Der Grosse Rat des Kantons Bern hatte im März 2018 eine Totalrevision des kantonalen Polizeigesetzes (PolG/BE) beschlossen, welche in der Volksabstimmung vom 10. Februar 2019 angenommen wurde. Die Demokratischen JuristInnen Bern (DJB), die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sowie weitere Organisationen und Privatpersonen hatten im März 2019 gemeinsam eine Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht, in der sie die Bestimmungen zur Wegweisung von Fahrenden und zur Observation und Kostenübertragung bei Veranstaltungen, bei denen es zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen kommt, kritisiert. Das Bundesgericht hat die Beschwerde an seiner öffentlichen Beratung vom Mittwoch teilweise gutgeheissen.
Das Polizeigesetz sah unter anderem vor, dass Personen, die auf einem Grundstück ohne Erlaubnis des/der EigentümerIn oder BesitzerIn «campieren», weggewiesen und die entsprechenden Grundstücke innert 24 Stunden zu räumen haben. Das Bundesgericht taxierte diese Bestimmungen als rechtswidrig, da sie einen unverhältnismässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Fahrenden darstellt. Amnesty International begrüsst die Entscheidung zugunsten der Minderheitenrechte.
Überwachung ohne Verdacht nicht zulässig
Der Kanton Bern hatte ebenfalls versucht, die Kompetenzen der Kantonspolizei massiv auszuweiten. Gemäss Berner Polizeigesetz sollte die Polizei zur Erkennung und Verhinderung von Verbrechen und Vergehen technische Überwachungsgeräte, wie beispielsweise GPS-Geräte, einsetzen, um den Standort von Personen oder Sachen festzustellen. Sie wäre dabei aber an deutlich weniger strenge Voraussetzungen gebunden gewesen als die Staatsanwaltschaft gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung (StPO).
Zudem wären die verdeckten Ermittlungen schon ohne konkreten Tatverdacht möglich gewesen. Amnesty befürwortet die Schlussfolgerungen des Bundesgerichts, dass unter diesen Voraussetzungen ein derart schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre nicht zu rechtfertigen ist.
Sorge um Demonstrationsfreiheit in Bern
Nicht beanstandet hat das oberste Gericht jedoch die im Polizeigesetz vorgesehene Kostenüberwälzung auf die OrganisatorInnen von Demonstrationen. Amnesty International ist besorgt, dass diese Bestimmung das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Demonstrationsfreiheit ernsthaft gefährdet.
Insbesondere aufgrund der abschreckenden Wirkung könnte sie dazu führen, dass BürgerInnen sich nicht mehr wagen, an Kundgebungen in der Schweizer Hauptstadt teilzunehmen oder solche zu organisieren. Amnesty International vertritt im Einklang mit dem Uno-Menschenrechtsausschuss die Ansicht, dass es grundsätzlich die Aufgabe des Staates und nicht der OrganisatorInnen ist, an Demonstrationen für die Gewährleistung der Sicherheit zu sorgen und für die Kosten aufzukommen.