Der Gebrauch von Schusswaffen bei häuslicher Gewalt weltweit
Schusswaffen verursachen weltweit jeden Tag rund 1000 Tote. Bei häuslicher Gewalt erhöht der Gebrauch von Schusswaffen das Risiko eines tödlichen Ausgangs um das Zwölffache gegenüber anderen Gewaltmitteln. In den USA hat eine Studie aufgezeigt, dass das Vorhandensein einer Schusswaffe im Haushalt die Gefahr eines Tötungsdelikts an einem Familienmitglied um 41% erhöht, bezüglich weiblicher Opfer sogar um das Dreifache (1).
Das Risiko eines familiären Tötungsdelikts steigt erheblich, wenn
- der Ehemann seine Frau bereits einmal mit einer Waffe bedroht beziehungsweise Todesdrohungen ausgesprochen hat;
- eine Schusswaffe im Haus ist;
- er versucht hat, sie zu erwürgen;
- er unablässig eifersüchtig ist und die Frau ständig kontrolliert;
- die Gewaltakte heftiger und häufiger werden;
- er seine Frau zu einer sexuellen Beziehung zwingt;
- er Alkohol und Drogen missbraucht;
- er sie während der Schwangerschaft geschlagen hat.
Zwei von acht wichtigen Faktoren für Tötungsdelikte haben also mit Waffenbesitz zu tun. Zahlreiche Tötungsdelikte könnten vermieden werden, wenn keine Schusswaffen verfügbar wären.
Schusswaffen dienen zudem bei Vergewaltigungen und anderen physischen und psychischen Formen der Gewalt an Frauen auch als Einschüchterungs- und Drohmittel. Frauen aus aller Welt erzählen, dass ihre Männer Waffen dazu benützen, sie zu terrorisieren.
«Fünf Jahre lang haben wir die Schreie unserer Mutter gehört. Fünf Jahre lang trug mein Vater eine Waffe und zielte damit auf uns.»
Karen, Philippinen
Die meisten Länder, einschliesslich der Schweiz, haben keine Gesetze, wonach die Polizei Gewalttäterinnen und Gewalttätern ihre Schusswaffe entziehen muss.
«Was mich am meisten erschütterte, war, dass die Polizei nichts unternahm, obwohl sie wusste, dass bei uns Gewalt ausgeübt wurde, und dass mein Mann illegal eine Waffe besass.»
Vesna, Mazedonien
Waffenschutzgesetze: Kanada weist den Weg
In der Provinz Ontario in Kanada, wo in weniger als 15% der Haushalte eine Waffe verfügbar ist (Zahlen von 2002) - gegenüber 28% in der Schweiz, haben Untersuchungen gezeigt, dass der Besitz einer Schusswaffe oder der Zugang zu einer Schusswaffe einer der wichtigsten Faktoren ist, die häusliche Gewalt fördern (55% der häuslichen Gewaltdelikte wurden mit einer Waffe begangen (2)
1991 wurde ein Gesetz verabschiedet, auf dessen Grundlage jede Person, die ein Gesuch um einen Waffenschein einreicht, sehr genau abgeklärt werden muss. Zudem wurde ein Waffenregister eingeführt. Damit soll verhindert werden, dass gefährliche Individuen in den Besitz von Waffen gelangen können. Seit 1995 muss zudem auch die Ehepartnerin / der Ehepartner informiert werden. Macht sie oder er Bedenken geltend, muss der/die potenzielle WaffenbesitzerIn noch genauer abgeklärt werden. Und das Gesetz wirkt: Innert weniger Jahren nach seiner Inkraftsetzung ging die Zahl der Tötungsdelikte mit Waffengewalt im häuslichen Bereich deutlich zurück. Zwischen 1974 und 2000 wurde ein Drittel der Morde in Ehe und Partnerschaft mit Schusswaffen begangen. Von 85 Fällen im Jahr 1991 ging die Zahl auf 32 im Jahr 1995 zurück. Insgesamt sank die Zahl der Schusswaffen-Tötungsdelikte zwischen Ehegatten seit der Einführung des Gesetzes um 70%. 2007 lag sie so tief wie noch nie in den 30 Jahren zuvor (3).
Schusswaffen in der Schweiz und häusliche Gewalt
In der Schweiz wird rund eines von zwei Tötungsdelikten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt begangen (46%) und davon annähernd die Hälfte (43%) mit einer Schusswaffe. (5)
Einerseits enden Delikte, in denen Schusswaffen zum Einsatz kommen, sehr häufig tödlich (in 45% der Fälle, 2006 (6), andererseits scheint schon ihr Vorhandensein vermehrt zu Morden zu führen. In der überwiegenden Zahl der Tötungsdelikte in Ehe und Partnerschaft der vergangenen 23 Jahre, in denen der Täter sich anschliessend selbst umbrachte, wurde eine Schusswaffe verwendet, ein Viertel davon waren Ordonnanzwaffen (7).
Gemäss einer Studie von Small Arm Survey vom Jahr 2007 sind in der Schweiz zwischen 2.3 und 4.5 Millionen Waffen in Privatbesitz. Mit rund 45 Waffen pro 100 EinwohnerInnen liegt die Schweiz dem gemäss auf Platz 3 bezüglich der Verbreitung von Schusswaffen (8). Mehr als ein Viertel (28%) der Schweizer Haushalte haben heute eine Waffe (im Jahr 2000 waren es noch 35%). In 63% davon handelt es sich um Armeewaffen, in 26% um private Waffen, in 11% um beides (9).
