@ Giorgos Moutafis
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23 Minderjährige aus Griechenland in der Schweiz eingetroffen Zusätzliche Anstrengungen dringend nötig

Medienmitteilung 17. Mai 2020, Bern – Medienkontakt
23 unbegleitete Minderjährige mit familiären Bindungen hierzulande sind in der Schweiz eingetroffen. Sie sassen bis jetzt in den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern fest, wo katastrophale humanitäre und sanitäre Bedingungen herrschen. Amnesty International begrüsst den Entscheid zu ihrer Aufnahme, ist aber der Ansicht, dass die Schweiz angesichts der Gefahren für Tausende von Flüchtlingen mehr machen müsste.

Mit der Aufnahme von 23 unbegleiteten Minderjährigen aus griechischen Lagern folgt die Schweiz anderen europäischen Staaten wie Luxemburg und Deutschland, die in den letzten Wochen bereits Minderjährige aus Griechenland aufgenommen hatten. Andere Länder haben ebenfalls ihre Bereitschaft zur Aufnahme bekundet. Die EU will insgesamt rund 1600 jugendliche Flüchtlinge in andere europäische Staaten verteilen.

Ein völlig ungenügender Schritt

«Die Aufnahme von 23 unbegleiteten Minderjährigen durch die Schweiz ist ein völlig unzureichender Schritt, um der humanitären Krise in den griechischen Flüchtlingslagern zu begegnen, wo Tausende von bedrohten Menschen Schutz benötigen. Die Schweiz wendet bislang lediglich das Dublin-Abkommen an. Dringend nötig wären jedoch zusätzliche Anstrengungen, um Griechenland zu entlasten und die Flüchtlinge vor den mutmasslich dramatischen Folgen zu schützen, die ein Ausbruch von Covid-19 in den Lagern haben würde», sagt Pablo Cruchon, Kampagnenverantwortlicher Migration bei der Schweizer Sektion von Amnesty International. Gemäss der Dublin-III-Verordnung ist die Schweiz verpflichtet, unbegleitete minderjährige Asylsuchende mit Familienangehörigen in der Schweiz zu übernehmen.

Fast 40'000 Menschen, darunter rund 5'600 unbegleitete Minderjährige, leben zurzeit unter desaströsen Umständen in Zelten und unter Blachen in den Lagern auf den griechischen Inseln. In Moria auf der Insel Lesbos sind 19'000 Menschen in einem ursprünglich für 2'800 Personen konzipierten Lager zusammengepfercht. Auf 1'300 Menschen kommt ein Wasserhahn, Seife gibt es nicht. Die Gesundheitsinfrastruktur vor Ort ist ungenügend auf eine Pandemie vorbereitet. Unter diesen Umständen würde sich das Coronavirus ungehindert ausbreiten, und die Folgen eines Ausbruchs wären verheerend.

Die Schweiz und Europa müssen handeln

Die Schweiz und Europa tragen Mitverantwortung für diese Tragödie, die eine vorhersehbare Folge des Dublin-Systems und des Migrationsabkommens zwischen der EU und der Türkei sind. «Das Dublin-System führt zu einer völlig ungleichen Verteilung von Flüchtlingen, die zum grossen Teil von den Ländern an den Aussengrenzen aufgenommen werden müssen. Der EU-Türkei-Deal geht zudem von der falschen Annahme aus, dass die Türkei ein sicheres Land für Schutzsuchende ist», so Pablo Cruchon.

Die Schweiz profitiert in hohem Masse vom aktuellen Dublin-System; deshalb ist Amnesty International der Auffassung, dass auch sie alles unternehmen müsste, um Griechenland zu entlasten und Flüchtlinge in einer Situation zu schützen, in der tragische Konsequenzen drohen. Die Menschenrechtsorganisation fordert deshalb zusätzlich zu den gestern eingetroffenen unbegleiteten Minderjährigen so schnell wie möglich ein substanzielles Kontingent von Flüchtlingen aus den griechischen Inseln zu übernehmen, in erster Priorität besonders Verletzliche. Amnesty hat deshalb auch eine am 29. April eingereichte Petition unterstützt, die den Bundesrat auffordert, mindestens 200 unbegleitete Minderjährige aus Griechenland aufzunehmen.

Zudem sollte sich die Schweiz auf europäischer Ebene für eine Reform des Dublin-Abkommens und für ein System einsetzen, das eine solidarische Aufteilung der Flüchtlinge vorsieht mit dem Ziel, dass jedes Land seinen Beitrag an einem gesamteuropäischen Effort leistet. Amnesty ruft Griechenland schliesslich auf, unverzüglich einen Evakuationsplan für die Flüchtlinge in den Lagern auf den Ägäisinseln an die Hand zu nehmen, diese auf das griechische Festland zu transferieren und Massnahmen für den Schutz der Flüchtlinge vor den Folgen der Covid-19-Pandemie zu treffen.