Der Ständerat entscheidet in dieser Session definitiv über die Konzernverantwortungsinitiative. Zur Wahl stehen ein ausgewogener Gegenvorschlag (Minderheit Engler/Konzept Nationalrat), der einen Rückzug der Initiative ermöglicht, oder ein Alibi-Gegenvorschlag, der zur Volksabstimmung führen würde. 78 Prozent der Stimmberechtigten würden Ja stimmen, wenn die Konzernverantwortungsinitiative nächsten Sonntag zur Abstimmung käme – der hohe Wert zeigt den breiten Rückhalt in der Bevölkerung für dieses Anliegen. Die Forderung zum Respekt vor Menschenrechten und Umwelt durch Schweizer Konzerne im Ausland ist umso dringender angesichts der dramatischen Folgen der Corona-Pandemie weltweit und der Wichtigkeit eines nachhaltigen Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Krise.
Ein Geschäft mit grosser menschenrechtlicher Relevanz sind auch die neuen Bundesgesetze zur Terrorbekämpfung. Der aktuelle Entwurf sieht erhebliche, für die Schweiz beispiellose Eingriffe in die Grundrechte vor. Auch zum Proximity-Tracing hat sich Amnesty International in einer Stellungnahme detailliert geäussert und die Voraussetzungen einer menschenrechtskonformen «Corona-App» aufgezeigt.
Noch ein Hinweis in eigener Sache: Nach 30 Jahren bei Amnesty International geht Alain Bovard im Juni in seine wohlverdiente Pension. An seine Stelle als Leiter der Advocacy tritt Michael Ineichen. Er war zuvor in leitender Funktion für den International Service for Human Rights ISHR in Genf tätig. Er vertritt zusammen mit seinem Team und Beat Gerber künftig die Menschenrechtspolitik der Schweizer Sektion von Amnesty International im Parlament.
Übersicht
Ständerat
16.077 Aktienrecht – Entwurf 2 (indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative)
Nationalrat
20.3143 Mo. Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland sowie Reform des Dublin-Abkommens
18.3356 Po. Arslan. Prävention gegen Diskriminierung bei Personenkontrollen durch die Polizei
20.033 Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024
18.071 und 19.032 Bundesgesetze zur Terrorismusbekämpfung
19.023 s Ja zum Verhüllungsverbot. Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag
Ständerat
2. Juni 2020
16.077 Aktienrecht – Entwurf 2 (indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative)
Amnesty International empfiehlt die Annahme der Minderheit I (Engler) und somit die Zustimmung zum Gegenvorschlag nach dem Konzept Nationalrat.
Das Initiativkomitee hat zugesagt im Fall der finalen Verabschiedung des Gegenentwurfs gemäss Minderheit Engler (Konzept Nationalrat) die Volksinitiative zurückzuziehen.
Die InitiantInnen setzen selbstverständlich die intensive Mobilisierung für eine allfällige Abstimmungskampagne fort und sehen einem Abstimmungskampf mit der Gewissheit einer breiten Unterstützung entgegen. Die Initiative geniesst in der Stimmbevölkerung ungebrochen hohen Rückhalt. Umfragezahlen, die zwischen dem 5. und 12. Mai erhoben wurden, zeigen: Heute würden 78% der Stimmberechtigten Ja zur Konzernverantwortungsinitiative stimmen. Ein Blick zurück auf die letzten beiden Jahre zeigt, dass ist die Zustimmung gemäss Umfragen kontinuierlich gestiegen ist.
Diese breite Unterstützung spiegelt sich in den tausenden von engagierten Freiwilligen (über 300 Lokalkomitees). Auch für viele Unternehmen ist die Initiative eine Selbstverständlichkeit. So engagieren sich rund 180 UnternehmerInnen im «Wirtschaftskomitee für verantwortungsvolle Unternehmen».
Die Konzernverantwortungsinitiative wird von PolitikerInnen diverser Parteien unterstützt. Im «Bürgerlichen Komitee für Konzernverantwortung» engagieren sich 180 PolitikerInnen aus BDP, FDP, GLP oder CVP für die Initiative. Für sie ist klar, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören: «Unsere liberale Wirtschaftsordnung funktioniert nur, wenn sich Konzerne an elementare rechtsstaatliche Regeln halten.» Zudem engagieren sich die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz, die Schweizer Bischofskonferenz, aber auch die Schweizerische Evangelische Allianz und der Verband der Freikirchen Schweiz für die Konzernverantwortungsinitiative.