Waffengewalt in den eigenen vier Wänden
(10) In der Schweiz gibt es heute keine gesetzliche Bestimmung, um aus Haushalten, in denen Gewalt ausgeübt wird, systematisch die Schusswaffen zu entfernen und damit die Opfer wenigstens vor bewaffneter Gewalt zu schützen. Das hat tragische Folgen:
- In Fideris tötete im März 2002 ein Mann seine Frau mit dem Militärgewehr und richtete sich mit diesem anschliessend selbst. Er war wegen finanziellen Problemen strafrechtlich verfolgt worden.
- In Zürich tötete im Dezember 2003 ein Elternpaar seine beiden Kinder im Schlaf, anschliessend erschoss der Mann seine Frau und am Schluss sich selbst. Hintergrund war die hohe Verschuldung der Familie.
- Im Wallis wurde im April 2006 die bekannte Schweizer Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet zusammen mit ihrem Bruder kurz nach ihrer Trennung von ihrem Ex-Mann erschossen. Der Täter beging kurz darauf mit derselben Armeewaffe Selbstmord.
- In Lörrach erschoss im September 2010 eine Frau ihren Ex-Mann und ihren Sohn. Hintergrund waren Beziehungsprobleme. Im darauffolgenden Amoklauf erschoss sie zwei weitere Personen. Sie war Sportschützin und besass mehrere Schusswaffen.
In Kanada dagegen hat die Tatsache, dass ein Gesuch für einen Waffenschein dem Ehepartner / der Ehepartnerin mitgeteilt werden muss, die Zahl der familiären Tötungsdelikte drastisch verringert.
«Das Waffenregister hat mein Leben gerettet. Wenn mein Mann noch eine Waffe gehabt hätte, stünde ich heute nicht mehr hier», sagte Heater Imming, Opfer häuslicher Gewalt, an einer Medienkonferenz am 15. September 2010 in Toronto. Dank diesem Register war ihrem Gewalt ausübenden Mann, von dem sie getrennt lebte, die Waffe entzogen worden. Eine letzte Gewaltattacke seinerseits überlebte sie zwar nur knapp, ist aber überzeugt, dass er sie umgebracht hätte, wenn er noch eine Waffe gehabt hätte.
Empfehlungen der Uno-Menschenrechtsausschüsse
Nicht nur die Tötungsdelikte im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, sondern vor allem die hohe Rate der mit Schusswaffen begangenen Selbstmorde in der Schweiz haben dazu geführt, dass unsere Regierung auch von der Uno wiederholt aufgefordert wurde, die Einführung einer strengeren Waffengesetzgebung zu prüfen: Im November 2009 hat der Menschenrechtsausschuss in seinen Empfehlungen zur Umsetzung des Internationales Paktes für die Bürgerlichen und Politischen Rechte die Schweiz zu einer verstärkten Waffenkontrolle aufgefordert; im November 2010 hat der Sozialrechtsausschuss mit einer analogen Empfehlung zur Umsetzung des Uno-Paktes für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nachgedoppelt.
«12. Le Comité est préoccupé par l’incidence élevée des suicides par arme à feu dans l’État partie. (…) L’État partie devrait revoir sa législation et ses pratiques afin de restreindre les conditions d’accès aux armes à feu et limiter l’usage légitime de ces armes. Il devrait mettre fin à la pratique en vertu de laquelle les personnes qui servent dans les forces armées conservent leurs armes d’ordonnance à leur domicile. De plus, l’État partie devrait mettre en place un registre national des armes à feu détenues par des particuliers».(11)
(1) Zahlen gemäss dem Aktionsnetzwerk gegen Kleinwaffen IANSA, dem Amnesty International angehört - www.iansa-women.org
(2) Bureau du coroner en chef de l’Ontario, Homicide Survey Canadian Centre of Justice Statistics (statistique Canada, 2002) gemäss einem Artikel im Toronto Star vom 1. April 2004, S. A8
(3)Alle Zahlen in diesem Abschnitt stammen vom Statistischen Amt von Kanada, «La violence familiale au Canada: un profil statistique 2009». www.statcan.gc.ca
(4) Vgl. auch «Informationsblatt Häusliche Gewalt und Tatmittel Schusswaffe», Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, vom September2010
(5) Killias, Martin ; Dilitz, Carine ; Bergerioux, Magaly. 2006: Drames familiaux – un «Sonderfall» suisse, Université de Lausanne, In: Crimiscope, N° 33, décembre, p. 1-8 + Office fédéral de la statistique OFS. 2010 : Statistique policière de la criminalité (SPC). Rapport annuel 2009. www.bfs.admin.ch
(6) Bundesamt für Statistik BFS. 2010: Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Jahresbericht 2009. www.bfs.admin.ch
(7) Grabherr, Silke; Johner, Stephan; Dilitz, Carine; Buck, Ursula; Killias, Martin; Mangin, Patrice; Plattner, Thomas. 2010: Homicide-Suicide Cases in Switzerland and Their Impact on the Swiss Weapon Law. American Journal of Forensic Medicine and Pathology. Nr. 31/1, S. 1-16.
(8) Karp, Aaron. 2007. ‘Completing the Count: Civilian firearms.’ Small Arms Survey 2007: Guns and the City, p. 67. Cambridge: Cambridge University Press. 27 August. www.smallarmssurvey.org (Kapitel 2, Annex 5)
(9) Killlias, Martin; Haymoz, Sandrine; Lamon, Philippe. 2007: Swiss Crime Survey. La criminalité en Suisse et son évolution à la lumière des sondages de victimisation de 1984 à 2005. Berne.
(10) Die folgenden Zahlen stammen aus eigenen Recherchen von Amnesty International aufgrund von Medienberichten
(11)Comité des droits de l’homme: Observations finales : CCPR/C/CHE/CO/3, 3 novembre 2009