«Wir können nicht einfach wegschauen», «es ist unmenschlich, Menschen sterben zu lassen, ohne zu reagieren», «die Schweiz muss Verantwortung übernehmen im Sinne unserer humanitären Tradition». Solche Unterstützungsbotschaften für die Aquarius, das von SOS Méditerranée und Médecins sans Frontières im Mittelmeer gecharterte Rettungsschiff, sind auf der Website act.campax.org zu lesen. Mehr als 25‘000 Personen unterzeichneten die Petition, in der der Bundesrat und das Schweizer Parlament aufgefordert werden, der Aquarius die Schweizer Flagge zu gewähren. Dieses Hilfsschiff ist das letzte verbliebene, das Menschen rettet, die aus Libyen fliehen. «Als neutrales Land und Sitz vieler internationaler humanitärer Institutionen muss die Schweiz konkrete Massnahmen zu Gunsten von MigrantInnen ergreifen und die Aquarius in die Lage versetzen, weiterhin jeden Tag an der Mittelmeerküste Leben zu retten», fordert die Petition. Diese Forderung wird von Amnesty International unterstützt und verbreitet.
Der Aquarius wurde die Flagge entzogen, da Panama die Registrierung des Schiffes am 23. September 2018 auf Druck der italienischen Behörden widerrief. Italien begründet das mit der Weigerung der Besatzungsmitglieder, den Anweisungen der libyschen Grenzschutzbeamten zu folgen. Diese Beamten wollen die geretteten Menschen nach Libyen zurückführen – ein Land, das nicht als sicher gelten kann, da es systematische Folter und Misshandlungen gibt. Der Entzug der Flagge Panamas stellt den jüngsten Rückschlag in einer ganzen Serie dar: Bereits im Juni wurde dem Schiff der Zugang zu italienischen Häfen verwehrt und es dazu gezwungen, tagelang auf See zu bleiben, um eine Lösung für die Absetzung der geretteten Menschen zu finden. Gibraltar hatte dem Schiff ebenfalls seine Flagge entzogen.
Nationale Mobilisierung
Mehrere prominente Persönlichkeiten schrieben der Regierung einen offenen Brief, der eine ähnliche Bitte enthält wie die Petition. Unter den AbsenderInnen sind Micheline Calmy-Rey, ehemalige Bundespräsidentin, Jacques Dubochet, Nobelpreisträger für Chemie, Cornelio Sommaruga, ehemaliger Präsident des IKRK, Carla Del Ponte, ehemalige Bundesanwältin und Anklägerin in Den Haag sowie Charles Morerod, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Vier Nationalräte, nämlich Ada Marra (SP/VD), Kurt Fluri (FDP/SO), Aline Trede (Grüne/BE) und Guillaume Barazzone (CVP/GE) forderten den Bundesrat ebenfalls auf, der Aquarius die Schweizer Flagge zu gewähren.
Das Rettungsschiff Aquarius hat in den letzten zweieinhalb Jahren fast 30‘000 Menschen gerettet. Die Verhinderung seiner Arbeit setzt Tausende von Menschen der Gefahr aus, im Meer zu sterben. Im Jahr 2018 sind bereits mehr als 1‘260 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers gestorben. «Diese Todesfälle sind kein Zufall, sie sind nicht unvermeidlich. Sie sind das Ergebnis einer bewussten Entscheidung der europäischen Regierungen, diese Menschen sterben zu lassen, um andere davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Irreguläre Migration nach Europa kann aber nur gestoppt werden, wenn sichere und legale Fluchtrouten entstehen», sagte Manon Schick, Geschäftsleiterin von Amnesty International Schweiz.
Stärkung der Rettungsaktionen
Amnesty International fordert die Schweiz und die europäischen Regierungen auf, die Such- und Rettungsaktionen im Mittelmeer zu verstärken und es den geretteten Menschen zu ermöglichen, im nächsten sicheren Hafen an Land zu gehen. Sie fordert die europäischen Staaten auf, Solidarität zu fördern und nicht zu bestrafen. Schliesslich appelliert Amnesty an die europäischen Staaten, ihre Zusammenarbeit mit Libyen zu überprüfen, um die Grundrechte von Menschen auf der Flucht zu sichern, statt sie in Libyen unter katastrophalen Zuständen festzusetzen.
«Angesichts einer zunehmend unmoralischen europäischen Migrationspolitik, die im Widerspruch zu den europäischen Werten und der Achtung der Menschenrechte steht, organisiert sich die Zivilgesellschaft und bringt ihre Empörung durch Demonstrationen zum Ausdruck. Die Schweizer Regierung kann diese Forderungen nicht länger ignorieren und muss schnell handeln, um Leben zu retten und die Rechte von Menschen auf der Flucht zu schützen», so Manon Schick weiter.