© Parlamentsdienste Bern
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Herbstsession (9. - 27. September 2019) Menschenrechte im Parlament: Herbst 2019

Die Konzernverantwortungsinitiative, sichere Fluchtwege, ein Ende der Administrativhaft für Minderjährige und Massnahmen gegen sexuelle Gewalt: Das sind aus menschenrechtlicher Sicht wichtige Themen in der kommenden Session.

Mit Spannung wird in dieser Session die Debatte im Ständerat zum Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative erwartet. Die Initianten – darunter Amnesty International – sind wie bis anhin offen für den Kompromiss und setzen gleichzeitig die intensive Mobilisierung für eine allfällige Abstimmungskampagne fort, so lange die eidgenössischen Räte keinen definitiven Entscheid gefällt haben, wie weitreichend die Änderungen an der Initiative ausfallen sollen.

Im Asyl- und Ausländerrecht unterstützt Amnesty International zwei Forderungen, die in der kommenden Session traktandiert sind: jene nach einem Ende der menschenrechtswidrigen Administrativhaft für Minderjährige und nach der Schaffung sicherer Fluchtkorridore. Mit Besorgnis beobachten wir Vorschläge zur Eindämmung des "radikalen Islam", die wohl dazu führen, dass antimuslimische Ressentiments geschürt werden.

Massnahmen gegen sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt sind spätestens seit der Veröffentlichung einer Studie von gfs.bern im Auftrag von Amnesty International in die öffentliche Debatte gerückt. Die Studie zeigt mit schockierenden Zahlen, wie verbreitet das Phänomen in der Schweiz ist. In verschiedenen Interpellationen haben National- und Ständerätinnen diverser Parteien Antworten vom Bundesrat eingefordert; namentlich zu notwenigen Reformen des Sexualstrafrechts und zur Verbesserung des Zugangs zur Justiz für Betroffene sexueller Gewalt. Thema in der kommenden Session ist auch das Postulat Mathias Reynard (17.3704), das einen Bericht zum Ausmass sexueller Belästigung in der Schweiz und zu den Massnahmen in anderen Ländern fordert. Im November wird Amnesty International eine von Tausenden von Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnete Petition gegen sexuelle Gewalt an Bundesrätin Karin Keller-Sutter überreichen.

Ständerat

18.321 s Kt.Iv. Genf. Stopp der Administrativhaft für Kinder!

19.020 s Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst. Änderung

19.023 s Ja zum Verhüllungsverbot. Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag

16.077 OR. Aktienrecht – Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative

Nationalrat

19.028 n Internationaler Strafgerichtshof. Änderung des Römer Statuts

17.3681 n Mo. Fraktion V. Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!

17.3690 n  Mo. Fraktion S. Flüchtlingsdrama am Mittelmeer. Legale und sichere Flucht- und Migrationskorridore einrichten

17.3704 n Po. Reynard. Belästigung im Alltag. Bericht über Ausmass und Gegenmassnahmen

 

Ständerat

Montag, 9. September 2019
18.321 s Kt.Iv. Genf. Stopp der Administrativhaft für Kinder!

Der Grosse Rat des Kantons Genf fordert in dieser Standesinitiative ein Ende der Administrativhaft für Kinder in der Schweiz, da ein Freiheitsentzug bei Kindern zu ernsten gesundheitlichen Problemen wie Angstzustände, schwere Depression, posttraumatische Belastungsstörung und sogar Selbstverstümmelung führen kann. Die Inhaftierung von Kindern aus migrationsrechtlichen Gründen verstösst gemäss einhelliger Ansicht diverser internationaler Instanzen gegen die Kinderrechte.

Position Amnesty International:

Um den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen, sieht das Ausländergesetz in der Schweiz die Möglichkeit vor, Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren zu inhaftieren. Dabei ist eine maximale Haftdauer von einem Jahr erlaubt. Die Administrativhaft für Kinder unter 15 Jahren ist demgegenüber ausgeschlossen.

Der Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Juni 2018 brachte jedoch zutage, dass in der Schweiz nicht nur Kinder zwischen 15 und 18 Jahren, sondern auch jüngere Kinder von Administrativhaft betroffen sind. Bei den unter 15-Jährigen handelte es sich dabei mehrheitlich um Kinder, die zusammen mit Familienangehörigen in Haft genommen wurden.

Am 28. September 2018 nahm der Bundesrat zu den Empfehlungen der GPK-N Stellung und hielt dabei fest, dass für Kinder unter 15 Jahren aufgrund fehlender Gesetzesgrundlage die Anordnung der ausländerrechtlichen Administrativhaft ausgeschlossen sei. In solchen Fällen müssten die Kantone Alternativen prüfen. Nicht ausgeschlossen wurde jedoch die Administrativhaft für Kinder zwischen 15 und 18 Jahren, wie dies gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz AIG möglich ist.