Mehr Informationen zur Konzernverantwortungsinitiative
NATIONALRAT
3. Juni 2020
20.3143 Mo. Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland sowie Reform des Dublin-Abkommens
Die Motion fordert den Bundesrat dazu auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Situation auf den ägäischen Inseln substanziell verbessert wird. Zudem soll die Schweiz auch eigene Solidaritätsleistungen ergreifen. Weiter wird der Bundesrat damit beauftragt, sich auf europäischer Ebene für eine Reform des Dublin-Abkommens einzusetzen, hin zu einer gerechteren und gleichmässigeren Verteilung unter Sicherstellung einer menschenwürdigen Behandlung der Flüchtlinge. Amnesty International unterstützt diesen Vorstoss.
Amnesty International begrüsst die Mitte Mai erfolgte Aufnahme von 23 unbegleiteten Minderjährigen. Der Schritt ist jedoch völlig unzureichende, um der humanitären Krise in den griechischen Flüchtlingslagern zu begegnen, wo Tausende von bedrohten Menschen Schutz benötigen. Zusätzliche Anstrengungen, um Griechenland zu entlasten und die Flüchtlinge vor den mutmasslich dramatischen Folgen zu schützen, die ein Ausbruch von Covid-19 in den Lagern haben würde sind dringend nötig. Fast 40'000 Menschen, darunter rund 5600 unbegleitete Minderjährige, leben zurzeit unter desaströsen Umständen in Zelten und unter Blachen in den Lagern auf den griechischen Inseln.
Amnesty International fordert deshalb zusätzlich zu den bereits eingetroffenen unbegleiteten Minderjährigen so schnell wie möglich ein substanzielles Kontingent von Flüchtlingen aus den griechischen Inseln zu übernehmen, in erster Priorität besonders Verletzliche, darunter mindestens 200 unbegleitete Minderjährige. Zudem sollte sich die Schweiz auf europäischer Ebene für eine Reform des Dublin-Abkommens und für ein System einsetzen, das eine solidarische Aufteilung der Flüchtlinge vorsieht mit dem Ziel, dass jedes Land seinen Beitrag an einem gesamteuropäischen Effort leistet. Amnesty International ruft die Schweiz dazu auf, dass sie sich in diesem Sinne engagiert.
3. Juni
18.3356 Po. Arslan. Prävention gegen Diskriminierung bei Personenkontrollen durch die Polizei
Polizeiliche Kontrollen, Überwachungen oder Ermittlungen, die aufgrund von Merkmalen wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft durchgeführt werden, tragen zum Misstrauen bestimmter Minderheitengruppen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bei. Zudem führt dieses sogenannte Ethnic Profiling zur Spaltung der Gesellschaft. Der Öffentlichkeit wird ein Bild vermittelt, wonach Angehörige gewisser Gruppen mit kriminellem Verhalten assoziiert werden.
Amnesty International und verschiedene internationale Menschenrechtsgremien, wie der Uno-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD), der Uno-Menschenrechtsausschuss (HRC) und die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) haben festgestellt, dass institutioneller und struktureller Rassismus nach wie vor ein Problem bei der Schweizer Polizei darstellt. Dies manifestiert sich in diskriminierenden Personenkontrollen vor allem bei Fahrenden oder dunkelhäutigen Menschen.
Die Schweiz hat die Empfehlungen der internationalen Menschenrechtsorgane bisher kaum umgesetzt, so die Überarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die Rekrutierung von Minderheiten für Polizeiberufe, die Einführung von unabhängigen Beschwerdemechanismen oder die systematische Datenerhebung. Punktuelle Einzelmassnahmen sind grundsätzlich unzureichend, um ein Problem anzugehen, dass tiefgehende institutionelle und strukturelle Ursachen hat und sollten im Rahmen des vorgeschlagenen Berichtes kritisch evaluiert werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Bundesrat den Handlungsbedarf anerkennt und sich vertieft mit dieser komplexen Problematik auseinandersetzt. Ein detaillierter Bericht über die Ausprägungen des Ethnic Profiling sowie die Massnahmen des Bundes, der Kantone und der Schweizer Städte zu dessen Bekämpfung würde zu einem besseren und kontextualisierten Verständnis des Phänomens beitragen und die Grundlagen für eine fruchtbare Diskussion schaffen
Amnesty empfiehlt deshalb, dieses Postulat anzunehmen.
