Der Ständerat berät in der Frühjahrssession die «Selbstbestimmungsinitiative». Amnesty International warnt vor dieser menschenrechtswidrigen Initiative, die unser Land international ins Abseits zu stellen droht. Doch auch in der Terrorbekämpfung steht eine Reihe von Vorstössen zur Debatte, die massive Einschränkungen der Grundrechte nach sich ziehen könnten. Die Auffassung, dass die Rolle des Staates darin bestehe, Sicherheit zu gewährleisten, damit die Menschen ihre Rechte wahrnehmen können, weicht zunehmend der Doktrin, dass der Staat die Rechte der Menschen einschränken muss, um Sicherheit zu gewährleisten.
Ständerat
17.046 Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)
Nationalrat
Terrorismus
15.407 n Pa.Iv. Fraktion RL. Schaffung einer Strafbestimmung zur Terrorismusbekämpfung
16.3982 n Mo. Regazzi. Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht
16.3673 n Mo. Fraktion V. Umgang mit staatsgefährdenden Personen
Asyl und Migration
16.3565 n Mo. Glarner. Suspendierung von Asylverfahren in einer ausserordentlichen Asyllage
16.3467 n Mo. Steinemann. Liste der Safe Countries erweitern
16.3592 n Mo. Burgherr Verschärfung der Asylpraxis in Bezug auf Eritrea erreichen
16.4103 n Mo. Brand. Schaffung der Rechtsgrundlagen zum Bau von Grenzbefestigungsanlagen
16.3455 n Mo. Sommaruga Carlo. Asylwesen. Für die Einrichtung humanitärer Korridore
Rüstungsexporte
STÄNDERAT
13. März 2018
17.046 Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)
Amnesty International stellt sich entschieden gegen diese Initiative, da sie einen direkten Angriff auf die Menschenrechte darstellt. Sie ist brandgefährlich für unseren Rechtsstaat und für die internationale Stellung der Schweiz. Amnesty stellt sich auch gegen einen Gegenvorschlag, das dieser nur die Chance der Initiative erhöhen, das Nein-Lager spalten und der Forderung Legitimität verleihen könnte.
Die direkte Demokratie würde durch eine Annahme der Initiative nicht gestärkt, im Gegenteil:
Sollte es zu einem unlösbaren Widerspruch zwischen einem neuen Verfassungsartikel und völkerrechtlichen Verpflichtungen kommen, müsste der Bundesrat, der gemäss Art. 184 BV dazu befugt ist, den entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag kündigen. In anderen Worten, der Bundesrat könnte ohne weitere Konsultationen Verträge kündigen, welche die Stimmberechtigten zu einem früheren Zeitpunkt angenommen haben.
Dieses und weitere zentrale Argumente gegen die «Selbstbestimmungsinitiative» finden Sie einem Q&A von Amnesty auf unserer Website.
Wir rufen die Ständerätinnen und Ständeräte nachdrücklich auf, die Initiative und einen allfälligen Gegenvorschlag abzulehnen.
Nationalrat
Terrorismusbekämpfung
Amnesty spricht sich nicht grundsätzlich gegen die Aufnahme einer spezifischen Bestimmung über «terroristische» Handlungen in das Strafgesetzbuch aus, wie sie die parlamentarische Initiative der FDP-Liberale-Fraktion im Nationalrat (15.407) verlangt. Amnesty International fordert jedoch, dass diese Bestimmung äusserst präzise formuliert wird, um missbräuchlichen Auslegungen zu verhindern. Terrorismus wird heute von verschiedenen Staaten zu ungenau und zu umfassend definiert. Zudem ist sicherzustellen, dass die Bestimmungen nicht gegen Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen verstossen.
15.407 n Pa.Iv. Fraktion RL. Schaffung einer Strafbestimmung zur Terrorismusbekämpfung
Amnesty International hat in ihrer Stellungnahme (französisch) zum Beitritt zum Übereinkommen des Europarats über die Verhütung des Terrorismus und die Stärkung der strafrechtlichen Normen gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität festgestellt, dass Staaten und internationale Gremien ihre eigenen Definitionen des Begriffs «Terrorismus» entwickelt haben, da es im Völkerrecht keine allgemein gültige Auslegung gibt. Diese Definitionen wurden im Laufe der Zeit immer undeutlicher und sind oft zu breit gefasst.