Amnesty International ist dezidiert der Meinung, dass migrationsrechtliche Gründe eine Inhaftierung von Kindern nie zu rechtfertigen vermögen und hat die Staaten bereits im Rahmen der Diskussion zum Global Compact on Migration dazu aufgerufen, eine «Nulltoleranz» bei dieser Frage zu verfolgen. Auch als letztes Mittel ist die Anordnung von Administrativhaft bei Minderjährigen nicht zu rechtfertigen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um unbegleitete oder begleitete Kinder handelt. Amnesty International ist deshalb der Ansicht, dass die Staaten nach alternativen Lösungen suchen müssen, wenn Kinder betroffen sind.

Amnesty International unterstützt daher die Standesinitiative und empfiehlt sie zur Annahme.

 

Mittwoch, 11. September 2019
19.020 s Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst. Änderung

Amnesty International empfiehlt im Namen der Achtung der Gewissensfreiheit und der Gleichbehandlung grundsätzlich die freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst, wobei letzterer das 1,5-fache der Dauer des Militärdienstes nicht überschreiten darf.

Aufgrund dieser prinzipiellen Haltung beurteilt Amnesty International die vorgeschlagenen Reformen negativ, denn sie haben eindeutig eine abschreckende Wirkung. Der Bundesrat selbst bestätigt dies in seinem Bericht: «Im Zivildienstrecht geht es dabei um Massnahmen zur substantiellen Senkung der Anzahl der Zulassungen zum Zivildienst». Wenn der Staat mit verschiedenen Massnahmen jene abschreckt, die Zivildienst leisten möchten, greift er in ihre Meinungs- und Glaubensfreiheit ein.

Insbesondere lehnt Amnesty International die Änderung von Artikel 8 ab, die vorsieht, dass die Bedingungen für den Wechsel in den Zivildienst umso schlechter werden, je mehr Diensttage ein Dienstpflichtiger schon geleistet hat. Bestraft werden all jene, die der Armee eine Chance geben und bereit sind, militärischen Dienst zu leisten. Gerät jemand dann in einen Gewissenskonflikt, wird er mit einem unverhältnismässig hohen Faktor bestraft. 150 Mindestdiensttage führen den Tatbeweis ad absurdum. Wer statt seinen letzten Wiederholungskurs zu leisten ein Zivildienstgesuch einreicht, hat mehr als sieben Mal so viele Diensttage zu leisten. Dies hat eindeutig Bestrafungscharakter, und Amnesty International kann dies nicht unterstützen.

Amnesty International empfiehlt, die Gesetzesvorlage abzulehnen.

 

Donnerstag, 26. September 2019
19.023 s Ja zum Verhüllungsverbot. Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag

In ihrer Stellungnahme vom September 2018 zum indirekten Gegenvorschlag zur sogenannten Anti-Burka-Initiative begrüsste Amnesty International den Entscheid des Bundesrates, die Initiative abzulehnen, sprach sich gleichzeitig aber auch gegen einen Gegenvorschlag aus. Diese Position hat sich nicht geändert. Amnesty International ist der Auffassung, dass keine gesetzgeberische Notwendigkeit besteht. Ein Gesichtsverhüllungsverbot betrifft hauptsächlich muslimische Frauen, die einen Ganzkörperschleier (als Burka oder Nikab bezeichnet) tragen. Da dies in der Schweiz nur wenige Frauen tun, schaffen die Initianten (wie bereits bei der Minarett-Initiative) eine Problematik, die so in der Schweiz gar nicht gegeben ist. Es handelt sich vor allem um einen Versuch, mit Symbolen Politik zu betreiben und auf eine diskriminierende Rhetorik zu setzen. Frauen werden instrumentalisiert, um Stereotype über den Islam zu fördern und Islamismus-Ängste zu schüren.

Amnesty empfiehlt, die Initiative und den Gegenvorschlag abzulehnen.

Amnesty-Positionspapier zum «Burka-Verbot» vom September 2018

 

Donnerstag, 26. September 2019
16.077 OR. Aktienrecht – Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative

 

Die Rechtskommission des Ständerats hat am 4. September mitgeteilt, dass sie ihrem Rat beantragt, den Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative anzunehmen. Sie bekräftigt, dass sie einen Vorschlag will, der eine gewisse zivilrechtliche Haftung beinhaltet.

Im Februar dieses Jahres hatte die Kommission bereits über den Gegenvorschlag beraten und ihm zugestimmt. Neben zahlreichen Änderungen entschied die Kommission damals auch den Einbau einer «Subsidiaritäts-Klausel», welche sowohl von Economiesuisse als auch den Initianten – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – stark kritisiert wurde.

