Symbolbild (nach Ablauf der Bildrechte vom Originalbild) © Amnesty International (Photo Karen Veldkamp)
Symbolbild (nach Ablauf der Bildrechte vom Originalbild) © Amnesty International (Photo Karen Veldkamp)

Russland Hartes Vorgehen gegen 20'000 Kriegskritiker*innen

Medienmitteilung 20. Juli 2023, London/Bern – Medienkontakt
Die russischen Behörden gehen immer schärfer gegen Personen vor, die in Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine anprangern. Bereits mehr als 20‘000 Menschen sind von schweren Vergeltungsmassnahmen betroffen.

Eine neue Veröffentlichung von Amnesty International deckt auf, wie in Russland die Anti-Kriegsbewegung durch verschiedene Gesetze und Praktiken unterdrückt wird. Neue absurde Gesetze, die die freie Meinungsäusserung kriminalisieren, werden ohne Umschweife zum Einsatz gebracht. Die geringste Kritik wird mit Gefängnisstrafen und hohen Geldstrafen geahndet.

«Repressionen sind in Russland an der Tagesordnung: Die Behörden greifen immer stärker auf eine ganze Reihe komplexer Taktiken zurück, um alle diejenigen zum Schweigen zu bringen, die ihre Stimme gegen den Krieg erheben» sagt Oleg Kozlovsky, Experte für Russland bei Amnesty International. «Personen, die friedlich gegen den Ukrainekrieg protestieren oder die wichtige Informationen über die russischen Streitkräfte publik machen, müssen mit schweren strafrechtlichen, administrativen und anderen Sanktionen rechnen.»

Unfaire Verfahren und hohe Strafen

Das mangelhafte Strafjustizsystem ist von unfairen Gerichtsverfahren gekennzeichnet. So werden Menschen, die gegen den Krieg protestieren, oft mit Verwaltungsverfahren überzogen, die faktisch ohne Verfahrensgarantien durchgeführt werden. Vor Gericht werden von der Verteidigung angeführte schlüssige Indizien häufig nicht zugelassen. Stattdessen stützen sich Richter*innen ausschliesslich auf – manchmal offenkundig unwahre – Polizeiberichte, um Protestierende wegen Verstössen gegen Versammlungsregeln oder absurde neue «Diskreditierungs»-Gesetze schuldig zu sprechen und zu hohen Geldstrafen oder Verwaltungshaft zu verurteilen.

Im Jahr 2022 wurden in Russland mehr als 21‘000 Personen wegen derartiger «Vergehen» bestraft, 2‘307 von ihnen mit Verwaltungshaft und der Rest mit hohen Geldstrafen. Grund war vornehmlich die Teilnahme an friedlichen kriegskritischen Protesten oder die Äusserung von Kriegskritik im Internet.

Seit Beginn des Einmarsches in die Ukraine wurden in Russland die Straftatbestände «Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte» und «wiederholte Diskreditierung der Streitkräfte oder staatlichen Einrichtungen» eingeführt – für diese Straftatbestände können Haftstrafen von bis zu 15 beziehungsweise 7 Jahren die Folge sein. Mehr als 150 Personen wurden bereits auf dieser Grundlage strafrechtlich verfolgt. Viele sind bereits schuldig gesprochen und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden.

Zu den Betroffenen zählt Wladimir Rumyantsev aus Wologda im Norden des Landes, der zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er von seiner Wohnung aus als Amateurfunker Berichte über den Krieg gesendet hatte, die von unabhängigen Medien und Blogger*innen verfasst und von den Behörden verboten worden waren.

Unterschiedlichste Formen der Repression

Darüber hinaus setzen die Behörden zahlreiche weitere Taktiken ein, um Kritiker*innen zu drangsalieren, einzuschüchtern und unter Druck zu setzen. So werden beispielsweise Personen aus dem Dienst entlassen, Konzerte oder andere öffentliche Veranstaltungen mit Beteiligung von Kriegskritiker*innen abgesagt, und erzwungene «Entschuldigungen» auf Video aufgezeichnet.

Amnesty International hat zudem die immer gängigere Praxis dokumentiert, bekannte Personen als «ausländische Agent*innen» zu bezeichnen, weil sie sich öffentlich gegen den Krieg ausgesprochen haben. Dadurch werden diese Menschen stark in ihren privaten und beruflichen Aktivitäten eingeschränkt oder verlieren gar ihre Arbeit, und werden durch die Einstufung als Spion*in bzw. Verräter*in stigmatisiert.

Amnesty International fordert die russischen Behörden auf, diese repressiven Gesetze aufzuheben und umgehend alle diejenigen freizulassen, die sich nur aufgrund der friedlichen Äusserung ihrer Ansichten in Haft befinden. Die Behörden müssen zudem dafür sorgen, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung geschützt wird. «Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die russischen Behörden auf diese Fälle anzusprechen und die internationalen Mechanismen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen in Russland zu stärken. Verfolgte Aktivist*innen in Russland und anderswo können durch Anwesenheit bei Gerichtsverfahren unterstützt werden. Ausserdem braucht es faire und wirksame Asylverfahren», so Oleg Kozlovsky.