Bundeshaus Bern, Südsicht. © parlament.ch
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Frühjahrssession (2. März – 20. März) Menschenrechte im Parlament: Frühjahr 2020

21. Februar 2020
Eine Petition sowie eine parlamentarische Initiative fordern eine Änderung des eine Anpassung des Ausländer- und Integrationsgesetzes, damit Personen, die aus humanitären Gründen Hilfe leisten, sich nicht länger strafbar machen. Sorgen machen Amnesty Schweiz die Bundesgesetze zur Terrorismusbekämpfung sowie Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Schliesslich steht endlich der parlamentarische Entscheid über den Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative bevor.

Solidarität ist kein Verbrechen! Gleichwohl werden heute in der Schweiz nicht nur kriminelle SchmugglerInnen, sondern auch Personen verurteilt, die allein aus Mitgefühl Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus in Not geholfen haben – etwas indem sie ihnen Essen oder Unterkunft anboten.

In der Wintersession haben Amnesty International und Solidarité sans frontières eine Petition überreicht, die fast 30'000 Menschen und 200 Anwälte und Anwältinnen mitunterzeichnet haben. Sie fordert eine Anpassung des Ausländer- und Integrationsgesetzes, damit Personen, die Hilfe leisten, sich nicht länger strafbar machen, wenn sie dies aus achtenswerten Gründen tun. Dies verlangt auch die Parlamentarische Initiative von Ständerätin Lisa Mazzone, die in der kommenden Session im Nationalrat traktandiert ist.

In Sachen Konzernverantwortung steht nach langem hin und her der endgültige Entscheid über den Gegenvorschlag bevor, der zu einem Rückzug der Initiative führen könnte – oder aber zu einer Volksabstimmung im kommenden Herbst.

Übersicht

Nationalrat

18.461 Artikel 116 AUG. Solidarität nicht mehr kriminalisieren

19.3991 und 19.4376 Im Ausland erbrachte Sicherheitsdienstleistungen

Ständerat

18.071 und 19.032 Bundesgesetze zur Terrorismusbekämpfung

Beide Kammern

Konzernverantwortungsinitiative und indirekter Gegenvorschlag:  Empfehlungen von Amnesty International und des Initiativkomitees

 

Nationalrat

Datum noch offen
18.461 Artikel 116 AUG. Solidarität nicht mehr kriminalisieren

Im Jahr 2018 wurden 972 Personen wegen Verstosses gegen Artikel 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) verurteilt. Allerdings handelte es sich in nur in 32 Fällen tatsächlich um Schlepper oder Schlepperinnen. Die überwiegende Mehrheit der Urteile betraf Personen, die aus Solidarität oder zumindest ohne finanziellen Nutzen handelten. In der Schweiz wird strafrechtlich verfolgt, wer Menschen in Not hilft, die nicht über die notwendigen Papiere verfügen. Dies auch, wenn die Hilfe uneigennützig und aus reinem Mitgefühl erfolgte. Deshalb fordert Amnesty Schweiz eine Revision des Artikels 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes, damit Menschen, die selbstlos helfen, nicht mehr strafrechtlich belangt werden können.

Artikel 116 des AIG über die «Anstiftung zur illegalen Ein- und Ausreise oder zum illegalen Aufenthalt» sieht keine Straffreiheit vor – selbst wenn die Hilfe aus ehrenhaften Motiven geleistet wird. Mit dieser rigiden Gesetzgebung wird die Schweiz immer mehr zu einem Sonderfall: Viele andere europäische Länder, darunter auch unsere vier direkten Nachbarn (Deutschland, Italien, Österreich und Frankreich) sehen Straffreiheit vor, wenn die Beihilfe zum illegalen Aufenthalt aus humanitären Gründe erfolgte.

Amnesty International fordert das Parlament auf, der parlamentarischen Initiative Mazzone zuzustimmen, damit die Schweiz die Grundsätze von Freiheit und Solidarität lebt, statt sie zu kriminalisieren. In diesem Zusammenhang organisiert Amnesty International während der Session ein Treffen für ParlamentarierInnen und Parlamentarier, an dem ein neuer Bericht über die Kriminalisierung der Solidarität in Europa und der Schweiz vorgestellt wird (siehe Einladung unten).

12. März 2020
19.3991 und 19.4376 Im Ausland erbrachte Sicherheitsdienstleistungen

Im Juni letzten Jahres hat das EDA die Tätigkeit der Pilatus Flugzeugwerke AG in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf der Grundlage des Bundesgesetzes über die privaten Sicherheitsdienste im Ausland (BSP) verboten. Das EDA ist der Ansicht, dass die von Pilatus erbrachten Unterstützungsleistungen – die technische Hilfe, das Ersatzteilmanagement und die Problembehebung an Pilatus PC-21-Flugzeugen und -Simulatoren – faktisch eine logistische Unterstützung ausländischer Streitkräfte darstellt und dem BSP unterliegen.

