Wohnmobil im Einsatz in Chur © AI
Wohnmobil im Einsatz in Chur © AI

Bilanz Aktionstournee Häusliche Gewalt: Nicht mehr nur eine «Frauenfrage»

27. Oktober 2007
«Mobil gegen häusliche Gewalt»: Unter diesem Motto fuhr Amnesty International während der vergangenen acht Monate mit einem Wohnmobil quer durch die Schweiz, besuchte 11 Kantone und machte Halt in 43 Ortschaften. Heute geht die Tournee mit einer letzten Aktion in Bern zu Ende. Amnesty International zieht eine positive Bilanz: Häusliche Gewalt ist nicht mehr nur ein Thema für Frauen und Frauenorganisationen. Der Kampf gegen diese alltäglichste Menschenrechtsverletzung wird heute auch von Behörden ernst genommen – und mehr und mehr auch von Männern.

11 Kantone, 43 Ortschaften, 16 Mittel- und Berufsschulen, vertiefte Recherchen zu 6 Kantonen: Die Aktionstournee von Amnesty International (AI) hat das Thema häusliche Gewalt auf die Strasse getragen. Zum Zielpublikum gehörten insbesondere die Männer. Sie auf das Thema anzusprechen, war keine einfache Sache. «Viele sehen sich gleich in einer Täterrolle festgenagelt», stellte AI-Kampagnenkoordinatorin Stella Jegher fest. Doch gerade Jugendliche wüssten recht genau, um was es gehe.

«Männer schämen sich», erklärten Schüler mehrfach auf die Frage, warum Männer nicht gern über dieses Thema sprechen. Im Rahmen der Tournee wurden Tausende von Jugendlichen für das Thema sensibilisiert. Rund 700 Männer haben an der Aktion «Mach dich stark» mitgemacht und sich bereit erklärt, ihre Kraft gegen häusliche Gewalt einzusetzen. «Ein Anfang ist gemacht – für die Fortsetzung müssten weiterhin vor allem Männer sorgen», sagt Jegher.

Prominente Statements gegen häusliche Gewalt

«Wer seine Frau schlägt, ist `ne Memme», schrieb ein Jugendlicher ins Gästebuch der Tournee. Zum heutigen Abschluss in Bern hat AI auch Prominente um eine klare Aussage gegen häusliche Gewalt gebeten. Rund zwanzig Männer aus Wirtschaft, Politik und Kultur sind dem Aufruf gefolgt. «Häusliche Gewalt bekämpfen heisst, eine der schlimmsten Barbareien unserer Zeit abzulehnen», sagt zum Beispiel CVP-Präsident Christophe Darbellay. Stephan Baer, Verwaltungsratspräsident der Baer AG, hält fest: «Häusliche Gewalt ist nicht Privatsache, sondern ein Delikt, vor dem niemand die Augen verschliessen darf.»

In den Kantonen bewegt sich was

Anvisiert hatte AI aber auch die kantonalen Behörden. Je nach Situation im jeweiligen Kanton wurden sie mit einer Reihe von Empfehlungen konfrontiert, die sich an internationalen Menschenrechtsstandards orientieren. Die Empfehlungen betrafen etwa die Gesetzgebung, den Schutz von Migrantinnen, die Täterarbeit und die Bereitstellung von Ressourcen.

Die Wirkung blieb nicht aus: So wurde im Kanton Schwyz am 18. August 2006 ein parlamentarisches Postulat eingereicht, das die Notwendigkeit von gesetzlich verankerten Sofortmassnahmen für die Wegweisung von Tätern unterstreicht. Im Kanton Jura ist ein Gesetzesartikel in Vorbereitung und die Opferhilfestelle wurde aufgestockt. Im Tessin treffen sich VertreterInnen von staatlichen und nichtstaatlichen Fachstellen am heutigen Tag, um vielleicht den Startschuss für eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit zu geben.

Auch im Kanton Wallis, der sich mit Massnahmen gegen häusliche Gewalt eher schwer tut, haben ParlamentarierInnen diese Forderung im Anschluss an die Aktionstournee und nach der Überreichung von 2200 Unterschriften wieder aufgegriffen.

«Probleme gibt es allerdings weiterhin vor allem bei der Bereitstellung von hinreichenden Ressourcen für die Arbeit gegen häusliche Gewalt, und beim Schutz von Migrantinnen», relativiert Jegher die Fortschritte. So stellte sich zum Beispiel im Kanton Tessin heraus, dass manche Behördenmitglieder nicht einmal Kenntnis von ihrem Ermessensspielraum hatten, wenn es um die Verlängerung des Aufenthalts von gewaltbetroffenen Ausländerinnen geht.

Sensibilisierung erreicht

Die Bilanz der Aktionstournee fällt somit positiv aus, sowohl was die Sensibilisierungsarbeit wie auch das Erreichte betrifft. AI wird die Entwicklung der Gesetzgebung und deren Umsetzung in den Kantonen weiterhin kritisch verfolgen. Die Menschenrechtsorganisation fordert auch die Verantwortlichen im Bildungsbereich auf, die Arbeit an Schulen fortzusetzen.

Und von den Männern erwartet sie, dass sie sich weiterhin gegen häusliche Gewalt stark machen. Mit den Worten des Zuger Regierungsrates Hanspeter Uster: «Häusliche Gewalt war lange ein Tabu in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie muss endlich ein Tabu werden in der Realität – und für alle Männer.»