«Die nationale Armutskonferenz ist nicht das, was wir uns erhofft hatten. Statt den Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung zu tragen, droht die Veranstaltung eine Fachtagung mit beschränktem Zugang und kaum Zeit für vertiefte Diskussionen zu werden», erklärte Isabelle Bohrer von AvenirSocial. «Dies ist eine grosse Enttäuschung für alle Organisationen, die sich seit langem für eine nationale Armutskonferenz einsetzen.»
Eine breite NGO-Koalition*, die sich gemeinsam mit den Betroffenen für die Armutsbekämpfung in der Schweiz engagiert, hat deshalb einen offenen Brief an Bundesrat Didier Burkhalter geschrieben. Unter seiner Schirmherrschaft findet am 9. November die nationale Armutskonferenz statt.
Die NGO-Koalition befürchtet, dass die geplante nationale Armutsstrategie nicht breit abgestützt sein wird. «Die Konferenz vom 9. November kann nur ein Startpunkt im Kampf gegen die Armut sein. Die Umsetzung der Massnahmen muss von einem Gremium begleitet werden, in dem auch NGOs und Organisationen, welche Armutsbetroffenen eine Stimme geben, vertreten sind», sagte Hans-Peter Furrer von ATD Vierte Welt.
* Zur NGO-Koalition, die den offenen Brief an Bundesrat Didier Burkhalter unterzeichnet haben, gehören: Amnesty International Schweiz, ATD Vierte Welt, AvenirSocial, Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax, Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben, Heilsarmee Sozialwerk, IG Sozialhilfe, KABBA, Liste 13, Netzwerk Kinderrechte Schweiz, Schweizerisches Arbeiterhilfswerk, Pro Familia Schweiz, Strassenmagazin Surprise, Travail Suisse, Schweizerische Verband alleinerziehender Mütter und Väter (SVAMV), Schweizerischer Gewerkschaftsbund
Offener Brief an Didier Burkhalter
Herr Didier Burkhalter
Bundesrat
Bundeshaus
3003 Bern
3. November 2010
Sehr geehrter Herr Bundesrat
Eine Woche vor der nationalen Konferenz zur Bekämpfung der Armut möchten wir Sie gerne erneut auf unsere Bedenken bezüglich der gesamtschweizerischen Strategie zur Armutsbekämpfung, die der Bundesrat am 31. März 2010 verabschiedet hat, hinweisen.
Wir möchten Sie daran erinnern, dass in der Schweiz weiterhin soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechte nicht einklagbar sind und die Bundesverfassung nur von Sozialzielen spricht. Es ist für die Schweiz als eines der reichsten Länder, in dem über 10 Prozent der Bevölkerung in Armut leben, kein Luxus, eine Strategie zur Bekämpfung der Armut umzusetzen.
Mit unserem Brief bitten wir Sie, den folgenden Anliegen im Rahmen der nationalen Armutskonferenz vom 9. November 2010 Rechnung zu tragen:
Erstens verlangen wir die Konstituierung eines Gremiums, welches die Umsetzung der gesamtschweizerischen Strategie zur Armutsbekämpfung begleitet und eine Evaluation sicherstellt. Die Schaffung dieser Instanz sollte spätestens an der Konferenz vom 9. November 2010 angekündigt werden. Der Bericht des Bundesrates vom 31. März 2010 hält im letzten Kapitel (10.5) fest, dass «es sich empfiehlt», die Umsetzung der Strategie zu begleiten und zu evaluieren. Dies sollte mehr als bloss eine Empfehlung sein, falls wir uns ernsthaft für eine Schweiz engagieren, in der das Wohlergehen der Schwächsten der Gradmesser für das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft ist.
Zweitens ist es unerlässlich, dass in dieser Gremium sämtliche an der Bekämpfung der Armut beteiligten Akteurinnen und Akteure mit einbezogen werden. Insbesondere müssen von Armut betroffene Menschen und jene Institutionen vertreten sein, die ihnen eine Stimme verleihen, sowie andere Organisationen, die sich für die Armutsbekämpfung engagieren.
Schliesslich muss die Konferenz am 9. November 2010 den Startpunkt markieren und nicht den Schlusspunkt einer nationalen Konsultation bloss auf der Basis des bundesrätlichen Berichtes.
Sehr geehrter Herr Bundesrat, die Schweiz verdient ein umfassenderes Engagement und eine kohärentere Weiterverfolgung der Strategie für die Bekämpfung der Armut, zu der wir gerne etwas beitragen möchten.
Wir freuen uns, mit Ihnen an der Konferenz vom 9. November 2010 eine engagierte Diskussion zu führen.
Mit freundlichen Grüssen,
Amnesty International Schweiz, ATD Vierte Welt, AvenirSocial, Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax, Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe, Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben, Heilsarmee Sozialwerk, IG Sozialhilfe, KABBA, Liste 13, Netzwerk Kinderrechte Schweiz, Schweizerisches Arbeiterhilfswerk, Pro Familia Schweiz, Strassenmagazin Surprise, Travail Suisse, Schweizerische Verband alleinerziehender Mütter und Väter (SVAMV), Schweizerischer Gewerkschaftsbund.
Gemeinsame Medienmitteilung veröffentlicht: 4. November 2010
Medienkontakt bei Amnesty International