Amnesty: Sind Rayonverbote legal?
Denise Graf: Rayonverbote für eine ganze Gruppe von Personen aufgrund deren Status sind ganz klar diskriminierend, sie schränken das verfassungsmässige Recht auf Bewegungsfreiheit ohne gesetzliche Grundlage und in unverhältnismässiger Weise ein. Amnesty International stellt sich seit eh und je gegen solche Massnahmen. Unsere Verfassung verbietet Diskriminierung. Es kann nicht sein, dass das Bundesamt für Migration (BFM) mit Gemeindebehörden diskriminierende Massnahmen ausmacht. Wir mussten auch in der Vergangenheit feststellen, dass solche Abmachungen existieren. Es ist nun an der Zeit, dass diese insgesamt abgeschafft werden und eine Person nur dann mit einem Rayonverbot belegt wird, wenn es klare und objektive individuelle Gründe dafür gibt.
Könnten Rayonverbote in solchen Fällen nur gegen Einzelpersonen ausgesprochen werden?
Ja. Eine ganze Kategorie von Personen, zum Beispiel die Bewohner und Bewohnerinnen eines Asylzentrums, darf nicht a priori als gefährlich oder kriminell eingestuft werden.
Gilt das auch für Hausordnungen, die nicht formal als rechtliche Bestimmungen gelten, aber den Asylsuchenden als Regeln vorgelegt werden?
Die Behörden haben die Pflicht, gegen Diskriminierung anzugehen, und dürfen schon gar nicht Massnahmen treffen, die die Diskriminierung fördern. Während der Debatte um das Badiverbot in Bremgarten fiel das Argument, dass es im täglichen Leben viele Regeln gebe. So dürfe man am Wochenende nicht rasenmähen oder nicht überall Hunde frei laufen lassen. Der Vergleich geht jedoch nicht auf: Regeln, die für alle gelten, sind nicht diskriminierend. Aber bei den Rayonverboten oder Verboten für das Betreten «sensibler Zonen» geht es um Regeln, die nur für eine bestimmte Gruppe von Personen gelten, und zwar für Asylsuchende.
Was unternimmt Amnesty International konkret gegen solche Diskriminierung?
Wir haben uns verschiedentlich gegen Diskriminierung ausgesprochen und solche Massnahmen immer wieder verurteilt. Wir beobachten nun genau, wie es in Bremgarten weitergeht, wie die Hausordnung aussieht und wie sie von der AOZ (Zürcher Fachorganisation im Migrationsbereich; Betreiberin des Zentrums in Bremgarten, Anm. der Red.) umgesetzt wird. Wir haben in der Vergangenheit positive Erfahrungen gemacht mit der Arbeit der AOZ und hoffen auf eine gute Lösung.
Wenn wir eine glaubwürdige Asylpolitik wollen, wie Frau Bundesrätin Sommaruga dies immer wieder vertritt, ist es sehr wichtig, dass die Asylsuchenden als Bevölkerungsgruppe nicht ausgrenzt werden. Die Behörden sollen vielmehr alles unternehmen, damit die Asylsuchenden in der Bevölkerung mit Akzeptanz rechnen können. Es ist ungeheuer wichtig, dass man gegen einzelne Personen, die sich nicht korrekt verhalten, vorgeht. Aber es dürfen nicht ganze Bevölkerungsgruppen mit einem schlechten Ruf belegt werden.
Sie haben in der Vergangenheit schon bei anderen Asylzentren Rayonverbote bemerkt und kritisiert. Können Sie Beispiele nennen?
Ein Rayonverbot gab es etwa in Nottwil. Die Asylsuchenden durften dort nicht den kürzesten Weg zum Bahnhof nehmen, der entlang des Sees verlief. In Birmensdorf (ZH) wurden Asylsuchende davon abgehalten, eine Quartierstrasse zu benutzen. Es wurde statt dessen eigens ein Weg durch den Wald gebaut. In Eigenthal im Kanton Luzern durften die Kinder der Asylsuchenden nicht zur Schule gehen. Wir haben deswegen bei den Behörden interveniert. Kinder von Asylsuchenden haben genauso das verfassungsmässige Recht, zur Schule zu gehen wie Schweizer Kinder.
Wie werden solche Rayonverbote von den Asylsuchenden aufgenommen?
In Eigenthal wurde die genannte Massnahme von den Asylsuchenden als sehr diskriminierend wahrgenommen. Wie sich Asylsuchende verhalten, hängt sehr stark davon ab, wie sie aufgenommen werden. Das habe ich in meiner Arbeit immer wieder festgestellt. Wenn sie sich als Teil der Gemeinschaft fühlen, dann besteht eine Identifizierung, und eine viel grössere Hemmschwelle, dieser Gemeinschaft zu schaden. Deshalb ist das Engagement der Zivilgesellschaft äusserst wichtig. Wir haben die Amnesty-Gruppen in der Schweiz aufgerufen, mit Asylsuchenden sportliche oder kulturelle Aktivitäten zu unternehmen, damit sie nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen bleiben. Auch Beschäftigungsprogramme führen zu mehr Akzeptanz, weil sie einen Kontakt herstellen zwischen den Asylsuchenden und der Bevölkerung. Solche Programme können die Situation sehr beruhigen, weil die Asylsuchenden nicht mehr auf der Strasse herumhängen müssen und Wertschätzung für ihre Arbeit spüren, wenn sie zum Beispiel Sozialeinsätze für Gemeinden leisten.
Wie können Gemeinden dazu gebracht werden, weniger Widerstand gegen die Asylzentren des Bundes zu leisten?
Das BFM sollte den Gemeindebehörden erfolgreiche Projekte zeigen. Als ich das Asylzentrum in Sufers besucht habe, waren Vertreterinnen und Vertreter einer anderen Gemeinde anwesend, die einen Augenschein nahmen. So sehen die Gemeinden, dass es auch gut laufen kann und die Asylsuchenden in Beschäftigungsprogrammen wertvolle Arbeit leisten. Das BFM muss den Gemeinden klar machen, dass sie von Gesetzes wegen keine diskriminierenden Massnahmen einfordern können.