erholte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bewertete die Verurteilung Alexej Nawalnys im Jahr 2014 und die anschliessende Haftstrafe als «willkürlich und offensichtlich unangemessen».
Am 2. Februar 2021 ersetzte ein Gericht in Moskau Nawalnys Strafe ohne Freiheitsentzug durch eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und acht Monaten, die später um zwei Monate verkürzt wurde. Bald darauf begannen die russischen Behörden die Antikorruptionsstiftung und die Stiftung zum Schutz der Bürgerrechte aufzulösen, die Nawalny gegründet hatte, und schlossen seine Büros. Am 9. Juni 2021 wurden die beiden Organisationen offiziell als extremistisch eingestuft und verboten.
Die Aktivitäten der beiden Organisationen wurden seitdem kriminalisiert. Am 28. September 2021 leiteten die Behörden ein Strafverfahren gegen Nawalny und seine Mitstreiter*innen ein. Ihnen wurde vorgeworfen, eine extremistische Vereinigung gegründet zu haben. Am 9. November wurde Lilia Chanysheva, die ehemalige Koordinatorin von Nawalnys Büro in Ufa, in Untersuchungshaft genommen.
Dutzende Mitglieder aus Nawalnys Team und regionale Koordinator*innen seiner breiteren politischen Bewegung haben Russland inzwischen aus Angst vor politischer Verfolgung verlassen. Juri Schdanow, der Vater von Iwan Schdanow, dem Direktor der Antikorruptionsstiftung, wurde im März 2021 unter dem Vorwurf der «Fälschung» und des «gross angelegten Betrugs» verhaftet.
Alexej Nawalny drohen weitere erfundene Anklagen und bis zu 15 zusätzliche Jahre Gefängnis zusätzlich zu seiner derzeitigen Haftstrafe. Ihm werden «Missachtung des Gerichts», «Betrug in besonders grossem Ausmass» und «Geldwäsche» im Zusammenhang mit der angeblichen Veruntreuung von Spenden an seine NGOs vorgeworfen. Ausserdem wird ihm vorgeworfen, eine Organisation gegründet zu haben, die «die Persönlichkeit und die Rechte der Bürger verletzt».
Sofortige Freilassung gefordert
«Das rücksichtslose Vorgehen des Kremls, der Alexej Nawalny und seine Unterstützer*innen zum Schweigen bringen und verleumden will, muss jetzt ein Ende haben. Mehr als 360000 Menschen auf der ganzen Welt haben eine Petition von Amnesty International unterzeichnet, und fordern von den russischen Behörden, Alexej Nawalny sofort und bedingungslos freizulassen», sagte Marie Struthers.
Das rücksichtslose Vorgehen des Kremls, der Alexej Nawalny und seine Unterstützer*innen zum Schweigen bringen und verleumden will, muss jetzt ein Ende haben.
Marie Struthers
«Wir rufen die Staats- und Regierungschefs, internationale Organisationen und Menschen auf der ganzen Welt auf, sich nicht nur der Forderung nach der sofortigen Freilassung von Alexej Nawalny anzuschliessen, sondern auch nach einem Ende der brutalen Repressalien gegen seine Unterstützer*innen. Die Menschen in Russland sollten nicht unter der Unterdrückung ihrer Menschenrechte leiden müssen. Sie verdienen, dass ihre Stimmen gehört werden, ohne dass sie Repressalien befürchten müssen.»