Quasi als Gegenvorschlag zur Initiative für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten verschärfte der Bundesrat 2008 das Kriegsmaterialgesetz. Man wollte den InitiantInnen den Wind aus den Segeln nehmen, indem neu Waffenlieferungen in Länder verboten wurden, die die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen. Nun sollen diese Ausschlusskriterien auf Antrag der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates (SiK-S) aufgeweicht werden. Der Ständerat hat die Motion bereits angenommen, und auch der Bundesrat unterstützt das Anliegen.
Das Leiden der Industrie
«Diese Lockerung der Waffenexportkontrolle durch die Schweiz ist ein falsches Signal in einer Zeit, da international erstmals Einschränkungen des Waffenhandels akzeptiert werden», so Amnesty-Experte Alain Bovard. «Ausgerechnet die Schweiz lockert ihre Bestimmungen. Sie, die sich bei den Verhandlungen für das internationale Abkommen über den Waffenhandel (ATT) aktiv für eine weltweit strengere Kontrolle der Rüstungsexporte einsetzte.» Mit den Änderungen würde die Schweiz ihr Gesetz auf einen Minimalstandard zurücksetzen: «Es ist natürlich zu begrüssen, dass man sich international auf eine Kontrolle einigen konnte. Doch sollte dies jetzt nicht zum Anlass genommen werden, um die strengeren Schweizer Bestimmungen zu lockern», so Bovard. «Umso mehr als die Exportzahlen nicht als Begründung dafür herhalten können.» Als Grund für die angestrebten Änderungen wurde nämlich die schwierige Lage der Schweizer Rüstungsindustrie angegeben: Rund 400 Stellen hätten 2012 abgebaut werden müssen, die Exporte seien am Sinken. Daran schuld seien Benachteiligungen, die die Schweizer Rüstungsindustrie wegen des strengen Kriegsmaterialgesetzes in Kauf nehmen müsse. «Dass die Waffenkäufe der Hauptabnehmer – vor allem europäische Staaten und die USA – in Zeiten der wirtschaftlichen Krise zurückgehen, ist doch keine Überraschung», so Bovard. «Der Rüstungsindustrie geht es eigentlich darum, dass die Schweiz Kriegsmaterial wieder in Länder wie Saudi-Arabien oder Pakistan liefern darf. Das sind heute die interessanten Absatzmärkte.»
Gegen Entwicklungspolitik
Die einzelnen Ausschlusskriterien des menschenrechtlich relevanten Artikels 5 der Verordnung sollen umformuliert werden. Damit würde es künftig ungleich schwieriger, einen Ausfuhrantrag abzulehnen. So können bislang keine Kriegsmaterialien in Länder exportiert werden, in welchen «Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt werden». Der vorgeschlagene Text will aber nur noch Exporte verbieten, wenn im Empfängerland «ein hohes Risiko von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch das auszuführende Kriegsmaterial» besteht. Länder, die auf der OECD-Liste der am wenigsten entwickelten Länder figurieren, durften bisher ebenfalls nicht beliefert werden. Gemäss der Motion soll die Bewilligungsbehörde nun für jedes einzelne Gesuch entscheiden, «ob die sozioökonomische Entwicklung des Bestimmungslandes massgeblich beeinträchtigt werden könnte». «Für Rüstungsexporte in Entwicklungsländer braucht es keinen Interpretationsspielraum », so Nina Schneider von der Entwicklungsorganisation Alliance Sud. «Es ist widersinnig, den ärmsten Ländern Entwicklungshilfe zum Ausbau der Sozialversorgung zu leisten und gleichzeitig ihr nationales Budget mit Waffenlieferungen zu belasten. Insgesamt widerspricht diese Motion den entwicklungs- und aussenpolitischen Zielsetzungen der Schweiz!»
Kriegführende Länder?
Die aktuelle Kriegsmaterialverordnung verbietet auch Exporte in Länder, die in einen internen oder internationalen Konflikt verwickelt sind. Neu würde dies nur noch gelten, wenn die Empfängerländer «widerrechtlich» an einem internationalen bewaffneten Konflikt beteiligt sind. Welche Konflikte als «widerrechtlich» oder als «legitim» einzustufen sind, müsste nun die Verwaltung – im Einzelfall sogar der Bundesrat – beurteilen. Nicht zuletzt soll auch der Absatz über den Schutz der Zivilbevölkerung abgeschwächt werden: Bis anhin war der Export auch dann verboten, wenn ein Risiko bestand, dass die gelieferten Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden könnte. Neu hiesse es einschränkend, «wenn das auszuführende Kriegsmaterial unter Verletzung des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird.» Alain Bovard dazu: «Ja gibt es denn einen menschenrechtlich korrekten und mit dem Völkerrecht vereinbaren Einsatz von Kriegsmaterial gegen Zivilpersonen?»
Von Manuela Reimann Graf
Krokodilstränen
Rüstungsgut ist nicht gleich Rüstungsgut – zumindest in der Schweiz: Unter das Kriegsmaterialgesetz (KMG) fallen nur Güter, die direkt für Kampfhandlungen eingesetzt werden können (z.B. Panzer, Geschütze, Munition) oder die für die Gefechtsführung abgeändert worden sind. Die Schweiz unterscheidet dieses Kriegsmaterial von Gütern, die sowohl militärisch wie auch zivil eingesetzt werden können (sogenannte Dual-Use-Güter, z.B. Handfeuerwaffen, Munition) sowie von «besonderen militärischen Gütern», die nicht direkt Kampf- oder Gefechtsführungsmittel sind. Beide fallen nicht unter das KMG, sondern unter das viel largere Güterkontrollgesetz (GKG). Ihr Export kann nur abgelehnt werden, wenn das Empfängerland auf einer internationalen Embargo-Liste steht oder der Bundesrat Notrecht geltend macht. Nicht überraschend: Dank des GKG wurden besondere militärische Güter immer wieder auch an Länder geliefert, in denen die Menschenrechte massiv verletzt werden. Eine solche Aufsplittung militärischer Güter in Kriegsmaterial und andere Rüstungsgüter kennt nur die Schweiz. Wird die Zahl der Kriegsmaterialien mit den Dual-Use-Gütern und den besonderen militärischen Gütern zusammengezählt, so sehen die Absatzzahlen weit besser aus, wie die «Sonntagszeitung» errechnete. Das Jammern der Rüstungsindustrie erweist sich damit als wenig begründet. (mre)