Der Mangel an Klarheit, der in vielen Anti-Terror-Gesetzen zu finden ist, hat Unsicherheit darüber geschaffen, was genau einen Terrorakt darstellt. Dies kann schwerwiegende Konsequenzen haben – angefangen bei der Erstellung von Täterprofilen von Mitgliedern bestimmter Gruppen, denen Neigung zu «Radikalisierung», «Extremismus» oder «Kriminalität» zugewiesen wird, bis hin zur absolut missbräuchlichen Anwendung von Gesetzen, die Terrorismus aufgrund von Stereotypen definieren.
In gewissen Fällen können verdächtige Personen, die in keiner Weise mit Straftaten in Verbindung gebracht werden, einer Reihe von Massnahmen ausgesetzt werden, die ihre Rechte massiv einschränken: ungerechtfertigte Überwachung ihrer elektronischen Kommunikation, Kontrolle ihres Aufenthalts, Überwachung von Treffen bestimmter Personen, gewalttätige Hausdurchsuchungen, Kontrollen oder die völlige Schliessung von Kultstätten. Zu weit gefasste Definitionen von Terrorismus haben sehr reale Konsequenzen auf die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern.
Nach dem im Völkerrecht verankerten «Prinzip der Legalität» muss das Strafrecht hinreichend präzise sein, um sicherzustellen, dass jeder genau weiss, was eine Straftat ist und welche Folgen ihre Begehung hat.
Die Bevölkerung mit «Angst» zu erfüllen, sie einzuschüchtern oder zu bedrohen – dies sind meist die Schlüsselelemente von Terrorismus-Definitionen. Die Gefahr besteht, dass auch Handlungen des zivilen Ungehorsams als eine «Bedrohung» der etablierten Ordnung angesehen werden können und friedliche Aktivistinnen und Aktivisten als «Terroristen» kriminalisiert werden. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben wiederholt Staaten kritisiert, die Gesetze verabschiedet haben, die den Terrorismus ungenau und zu umfassend definieren.
Amnesty International spricht sich nicht grundsätzlich gegen die Aufnahme einer spezifischen Bestimmung über «terroristische» Handlungen in das Strafgesetzbuch aus. Amnesty fordert jedoch, dass diese Bestimmung äusserst präzise formuliert wird, so dass es nicht zu missbräuchlichen Auslegungen kommen kann. Terrorismus wird heute von verschiedenen Staaten zu ungenau und zu umfassend definiert.
16.3982 n Mo. Regazzi. Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht
Dieser Vorstoss zielt darauf ab, das Non-Refoulement-Prinzip zu umgehen, das eng mit dem Recht auf Leben und dem Verbot der Folter zusammenhängt und zum zwingenden Völkerrecht gehört. Das non-refoulement-Verbot gilt für alle Menschen, auch für Personen, die des Terrorismus angeklagt sind.
Die Motion berücksichtigt nur Bestimmungen der Bundesverfassung und der Genfer Flüchtlingskonvention, vergisst aber, dass auch andere Texte zu berücksichtigen sind, nicht zuletzt das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und die Europäische Menschenrechtskonvention, die beide das Refoulement verbieten.
Amnesty International empfiehlt, den Antrag abzulehnen.
16.3673 n Mo. Fraktion V. Umgang mit staatsgefährdenden Personen
Mit dieser Motion wird vorgeschlagen, Rechtsgrundlagen für polizeiliche Massnahmen zu schaffen, die drastische Eingriffe in die Grundfreiheiten von Personen ermöglichen würden, die terroristischer Aktivitäten verdächtigt werden oder in jedweder Form zur Unterstützung solcher Taten aufrufen, anleiten oder ermuntern, diese finanzieren oder begünstigen. Gefordert wird u.a. Präventivhaft, im Fall von Ausländern die sofortige Ausschaffung, respektive Sicherheitshaft.
Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit würde durch die Umsetzung der Bestimmung ernsthaft untergraben.
Der Antrag steht im Einklang mit der Feststellung von Amnesty International, dass in den letzten Jahren ein radikaler Wandel in ganz Europa stattgefunden hat: Die Vorstellung, dass der Staat die Aufgabe hat, Sicherheit zu schaffen, damit die Menschen ihre Rechte wahrnehmen können, ist der Vorstellung gewichen, dass der Staat die Rechte der Menschen einschränken muss, um Sicherheit zu garantieren. Dies ist ein gefährlicher Trend, das in das Fahrwasser von Diskriminierung, ethnic profiling, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie führt.
