Zu den in Russland Verfolgten gehören Studierende, Rechtsanwält*innen, Kunstschaffende und Politiker*innen. Die Zahl derer, die wegen ihrer Kritik am Krieg nach verschiedenen Artikeln des Strafgesetzbuches strafrechtlich verfolgt werden, liegt Berichten zufolge bei über 200. Betroffen ist u.a. die Journalistin Marina Ovsyannikova, die einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, als sie im russischen Fernsehen ein Anti-Kriegs-Plakat hochgehalten hat.
Amnesty International fordert die russischen Behörden auf, all jene Menschen, die friedlich Kritik am Krieg geäussert haben, unverzüglich und bedingungslos freizulassen und die neuen Gesetze sowie alle anderen mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung unvereinbaren Gesetze aufzuheben. Ausserdem appelliert Amnesty erneut an die internationale Gemeinschaft, «alle Möglichkeiten internationaler und regionaler Mechanismen zu nutzen, um eine wirksame Untersuchung der Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte in der Ukraine sicherzustellen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.» Ein entscheidendes Element dabei sei die Unterstützung derjenigen in Russland, die sich aktiv gegen die russische Aggression in der Ukraine wenden.
«Die Stimmen, die sich gegen den Krieg und die von den russischen Streitkräften begangenen Übergriffe erheben, dürfen nicht zum Schweigen gebracht werden.»
«Die Stimmen, die sich gegen den Krieg und die von den russischen Streitkräften begangenen Übergriffe erheben, dürfen nicht zum Schweigen gebracht werden», so Amnesty International in dem Statement. «Die Freiheit des Zugangs zu Informationen sowie der Äusserung von – durchaus auch abweichenden – Meinungen ist ein entscheidendes Element für den Aufbau einer wirksamen Antikriegsbewegung in Russland. Indem sie kritische Stimmen ausschalten, versuchen die russischen Behörden, die öffentliche Unterstützung für ihren Angriffskrieg in der Ukraine zu stärken und aufrechtzuerhalten.»
HINTERGRUND
Schwerer Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäusserung
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine stiess im eigenen Land auf breite Kritik. Zehntausende Russ*innen protestierten friedlich auf den Strassen und kritisierten die Aggression in sozialen Medien. Die russischen Behörden reagierten mit einem harten Vorgehen gegen Demonstrierende und Kritiker*innen und nahmen Berichten zufolge mehr als 16'000 Personen fest, weil sie gegen die unangemessen restriktiven Vorschriften des Landes für öffentliche Versammlungen verstossen hatten. Die Behörden gingen auch hart gegen die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien vor, indem sie viele zwangen, ihr Büro zu schliessen, das Land zu verlassen oder ihre Berichterstattung über den Krieg einzuschränken und stattdessen offizielle russische Berichte zu zitieren. Menschenrechts-NGOs wurden als «ausländische Agent*innen» oder als «unerwünscht» bezeichnet, waren von willkürlichen Schliessungen oder der Sperrung ihrer Websites betroffen und anderen Formen von Schikanen ausgesetzt.
Das Verbot der Weitergabe von Informationen über die Aktivitäten der russischen Streitkräfte stellt einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäusserung dar, einschliesslich des Rechts, Informationen zu suchen, zu empfangen und weiterzugeben, das u.a. durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die EMRK und die russische Verfassung garantiert ist. Die russischen Behörden können diese Rechte zwar einschränken, doch müssen solche Einschränkungen notwendig und verhältnismässig sein, um die Existenz der russischen Nation, ihre territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit vor Gewalt oder Gewaltandrohung zu schützen. Die pauschale Kriminalisierung von Kritik an den Streitkräften erfüllt diese Voraussetzung nicht.