© Béatrice Devènes
© Béatrice Devènes

Sommersession 2019 (03. – 21. Juni 2019) Menschenrechte im Parlament Sommer 2019

3. Juni 2019
Hält der Nationalrat an seinem indirekten Gegenvorschlag fest, der zu einem Rückzug der Konzernverantwortungsinitiative führen kann? Oder entscheidet sich die grosse Kammer gegen eine Alternative? In dieser Session gibt es Klarheit: Kommt das Begehren vors Volk, steht der Schweiz ein spannender Abstimmungskampf zur Frage bevor, ob multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz für Umwelt- und Menschenrechtsverstösse im Ausland geradestehen sollen.

Nationalrat

Donnerstag, 13. Juni

Konzernverantwortungsinitiative und indirekter Gegenvorschlag

 Empfehlungen von Amnesty International und des Initiativkomitees:

 17.060 s Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt. Volksinitiative
Ja zur Volksinitiative «für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungsinitiative)

Nein zur Minderheit II (Flach) Bundesbeschluss betreffend «Selbstregulierung mit Androhung staatlicher Massnahmen bei ungenügender Nachachtung» (Gegenentwurf zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt)

16.077 Aktienrecht – Entwurf 2 (indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative)

Festhalten am indirekten Gegenvorschlag des Nationalrates (Zustimmung zur Mehrheit der RK-N)

Die endgültige Verabschiedung des durch den Nationalrat am 14. Juni 2018 mit 121:73 Stimmen beschlossenen indirekten Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative würde zu einem Rückzug der Konzernverantwortungsinitiative führen. Die entsprechende Zusage des Initiativkomitees vom 11. Juni 2018 per Brief an alle Nationalrätinnen und Nationalräte gilt selbstverständlich weiterhin vorbehaltslos.

Mehr Informationen zur Konzernverantwortungsinitiative: Link

 

Datum noch offen

17.513 Pa. Iv. Den Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen befristet stoppen

Die SVP-Fraktion will ein dreijähriges Moratorium für die Familienzusammenführung für vorläufig aufgenommene Personen, einschliesslich Flüchtlinge, einführen. 

 Amnesty International lehnt diesen Vorstoss entschieden ab, da er im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsstandards steht. Zu den Betroffenen gehören insbesondere Familien, die durch Bürgerkriegssituationen wie etwa in Syrien zerrissen wurden. Der innigste Wunsch dieser Familien ist es, an einem sicheren Ort wieder vereint zu sein. Dies ist in der Regel nicht in ihrem Herkunftsland möglich, und die Familienzusammenführung in einem Gastland wie der Schweiz bleibt die einzige Lösung.

 Die Regeln für die Familienzusammenführung sind bereits heute sehr streng. Das Ausländergesetz verlangt eine Wartezeit von drei Jahren; die Familie in der Schweiz darf ausserdem nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein. Viele erfüllen diese Bedingungen nicht und bleiben jahrelang von ihren Verwandten getrennt. Dies hat oft schwerwiegende Folgen für das Wohlergehen der Betroffenen, da die ständige Sorge über die Familienmitglieder ihre Integration behindert.

 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Gewährung der Familienzusammenführung kein humanitärer Akt ist, sondern eine Verpflichtung, die sich aus dem Recht auf Achtung des Familienlebens ergibt. Diese ist u.a. in der Europäischen Menschenrechtskonvention oder in der Konvention über die Rechte des Kindes verankert – zwei für die Schweiz verbindliche Verträge. Ein dreijähriges Moratorium (zusätzlich zu den ohnehin schon sehr strengen Regeln der Familienzusammenführung) wäre weder mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz noch mit der auch in der Bundesverfassung verbrieften Achtung des Familienlebens vereinbar. Auch die Mehrheit der staatspolitischen Kommission des Nationalrats empfiehlt, die erst kürzlich erlassenen Regelungen in diesem Bereich nicht schon wieder zu ändern.

