Nationale Menschenrechtsinstitutionen spielen bei der Umsetzung der Menschenrechte eine zentrale Rolle. Deshalb setzt sich Amnesty zusammen mit andern Organisationen dafür ein, dass auch in der Schweiz eine solche Institution geschaffen wird.
Für die Umsetzung von international vereinbarten Menschenrechtskonventionen spielen nationale Menschenrechtsinstitutionen eine zentrale Rolle. Sie sind dafür zuständig, dass die Konventionen, die ein Land unterschrieben hat, auch effektiv und mit den geeigneten Massnahmen umgesetzt werden. Im Jahr 1993 hat die Uno-Generalversammlung deshalb die Pariser Prinzipien verabschiedet, welche die Grundsätze für die Ausgestaltung nationaler Menschenrechtsinstitutionen und deren Aufgaben festhalten. Heute gibt es weltweit mehr als 50 nationale Menschenrechtsinstitutionen, die den Anforderungen der Pariser Prinzipien entsprechen, so beispielsweise in Deutschland, Österreich, Schweden, Uganda, Senegal, der Mongolei, Bolivien und Guatemala (die Liste aller Länder ist zu finden unter: http://www.nhri.net).
In der Schweiz gibt es noch keine Menschenrechtsinstitution. Seit 2000 setzt sich Amnesty International zusammen mit anderen NGOs, Gewerkschaften und kirchlichen Institutionen für die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution ein. Im Jahr 2001 wurde ausserdem eine parlamentarische Initiative für die Schaffung einer solchen Institution eingereicht. Daraufhin liess das EDA eine unabhängige Studie erstellen, welche die Notwendigkeit einer nationalen Menschenrechtsinstitution für die Schweiz bestätigte. Doch im Sommer 2009 entschied sich der Bundesrat lediglich für eine befristete Zwischenlösung.
Warum braucht die Schweiz eine nationale Menschenrechtsinstitution?
1. Lückenhafte und unkoordinierte Umsetzung von Internationalen Menschenrechtskonventionen
Die Schweiz hat in den letzten 15 Jahren verschiedene – wenn auch nicht alle - internationalen Menschenrechtsabkommen ratifiziert. Dadurch hat sie sich verpflichtet, die Rechte in den Verträgen anzuerkennen und Massnahmen auf Gesetzes- und Verwaltungsebene zu treffen, um diese zu verwirklichen. Sie muss den jeweiligen Überwachungsorganen der Uno über getroffene Massnahmen, Fortschritte und Schwierigkeiten regelmässig Rechenschaft ablegen.
Die Hauptverantwortung für die Umsetzung der Abkommen liegt in der Schweiz bei den Kantonen. Doch weder in der Bundesverwaltung, wo sich vier Departemente mit Menschenrechtsfragen befassen, noch auf der Ebene der Kantone sind die Zuständigkeiten dafür klar geregelt. Dies führt dazu, dass die Umsetzung lückenhaft erfolgt und sich von Kanton zu Kanton unterscheidet.
Für NGOs wie Amnesty International ist es schwierig, Menschenrechtsfragen auf politischer Ebene einzubringen, weil es keine dafür zuständige übergeordnete Instanz gibt.
Eine nationale Menschenrechtsinstitution kann einen wichtigen Beitrag zur Koordination und zum Monitoring bei der Umsetzung Internationaler Konventionen leisten und die Menschenrechtssituation in der Schweiz aus einem unabhängigen Blickwinkel heraus beobachten.
2. Wenig entwickeltes Menschenrechtsbewusstsein und Defizite in der Menschenrechtsbildung
Die Förderung der Menschenrechte ist gemäss Verfassung eines der fünf Hauptziele der Schweizer Aussenpolitik. Die Menschenrechtspolitik ist eine erklärte Priorität der schweizerischen Uno-Politik.