 Der Ständerat beschloss im März dieses Jahres knappes Nichteintreten mit dem Argument, dass aktuell niemand voll hinter dem Gegenentwurf stehe und die Initianten das Volksbegehren nicht zurückziehen würden. Nun will die RK-S offensichtlich mit einer überarbeiteten Version die Blockade lösen und schlägt neu anstelle der «Subsidiaritäts-Klausel» ein Schlichtungsverfahren vor dem Nationalen Kontaktpunkt (NKP) für die OECD-Leitsätze vor, welches vor einer Zivilklage beschritten werden müsste. Damit soll der Angst begegnet werden von Teilen der Wirtschaft, dass es zu missbräuchlichen Klagen kommen könnte.

 Aus Sicht der Initianten ist die Einschränkung der Klagemöglichkeiten via Schlichtungsverfahren ein erneuter Abstrich, neben den bereits erfolgten, massiven Einschränkungen der Haftung und des Geltungsbereichs. Im Sinne einer Kompromiss-Lösung und um rasche Verbesserungen für die Menschen vor Ort sicherzustellen, ist ein erneutes Entgegenkommen aber denkbar. Dies insbesondere dann, wenn wichtige Teile der Wirtschaft einen solchen Kompromiss mittragen. Die Initianten werden verbindlich zur Frage des Rückzugs äussern, sobald der konkrete Gesetzestext («Fahne») vorliegt. Dieser wird auf Ende Woche erwartet. Die Stellungnahme wird ab Sonntagabend hier aufgeschaltet werden: www.konzern-initiative.ch/gv_ruechzugsfaehigkeit

Der Ständerat wird nun am 26. September über den Vorschlag beraten. Folgt der Ständerat seiner Rechtskommission, liegt der Ball erneut beim Nationalrat. Dieser muss den beantragten Änderungen zustimmen, damit das Geschäft bereit ist für die Schlussabstimmungen in beiden Kammern.

Die Initianten - darunter Amnesty International - sind wie bis anhin offen für den Kompromiss und setzen gleichzeitig die intensive Mobilisierung für eine allfällige Abstimmungskampagne fort, so lange die eidgenössischen Räte keinen definitiven Entscheid gefällt haben.

 

Nationalrat

Mittwoch, 18. September 2019
19.028 n Internationaler Strafgerichtshof. Änderung des Römer Statuts

Auf Ersuchen des Bundesrates wird das Parlament aufgefordert, die Ratifizierung einer wesentlichen Änderung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu genehmigen. Demnach könnte das Gericht den Einsatz von biologischen Waffen, blindmachenden Laserwaffen und Waffen, die durch Splitter verletzen, die durch Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können, sanktionieren. Der Einsatz dieser drei Waffentypen ist nach schweizerischem Recht bereits verboten, und es ist deshalb kohärent, wenn die Schweiz dem IStGH die Zuständigkeit überträgt, Situationen zu beurteilen, in denen der Einsatz dieser Waffen nachgewiesen wird.

Mit der Ratifizierung dieser Änderungen würde die Schweiz die internationale Strafjustiz stärken und zur Prävention von Kriegsverbrechen sowie zum besseren Schutz von Zivilpersonen und Kombattanten beitragen. Sie würde zudem ein wichtiges Signal aussenden, damit die Verwendung dieser Waffen über die Schweiz hinaus als Kriegsverbrechen geahndet wird.

Amnesty International empfiehlt, dem Bundesbeschluss zuzustimmen.

 
 

Datum noch offen
17.3681 n Mo. Fraktion V. Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!

Diese Motion fordert unter anderem ein Verbot direkter oder indirekter ausländischer Finanzierung islamischer Gebetshäuser, Organisationen und weiterer Institutionen, «welche in irgendeiner Art und Weise die Verbreitung oder Vertretung des Islams oder von Muslimen fördern oder wahrnehmen». Zudem wird verlangt, dass alle Moscheen im Land systematisch überwacht werden. Ausländischen Imamen soll die Einreise prinzipiell verboten werden.

Dieser massive Eingriff in die Grundrechte, der einzig auf muslimische Gemeinschaften zielt, ist – wie auch der Bundesrat feststellt – eindeutig diskriminierend und verfassungswidrig (Art. 8 Abs. 2 BV) und verletzt die Meinungs- und Religionsfreiheit.  Bestehen konkrete Sicherheitsrisiken, haben Bund und Kantone schon heute ausreichende Mittel, um Überwachungen auch in Moscheen vorzunehmen. Eine verdachtsunabhängige Überwachung aller Moscheen steht in eklatantem Widerspruch zum Diskriminierungsverbot und ist zudem völlig unverhältnismässig. Dasselbe gilt für ein generelles Einreiseverbot für ausländische Imame.

Der Vorstoss stellt Musliminnen und Muslime in der Schweiz unter Generalverdacht und zielt vor allem darauf ab, anti-islamische Ressentiments zu schüren.