Angesichts der schwerwiegenden Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht, insbesondere der regelmässigen Bombardierungen ziviler Ziele im Jemen durch die von Saudi-Arabien angeführte Koalition, ist das EDA zu Recht der Ansicht, dass die Unterstützung der Streitkräfte Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate «nicht mit den aussenpolitischen Zielen des Bundes vereinbar» sei.

Laut Amnesty International war bereits einige Jahre zuvor die Lieferung von Dual-Use-Gütern wie Trainingsflugzeugen und Flugsimulatoren nach Saudi-Arabien fraglich. Die Situation vor Ort hat sich seitdem erheblich verschlechtert, und wir sehen keine Unvereinbarkeit zwischen den damals erteilten Ausfuhrgenehmigungen und dem Verbot von Unterstützungsdienstleistungen, wie es seit Sommer 2019 besteht.

Mehrere Staaten – Spanien, Italien, die Niederlande und Norwegen – haben alle Exporte sensiblem Material an die Mitgliedsländer der von Saudi-Arabien angeführten Koalition blockiert. Die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen sollte diesem Beispiel folgen.

Diese Motionen, deren offensichtliches Ziel es ist, die wirtschaftlichen Interessen der Firma Pilatus zum Nachteil der Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu wahren, ist daher entschieden abzulehnen.

 

Ständerat

9. März 2020
18.071 und 19.032 Bundesgesetze zur Terrorismusbekämpfung

Die vom Bundesrat präsentierten Gesetzesentwürfe zur Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus sehen massive Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte vor. Amnesty International fordert zusammen mit der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz das Parlament auf, von den präventiv-polizeilichen Massnahmen ganz abzusehen und die problematischen Vorschläge im Strafrecht zu streichen.

Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, ein Zusammenschluss von über 80 Nichtregierungsorganisationen, darunter Amnesty Schweiz, stellt sich entschieden gegen die beiden Gesetzesvorlagen, welche erneut im Ständerat zur Debatte stehen.

Polizeigesetz: Gefahrenabwehr basiert auf Spekulationen

Das neue Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) will der Polizei ausserhalb des Strafverfahrens, das heisst im präventiven Bereich, mehr Möglichkeiten gegen vermeintliche Gefährder/Innen einräumen. Für die Anordnung von Massnahmen bedürfen die Behörden einzig gewisser Anhaltspunkte, welche auf eine potenzielle terroristische Aktivität in der Zukunft hinweisen. Ausgangslage bilden letztendlich Vermutungen und Spekulationen über Absichten und künftige Handlungen von Personen.

Der Polizei steht gegenüber dem oder der mutmasslichen (terroristischen) GefährderIn eine breite Auswahl an präventiven Massnahmen zur Verfügung. Das weitaus radikalste Instrument zur Gefahrenabwehr ist die Eingrenzung des Aufenthalts auf eine Liegenschaft (Hausarrest). Dieser präventive Freiheitsentzug zur allgemeinen Gefahrenabwehr, wie ihn die Gesetzesvorlage vorsieht, ist mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Eine Mehrheit der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats will den Handlungsspielraum der Bundespolizei hier sogar noch ausweiten, sodass die Massnahmen unbeschränkt verlängert werden könnten.

Besonders stossend sind zudem die in der Vorlage vorgesehenen Altersgrenzen. Der präventive Hausarrest könnte bereits für Personen ab 15 Jahren verfügt werden; Kontakt- und Rayonverbote könnten gar gegenüber Kindern im Alter von 12 Jahren zum Einsatz kommen.

Die NGO-Plattform fordert das Parlament auf, die Vorlage zum Polizeigesetz an den Bundesrat zurückzuweisen; als Minimum wären der Hausarrest zu streichen und die Massnahmen nicht auf Kinder und Jugendliche anzuwenden (Details siehe Stellungnahme).

Strafrecht: Vage Definition mit weitreichenden Folgen

Zur Antiterror-Strategie des Bundes gehört weiter die Vorlage «Terrorismus und organisierte Kriminalität», die Verschärfungen im Strafrecht sowie in zehn weiteren Gesetzen vorsieht. Besonders problematisch ist dabei, dass im Strafgesetzbuch erstmals die Beteiligung an einer «terroristischen Organisation» unter Strafe gestellt wird, ohne die verbotenen Gruppierungen aufzulisten. Während bisher der Gesetzgeber anhand einer Liste von Terror-Organisationen bestimmt hatte, welche Gruppierungen verboten sind und welche nicht, soll jetzt im Strafrecht eine vage Definition einer «terroristischen Organisation» eingeführt werden, die in der Auslegung zu Missbrauch und Willkür führen wird.