In der Innenpolitik spielen die Menschenrechte jedoch kaum eine Rolle. In der Politik, in der Verwaltung und in der Öffentlichkeit herrscht wenig Klarheit darüber, was Menschenrechte sind und was diese für die jeweiligen Tätigkeits- und Lebensbereiche bedeuten könnten. Auch im schweizerischen Bildungssystem sind die Menschenrechte ein vernachlässigtes Thema. Dies trotz internationaler Verpflichtungen, eine menschenrechtlich orientierte Bildung anzubieten.
Eine nationale Menschenrechtsinstitution kann die Öffentlichkeit und die Politik für die Bedeutung der Menschenrechte sensibilisieren. Im Bildungs- und Erziehungsbereich könnte die Institution die Formulierung und Umsetzung von Menschenrechtsbildungs- und Forschungsprogrammen unterstützen.
3. Menschenrechtsverletzungen gibt es auch in der Schweiz
Die Schweiz verfügt über einen gut ausgebauten Rechtsschutz. Doch die Gerichte können lediglich diejenigen Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen behandeln, die ihnen vorgelegt werden. Für Betroffene wie Asylsuchende, Papierlose oder etwa Opfer von Menschenhandel ist der Zugang zu Gerichten oft schwierig. Und für die Menschenrechte besonders schwacher Gruppen wie Kinder, allein erziehende Frauen oder Behinderte ist niemand wirklich zuständig.
Internationale Kontrollgremien stellen deshalb in der Schweiz immer wieder strukturelle Menschenrechtsverletzungen an besonders schwachen Gruppen fest. Zudem gibt es bei der Umsetzung der menschenrechtlichen Pflichten grosse Unterschiede zwischen den Kantonen, die für viele menschenrechtliche Bereiche zuständig sind (Bildung, Gesundheits- und Sozialwesen, Polizei, Strafvollzug). In den Kantonen fehlt es oftmals an spezifischen Kenntnissen und an fachlicher Kapazität für die Umsetzung von Menschenrechtsabkommen.
Eine nationale Menschenrechtsinstitution kann sich als «Hüterin der Menschenrechte» den Menschenrechten in ihrer Gesamtheit annehmen. Sie kann spezifische Menschenrechtsprobleme aufgreifen, untersuchen und Empfehlungen an die zuständigen Behörden richten. Ausserdem kann sie die zuständigen Behörden bei der praktischen Umsetzung der Abkommen unterstützen.
Wie sollte eine Schweizer Menschenrechtsinstitution ausgestaltet sein?
Zusammen mit den anderen beteiligten Organisationen hat Amnesty International einen Vorschlag für eine nationale Menschenrechtsorganisation erarbeitet, die auf den Pariser Prinzipien aufbaut. Damit soll sowohl der Menschenrechtsschutz in der Schweiz ausgebaut sowie das Menschenrechtssystem innerhalb der Uno gestärkt werden. Um den Prinzipien zu genügen, muss die Institution auf Verfassungs- und Gesetzesebene verankert werden.
Damit die Institution ihre Aufgabe wahrnehmen kann, muss sie unabhängig sein. Deshalb schlägt die Arbeitsgruppe die Schaffung einer Stiftung vor, die von Bund, Kantonen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft getragen wird. Auch die Finanzierung hat zur Wahrung der Unabhängigkeit aus unterschiedlichen Quellen (Bund, Kantone, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) zu erfolgen.
Ausserdem muss sie folgende Befugnisse erhalten:
- Befugnis, bei Menschenrechtsfragen unabhängig und ungehindert von Dritten handeln zu können
- Informations- und Untersuchungsrecht (Akteneinsicht, Anhörung Sachverständiger)
- Kooperationsbefugnis (Zusammenarbeit mit staatlichen, nichtstaatlichen und überstaatlichen Akteuren)
- Befugnis, sich mit Erkenntnissen und Empfehlungen an die Öffentlichkeit zu wenden
Um die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution weiter voranzutreiben, wurde Anfang Juni 2006 der Förderverein Menschenrechtsinstitution gegründet.