Amnesty International empfiehlt, den Antrag abzulehnen.
Asyl und Migration
Mehrere Vorstösse im Bereich Migration und Asyl wollen das Recht, in der Schweiz um Asyl zu ersuchen, massiv einschränken. Die Motion Glarner (16.3565), die Obergrenzen im Fall einer „ausserordentlichen Asyllage“ fordert, steht im Widerspruch zur Uno-Flüchtlingskonvention und zwingendem Völkerrecht. Auch die Mo. Steinemann (16.3467) und Mo. Burgherr (16.3592) stellen das Non-Refoulement-Prinzip in Frage.
16.3565 n Mo. Glarner. Suspendierung von Asylverfahren in einer ausserordentlichen Asyllage
Die Motion will, dass im Fall einer „ausserordentlichen Asyllage“ keine Asylverfahren für Personen durchgeführt werden, die aus „verfolgungssicheren Herkunftsländern“ (Safe Countries) oder aus Ländern mit tiefer Anerkennungsquote kommen. Die Festlegung einer Obergrenze steht im Widerspruch zur Uno-Flüchtlingskonvention und kann zur Folge haben, dass das zwingende Völkerrecht und verfassungsrechtliche Grundsätze verletzt werden. Selbst wenn keine Asylverfahren durchgeführt würden, ist die Schweiz durch die Verfassung und das Völkerrecht verpflichtet, in jedem Fall Abklärungen bezüglich der Zulässigkeit der Wegweisung ins Heimatland durchzuführen. Die alleinige Herkunft aus einem sicheren Herkunftsland ist noch kein Garant für die Absenz von Verfolgung.
Im Moment gibt es keinerlei Hinweise dafür, dass es 2018 zu einer Notlage kommt. Zudem werden ab April 2018 zwei Bundeszentren das neue, beschleunigte Asylverfahren durchführen und ab Frühjahr 2019 wird gesamtschweizerisch ein beschleunigtes Asylverfahren durchgeführt werden. Die dafür notwendigen Strukturen werden nach und nach geschaffen und es gibt keinerlei Gründe, an der Grenze ein Vorverfahren zu machen, zumal nur ein kleiner Teil der Personen, die sich an der Schweizer Grenze melden, überhaupt Zugang zu unserem Land finden.
Mit Schnellverfahren an der Grenze drohen hohe Fehlerquoten, eine de facto Aushebelung des Asylrechts und eine Verletzung des Non-Refoulement-Prinzips. Es besteht die Gefahr, dass durch Kettenabschiebungen Schutzsuchende in Länder zurückgeschickt werden, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Höchstzahlen im Asylbereich kündigen zudem den internationalen Konsens auf, der nach dem zweiten Weltkrieg hinsichtlich der Flüchtlingsaufnahme gefunden wurde. Dieser politische Tabubruch steht im Widerspruch zur humanitären Tradition der Schweiz und würde dem Ansehen unseres Landes nachhaltig schaden.
Amnesty International empfiehlt die Motion abzulehnen.
16.3467 n Mo. Steinemann. Liste der Safe Countries erweitern
Die Motion will die Liste der „Safe Countries“ auf Staaten wie Sri Lanka, Tunesien oder Algerien ausweiten. Diese Länder erfüllen die Bedingungen für verfolgungssichere Herkunftsstaaten jedoch nicht. Eine Einzelfallprüfung des Asylantrages ist deshalb weiterhin zwingend notwendig, um sicherzustellen, dass Asylbewerber bei einer Rückkehr keine schweren Menschenrechtsverletzungen drohen.
Amnesty rät, diese Motion abzulehnen.
16.3592 n Mo. Burgherr Verschärfung der Asylpraxis in Bezug auf Eritrea erreichen.
Auch diese Motion will eine pauschale Verschärfung der Asylpraxis erreichen. Demnach soll Dienstverweigerung bei Eritreerinnen und Eritreern nicht mehr als Asylgrund anerkannt werden. Die Motion verkennt, dass Deserteuren und Wehrdienstverweigerern in Eritrea nach wie vor Gefängnis, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen kann.
Es handelt sich bei Eritrea um einen Willkürstaat, der keine Garantien für ihre Sicherheit geben kann. Ein Uno-Bericht und diverse Berichte von Menschenrechtsorganisationen dokumentieren nach wie vor schwerste Menschenrechtsverletzungen. Solange nicht einmal Uno-Delegationen nach Eritrea reisen dürfen und wir nicht wissen, was Rückkehrern wirklich geschieht, darf die Schweiz keine Asylsuchenden dorthin zurückschicken.