17.509 Pa. Iv. Keine direkte Asylgewährung durch den Bundesrat

Die SVP-Fraktion schlägt vor, dem Bundesrat die Kompetenz zur Aufnahme von Flüchtlingskontingenten im Asylverfahren zu entziehen und ans Parlament zu übertragen.

 und 17.527 Pa. Iv. Parlamentskompetenz für die Übernahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen von anderen Staaten

Über die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern anlässlich von «Gruppenübernahmen, Ansiedlungs- und Umverteilungsprogrammen aus anderen Staaten» sollen National- und Ständerat entscheiden.

 Amnesty International lehnt diese beiden Vorstösse ab, die trotz ihrer unterschiedlichen Formulierung das gleiche Ziel verfolgen, nämlich dem Bundesrat die Kompetenz zu entziehen, Flüchtlingskontingente aus Drittländern aufzunehmen. Dagegen spricht, dass solche Entscheidungen schnell getroffen werden müssen. Gerade die SVP fordert ja immer wieder, nur «echten Flüchtlingen» Asyl zu gewähren – das ist aber gerade in diesen Fällen unbestritten, denn Kontingentsflüchtlinge werden in den meisten Fällen durch bewaffnete Konflikte aus ihrer Heimat vertrieben; ihr Schutzbedarf wird vorgängig durch die Schweiz – in Zusammenarbeit mit dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) – abgeklärt. Auch die Mehrheit der Staatspolitischen Kommission erachtet die Forderung der beiden parlamentarischen Initiativen als übertrieben und unverhältnismässig. Der Entscheid über die Gewährung von Asyl soll demnach nicht politisch gefällt werden, sondern gemäss vorher vom Parlament festgelegten Kriterien.

17.519 Pa. Iv. Massnahmen gegen trölerisches Prozessieren im Asylverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht

Nach Ansicht von SVP-Nationalrat Sebastian Frehner verfügt das Bundesverwaltungsgericht BVGer nur über schlechte Instrumente zur Bekämpfung missbräuchlicher Asylanträge. Das geltende Recht sieht bei böswilliger oder mutwilliger Prozessführung im Einzelfall eine Ordnungsbusse bis zu 1000 Franken, bei Rückfall bis zu 3000 Franken vor (Artikel 60 Absatz 2 VwVG). Diese Beträge hätten keine abschreckende Wirkung, so der Initiant. Er kommt zum Schluss, dass die Geldbussen auf 10 000 Franken erhöht werden sollten, mit der Möglichkeit, den fehlbaren Anwalt für die Dauer von eins bis vier Jahren vom Prozessieren vor Bundesverwaltungsgericht auszuschliessen.

 Amnesty lehnt diesen unnötigen Vorstoss ab. Der Initiant stützt sich auf einen in den Medien veröffentlichten Fall aus dem Jahr 2016, um daraus ohne jegliche statistischen Belege eine Fülle unbegründeter Forderungen abzuleiten. Vor einer Gesetzesänderung sollte jedoch überprüft werden, ob diese wirklich notwendig ist. Behauptet wird weiter, dass die Rechtsvertreter von Asylsuchenden mit dem Gang vor das BVGer erhebliche Geldbeträge verdienten. Dabei wird schlicht ignoriert, dass es sich beim Grossteil um Mitarbeitende der Rechtsberatungsstellen von Hilfsorganisationen handelt, die monatlich einen Lohn erhalten, und dass Anwälte ansonsten häufig «pro bono» Asylsuchende vertreten.

Im Asylverfahren stehen absolut geschützte Rechtsgüter wie das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit auf dem Spiel, wie sie auch durch die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt sind. Jede Person, die geltend machen möchte, dass diese Rechtsgüter durch einen negativen Entscheid des Staatssekretariats für Migration verletzt werden, muss daher Zugang zu einer wirksamen Beschwerde haben. Eine Erhöhung der Bussgelder ist mit dem effektiven Beschwerderecht nicht zu vereinbaren und daher abzulehnen. Auch die staatspolitische Kommission des Nationalrats sieht für eine Änderung des Verwaltungsverfahrens­gesetzes keinen Anlass.