Faktisch werden neu die kantonalen Gerichte nach Gutdünken darüber entscheiden können, ob eine Organisation und deren Unterstützung als terroristisch gelten oder nicht. Die kurdische PKK könnte beispielsweise in gewissen Kantonen verboten werden und in anderen nicht. Diese Vorlage führt zu Willkür und zu einer massiven Rechtsunsicherheit. Die geplanten Gesetzesänderungen beinhalten zudem die Verwässerung des individuellen Rechtsschutzes sowie Bestimmungen, die unnötig und unverhältnismässig sind.

Amnesty fordert das Parlament auf, diese problematische Bestimmungen in der Vorlage «Terrorismus und organisierte Kriminalität» zu verwerfen oder so anzupassen, dass die Grund- und Menschenrechte gewahrt bleiben (Details siehe Stellungnahme).

Der Schutz freiheitlicher Werte ist nicht mit Mitteln zu erreichen, welche die Grundsätze einer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung unterlaufen. Eine nachhaltige Strategie gegen Terrorismus darf nicht auf menschenrechtsfeindlichen Massnahmen und systematischen Grundrechtseingriffen basieren. Vielmehr muss sie auf die Achtung der Rechte aller Menschen in der Schweiz, Integrationsmassnahmen im Bildungs- und Sozialbereich sowie auf die Förderung der politischen Partizipation ausgerichtet sein.

Beide Kammern

ab 4.3. 2020
Nationalrat und Ständerat: Konzernverantwortungsinitiative und indirekter Gegenvorschlag


Empfehlungen von Amnesty International und des Initiativkomitees der Konzernverantwortungsinitiative:

17.060 Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt»

Ja zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungsinitiative). Amnesty International empfiehlt die Annahme der Minderheit I (Arslan) und somit die Volksinitiative dem Volk zur Annahme.

Nein zur Minderheit II (Flach) Bundesbeschluss betreffend «Selbstregulierung mit Androhung staatlicher Massnahmen bei ungenügender Nachachtung» (Gegenentwurf zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt)

16.077 Aktienrecht – Entwurf 2 (indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative)

4.3.2020

Annahme Gegenvorschlag in der Version der Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats und Ablehnung Minderheit I (Bregy).

  • Falls sich die Mehrheit RK-N durchsetzt, empfehlen wir die Ablehnung der Minderheit II (Schwander)
  • Falls die Minderheit I (Bregy) angenommen wird, empfehlen wir der Zustimmung zur Minderheit II (Schwander)

Für alle weiteren Daten im National- und Ständerat

  • Für den Gegenvorschlag: Zustimmung des Gegenvorschlags nach dem Konzept Nationalrat
  • Ablehnung des Gegenvorschlags des Ständerats vom 18.Dezember 2019.
  • Annahme der Volksinitiative

Begründung

Eine klare Mehrheit der nationalrätlichen Kommission für Rechtsfragen (RK-N) schlägt mit 14:5 vor, am nationalrätlichen Konzept basierend auf dem ursprünglichen nationalrätlichen Entwurf festzuhalten und die von der RK-S am 21. November erarbeiteten Anpassungen zu übernehmen. So soll jeder Klage ein obligatorisches Sonderschlichtungsverfahren vorangestellt werden, welches als Filter gegen überraschende und unbegründete Klagen dienen und Konflikte wo immer möglich im Dialog lösen soll.

Der Ständerat ist im Dezember einer Minderheit seiner Rechtskommission gefolgt und hat ein alternatives Konzept beschlossen, welches primär auf eine Berichterstattungspflicht setzt. Berichtspflichten haben sich in der EU aber als wenig wirksam erwiesen, so dass die EU-Kommission zurzeit zusätzliche gesetzliche Massnahmen prüft. Die Sorgfaltprüfungspflicht beschränkt sich einzig auf die Bereiche «Konfliktmineralien» und «Kinderarbeit». Dieser Vorschlag enthält keine explizite Regelung der Haftung für «tatsächlich kontrollierte Unternehmen» im Ausland. Das ständerätliche Konzept ist völlig ungeeignet und ungenügend, um die von der Initiative abgedeckten Herausforderungen anzugehen.

Eine Regelung gemäss der Mehrheit der RK-N nimmt die Anliegen der Initiative zwar nur in stark abgeschwächter Form auf, hat aber den Vorteil, deutlich rascher in Kraft zu treten. Deshalb hat das Initiativkomitee beschlossen – wie bereits bei der Vorlage des Nationalrats von 2018 und jener der Rechtskommission Ständerat vom November 2019 –, noch einmal Hand zum Kompromiss zu bieten und bei einer finalen Verabschiedung des Gegenentwurfs gemäss Mehrheit der RK-N, trotz aller zusätzlicher Änderungen, den Rückzug der Volksinitiative zuzusagen.

Mehr Informationen zur Konzernverantwortungsinitiative