Amnesty empfiehlt, diese Motion entschieden abzulehnen.

 

17.3690 n  Mo. Fraktion S. Flüchtlingsdrama am Mittelmeer. Legale und sichere Flucht- und Migrationskorridore einrichten

Dieser Vorstoss steht im Einklang mit dem, was Amnesty und andere NGO seit langem fordern: nämlich die Öffnung neuer legaler und sicherer Korridore für Menschen auf der Flucht. In einem offenen Brief an Bundesrätin Karin Keller-Sutter haben die Schweizerische Flüchtlingshilfe, ihre Mitgliederorganisationen – darunter Amnesty International – und das Schweizerische Rote Kreuz unlängst gefordert, dass zwingend mehr Plätze für Kontingentsflüchtlinge geschaffen werden. So kann verhindert werden, dass Menschen, die Schutz vor Verfolgung suchen, auf lebensgefährliche Fluchtwege geraten. Der Bundesrat hat im November 2018 ein Resettlement-Kontingent von 800 Plätzen für das Jahr 2019 beschlossen sowie im Mai 2019 ein Kontingent von je 800 Plätzen pro Jahr für 2020/21, namentlich für die Opfer des Syrienkonflikts. Die aktuell äusserst besorgniserregende Situation in Libyen und im zentralen Mittelmeer schafft aber einen zusätzlichen humanitären Handlungsbedarf. Das UNHCR hat Kenntnis von rund 30 offiziellen Lagern in Libyen, in denen derzeit schätzungsweise 6‘000 Menschen gefangen gehalten werden. Ungefähr zwei Drittel von ihnen fallen unter die Uno-Flüchtlingsdefinition.

Die Schweiz sollte Hand bieten zu einer Lösung und die Soforthilfe für die betroffenen Menschen vor Ort stärken. In der Schweiz sind die Asylgesuchzahlen derzeit unterdurchschnittlich tief. Die Möglichkeiten und Kapazitäten, um in der Schweiz mehr Schutzsuchende aufzunehmen, sind daher vorhanden, zumal die Strukturen des neuen Asylsystems auf 24'000 Gesuche jährlich ausgerichtet sind. Viele Schweizer Städte und Kantone sowie die Zivilgesellschaft sind zudem gewillt, Hand zu bieten und sich an einer Lösung zu beteiligen.

Amnesty empfiehlt, diese Motion anzunehmen.

 

17.3704 n Po. Reynard. Belästigung im Alltag. Bericht über Ausmass und Gegenmassnahmen

Eine Studie von gfs.bern im Auftrag von Amnesty International hat gezeigt, dass bei sexueller Gewalt und sexueller Belästigung eine riesige Dunkelziffer besteht. Der überwiegende Teil der Betroffenen wagt es nicht, Anzeige zu erstatten. Entsprechend sind die Daten der Kriminalstatistik wenig aussagekräftig. Es fehlt an systematischen und präziseren Datenerhebung zur Verbreitung und Entwicklung aller Formen sexueller Gewalt und Forschung zur strafrechtlichen Verfolgung von Delikten gegen die sexuelle Integrität. Momentan ist aus den Kriminalstatistiken nur die Zahl der Anzeigen und Urteile verfügbar, die Ausfilterungsprozesse (d.h. wie viele Verfahren werden eingestellt und aus welchen Gründen) sind nicht ersichtlich. Auch eine systematische Evaluation von Opferbedürfnissen, die auf tatsächlichen Opferbefragungen basiert, gibt es bislang für sexuelle Gewaltdelikte nicht. Die Vielfalt der Opfer bezüglich Alter, Gesundheit, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung u.a. wird damit nicht erfasst. Auch wären Forschungsprojekte dringlich, die erfassen, wie sich diese Verfahren auf Opfer auswirken und was Betroffene von der Anzeigenerstattung abhält. Zudem wäre Ursachenforschung zu sexualisierter Gewalt angezeigt.

In seiner ablehnenden Antwort auf das Postulat erklärt der Bundesrat, dass ein Bericht auf Bundesebene «keine wesentlichen neuen Erkenntnisse zeitigen» und nur «unnötigen und unverhältnismässigen Aufwand verursachen würde». Diese Haltung ist angesichts des schockierenden Ausmasses sexueller Belästigung und Gewalt nicht nachvollziehbar und ein eigentlicher Affront gegenüber den Tausenden von Betroffenen. Hinzu kommt, dass das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) die Schweiz zur systematischen und regelmässigen Erfassung von relevanten Daten zu allen Formen von Gewalt in ihrem Geltungsbereich und zur Forschung verpflichtet (Art. 11). Art. 4 der Konvention verlangt von den Staaten zudem explizit, Massnahmen zur Bekämpfung sexueller Belästigung und sexueller Gewalt zu ergreifen.

Amnesty International empfiehlt die Annahme des Postulats.