  18.425 Pa.Iv. Für eine konsequente Durchsetzung des Strafrechts. Streichung der Täterschutzklausel bei Landesverweisungen

Nationalrat Gregor Rutz (SVP, ZH) schlägt mit dieser Initiative vor, die in Artikel 66d des Strafgesetzbuches enthaltene «Härtefallklausel» für die Abschiebung von ausländischen Straftätern zu streichen.

Amnesty International lehnt diesen Vorstoss entschieden ab. Mit der «Härtefallklausel» in Artikel 66 Abs 2. StGB wird verhindert, dass die systematische Abschiebung ausländischer Straftäter im Widerspruch zum Völkerrecht steht. Dies etwa durch die Wahrung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) oder des übergeordneten Interesses des Kindes, das durch die Uno-Kinderrechtskonvention geschützt ist. Eine Streichung der entsprechenden Klausel bringt ausserdem die Gefahr mit sich, dass die Schweiz gegen menschenrechtliche Verpflichtungen verstösst, die sie durch die Ratifizierung mehrerer internationaler Übereinkommen eingegangen ist. Auch die staatspolitische Kommission lehnt den Vorstoss mit deutlicher Mehrheit ab.

 

Ständerat

Donnerstag, 20. Juni

18.321 s Kt.Iv. Genf. Stopp der Administrativhaft für Kinder!

Der Grosse Rat des Kantons Genf fordert in dieser Standesinitiative ein Ende der Administrativhaft für Kinder in der Schweiz, da ein Freiheitsentzug bei Kindern zu ernsten gesundheitlichen Problemen wie Angstzustände, schwere Depression, posttraumatische Belastungsstörung und sogar Selbstverstümmelung führen kann. Die Inhaftierung von Kindern aus migrationsrechtlichen Gründen verstösst gemäss einhelliger Ansicht diverser internationaler Instanzen gegen die Kinderrechte.

Position Amnesty International:

Um den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen, sieht das Ausländergesetz in der Schweiz die Möglichkeit vor, Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren zu inhaftieren. Dabei ist eine maximale Haftdauer von einem Jahr erlaubt. Die Administrativhaft für Kinder unter 15 Jahren ist demgegenüber ausgeschlossen.

Der Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Juni 2018 brachte jedoch zutage, dass in der Schweiz nicht nur Kinder zwischen 15 und 18 Jahren, sondern auch jüngere Kinder von Administrativhaft betroffen sind. Bei den unter 15-Jährigen handelte es sich dabei mehrheitlich um Kinder, die zusammen mit Familienangehörigen in Haft genommen wurden.

Am 28. September 2018 nahm der Bundesrat zu den Empfehlungen der GPK-N Stellung und hielt dabei fest, dass für Kinder unter 15 Jahren aufgrund fehlender Gesetzesgrundlage die Anordnung der ausländerrechtlichen Administrativhaft ausgeschlossen sei. In solchen Fällen müssten die Kantone Alternativen prüfen. Nicht ausgeschlossen wurde jedoch die Administrativhaft für Kinder zwischen 15 und 18 Jahren, wie dies nach wie vor gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz AIG möglich ist.

Amnesty International ist dezidiert der Meinung, dass migrationsrechtliche Gründe eine Inhaftierung von Kindern nie zu rechtfertigen vermögen und hat die Staaten bereits im Rahmen der Diskussion zum Global Compact on Migration dazu aufgerufen, eine «Nulltoleranz» bei dieser Frage zu verfolgen. Auch als letztes Mittel ist die Anordnung von Administrativhaft bei Kindern nicht zu rechtfertigen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um unbegleitete oder begleitete Kinder handelt. Amnesty International ist deshalb der Ansicht, dass die Staaten nach alternativen Lösungen suchen müssen, wenn Kinder betroffen sind.

Amnesty International unterstützt daher die Standesinitiative und empfiehlt sie zur Annahme.