Eine pauschale Verschärfung nur für Personen aus Eritrea stünde zudem im Widerspruch mit Verfassungsrechten (insbesondere dem Gebot der Rechtsgleichheit) und der Uno-Flüchtlingskonvention, die die Schweiz dazu verpflichtet, jedes Asylgesuch individuell zu prüfen.
Amnesty empfiehlt, auch diese Motion abzulehnen.
16.4103 n Mo. Brand. Schaffung der Rechtsgrundlagen zum Bau von Grenzbefestigungsanlagen
Der Vorstoss fordert das Hochziehen von Grenzbefestigungsanlagen, um Migranten und Flüchtlinge vor der Einreise in die Schweiz abzuhalten. Die Forderung nach Zäunen und Stacheldraht befördert eine bedenkliche Militarisierung der Grenzkontrollen und ruft Bilder der Abschottung der Schweizer Grenze im Zweiten Weltkrieg hervor.
Bereits heute wird die Südgrenze mit Drohnen praktisch unpassierbar gemacht. Es ist absolut unverhältnismässig, den Grenzschutz weiter zu verstärken. Hinzu kommt, dass die grosse Mehrheit von Migranten und Schutzsuchenden (über 80 Prozent), die über die Grenze gelangen wollen, auf dem Bahnhof Chiasso aufgegriffen werden. Im Vergleich dazu macht die Zahl der an der grünen Grenze angehaltenen Personen selbst in Monaten mit hohen Migrationszahlen lediglich einen Bruchteil aus, wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur Motion festhält.
16.3455 n Mo. Sommaruga Carlo. Asylwesen. Für die Einrichtung humanitärer Korridore
Amnesty International fordert seit langem legale und sichere Fluchtwege nach Europa, damit gerade besonders verletzliche Flüchtlinge keine lebensgefährliche Reise nach Europa auf sich nehmen müssen. Die Schweiz hat wiederholt Opfern des Syrienkonfliktes aus humanitären Gründen die direkte und legale Einreise in die Schweiz ermöglicht. Auch der Entscheid von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, bis zu 80 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen, ist eine wichtige humanitäre Geste – aber leider nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Angesicht der grossen Anzahl Schutzbedürftiger braucht es europaweit eine grössere Aufnahmebereitschaft. Auch die Schweiz muss einen signifikanten Beitrag dazu leisten – z.B. in Form von deutlich mehr Resettlement-Plätzen für Flüchtlinge, Familienzusammenführungen oder humanitären Visa. In Anbetracht der derzeit tiefen Zahl von Asylgesuchen in der Schweiz scheint die Forderung umso gerechtfertigter.
Der Vorstoss geht in die richtige Richtung. Er fordert von der Schweiz ein humanitäres Projekt, das der Ausnahmesituation an den Rändern Europas endlich gerecht wird und mit dem das Leben schutzbedürftiger Menschen gerettet werden kann. Amnesty International empfiehlt die Motion anzunehmen.
Rüstungsexporte
16.3203 n Mo. Glättli. Keine Rüstungsgüter in die in den Jemen-Krieg verwickelten Länder exportieren
und
16.3502 n Mo. Seiler Graf. Sofortiger Stopp der Lieferung von Kriegsmaterial und besonderen militärischen Gütern an die Kriegsparteien in Jemen
Amnesty International hat soeben ein Positionspapier zu einer möglichen Lockerung der Kriegsmaterialverordnung veröffentlicht (siehe http://bit.ly/2GhlAcQ) und dabei die Gefahren im Zusammenhang mit dem Krieg im Jemen hingewiesen. Angesichts der schweren humanitären Krise in Jemen als Folge des bewaffneten Konfliktes, haben europäische Staaten wie Deutschland und Norwegen ihre Waffentransfers an Staaten der Allianz unter der Führung Saudi-Arabiens gestoppt. Das Risiko, dass mit den Waffen humanitäres Völkerrecht verletzt wird und schwere Menschenrechtsverstösse begangen werden, sind hoch.
Amnesty International ist der Ansicht, dass auch die Schweiz diese Position unterstützen sollte, und empfiehlt die Annahme dieser beiden Anträge.