Statt Frauen, die von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt betroffen sind zu schützen, stützt das aktuelle Gesetz den Fortbestand von Gewaltbeziehungen. Aufgrund aufenthaltsrechtlicher Abhängigkeit von Betroffenen gegenüber Tätern, sind Betroffene weitgehend isoliert und verharren in gewalttätigen Beziehungen. Das widerspricht einem konsequenten Opferschutz und muss sich dringend ändern.
Amnesty International begrüsst deshalb grundsätzlich die Änderung des Artikels 50 im Ausländer- und Integrationsgesetz und sieht diese als Chance, mehr Rechtsgleichheit unter Gewaltbetroffenen und einen besseren Opferschutz im Sinne einer ungebundenen Aufenthaltsmöglichkeit zu schaffen. Die vorgeschlagene Anpassung könnte eine präventive Wirkung auf die Täter*innen haben und den Betroffenen den Zugang zu Opferhilfestellen vereinfachen, deren Existenz sie bislang allzu oft nicht einmal kennen.
Der für die Schweiz verbindliche internationale Rechtsrahmen im Kontext von häuslicher Gewalt ist insbesondere das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, kurz Istanbul Konvention. Das Expert*innengremium zur Umsetzung der Istanbul Konvention (GREVIO) hat in ihrem ersten Bericht im November 2022 die Schweiz dringend aufgefordert, aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für Betroffene von häuslicher Gewalt vorzunehmen und für eheunabhängige Aufenthaltsmöglichkeiten für alle Betroffenen nach einer Trennung zu sorgen, sodass sie aus der Gewaltsituation flüchten können. Die Schweizer Regierung hat in ihrem Kommentar zum Bericht von GREVIO bereits auf die Parlamentarische Initiative «Bei häuslicher Gewalt die Härtefallpraxis nach Artikel 50 AIG» hingewiesen. Der Bund bestätigt dadurch die Relevanz der Gesetzesänderung und stellt auf Seite 42 fest: «Alle Aufenthaltskategorien sollen ein Recht auf Aufenthalt in der Schweiz haben, wenn eine Ehe aufgrund von häuslicher Gewalt aufgelöst wird.»[1] Amnesty International ist davon überzeugt, dass die Initiative einen wirksamen Schutz für Migrant*innen, die häusliche Gewalt erleben, darstellen kann und gleichzeitig die Anforderungen der Istanbul-Konvention erfüllt, und begrüsst dies.
Hier zur vollständigen Stellungnahme.
[1] Vgl. Kommentar der Schweiz zum Evaluationsbericht der Expertinnen- und Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO), 2. November 2022, hier zum Link [Stand: 25.11.2022]