8. Juni
20.040 Dringliche Änderung des Epidemiengesetzes angesichts der COVID-19-Krise (Proximity-Tracing-System)
Eine sogenannte Proximity-Tracing-App soll in der Schweiz dazu beitragen, Covid-19 einzudämmen. Wir stellen erfreut fest, dass die vom Bundesrat auf den Weg gebrachte App den Forderungen der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft (u.a. auch unsere von Anfang April) bezüglich Privatsphäre und Datenschutz weitgehend entspricht. Der Bund setzt dabei auf ein dezentrales Konzept (DP-3T), bei dem keine kritischen Daten an einer zentralen Stelle gespeichert werden. Dennoch bleiben wichtige Fragen offen.
In einer gemeinsamen Erklärung (Medienmitteilung und ausführliche Stellungnahme) mit der Digitalen Gesellschaft und der Stiftung für Konsumentenschutz macht Amnesty International wir auf folgende Punkte aufmerksam:
- Die App muss sinnvoll mit anderen Massnahmen wie Testen und Quarantäne verknüpft sein, damit sie nützlich und somit auch verhältnismässig ist.
- Die Nützlichkeit der App ist noch keineswegs erwiesen. Sie muss daher laufend evaluiert werden.
- Personen, die die App nicht nutzen wollen oder können, dürfen nicht benachteiligt werden.
15. Juni
20.033 Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024
Die Schweizer Sektion von Amnesty International kritisiert insbesondere den vorgesehenen Rückzug der bilateralen Programme aus Lateinamerika. Die Entwicklungen in mehreren Ländern Zentralamerikas sind alarmierend hinsichtlich der Konzentration der Macht in der Exekutive, der fehlenden Gewaltenteilung und Transparenz. Ein Rückzug der Schweizer IZA aus Zentralamerika würde die Bemühungen für den Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte empfindlich schwächen.
Die Schweiz wird als angesehene und gut vernetzten Partner im Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit und für die Stärkung der Menschenrechte gesehen und angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in der Region ist der Rückzug nicht nachvollziehbar. Die Schweiz sollte die erfolgreich aufgebaute Unterstützung weiterführen, einschliesslich einer angemessenen personellen Präsenz vor Ort. Es sollte zudem angestrebt werden 0,7 Prozent des BNE für die IZA einzusetzen.
Ein Ausstieg der DEZA aus Latein- resp. Zentralamerika wäre nicht nur ein herber Verlust von dringend benötigter fachlicher Kompetenz und Unterstützung, sondern auch ein politisch falsches Signal der Schweiz. Zurzeit stellen viele Staaten ihre nationalen Interessen vermehrt in den Vordergrund und ziehen sich aus internationalen Gremien und Abkommen zurück. Der Rückzug der DEZA aus einem ganzen Kontinent, begründet mit wirtschafts- und migrationspolitischen Interessen der Schweiz, reiht sich in diese beunruhigenden Tendenzen auf globaler Ebene ein.
Stellungnahme von Amnesty Schweiz zur internationalen Zusammenarbeit der Schweiz für 2021 – 2024
16. Juni
18.071 und 19.032 Bundesgesetze zur Terrorismusbekämpfung
Die vom Bundesrat präsentierten Gesetzesentwürfe zur Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus sehen massive Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte vor. Amnesty International fordert zusammen mit der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz das Parlament auf, von den präventiv-polizeilichen Massnahmen ganz abzusehen und die problematischen Vorschläge im Strafrecht zu streichen.
Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, ein Zusammenschluss von über 80 Nichtregierungsorganisationen, darunter Amnesty Schweiz, stellt sich entschieden gegen die beiden Gesetzesvorlagen, und insbesondere gegen die rechtstaatlich korrosiven Passagen.
Polizeigesetz: Gefahrenabwehr basiert auf Spekulationen
Das neue Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) will der Polizei ausserhalb des Strafverfahrens, das heisst im präventiven Bereich, mehr Möglichkeiten gegen vermeintliche Gefährder/Innen einräumen. Für die Anordnung von Massnahmen bedürfen die Behörden einzig gewisser Anhaltspunkte, welche auf eine potenzielle terroristische Aktivität in der Zukunft hinweisen. Ausgangslage bilden letztendlich Vermutungen und Spekulationen über Absichten und künftige Handlungen von Personen.
Der Polizei steht gegenüber dem oder der mutmasslichen (terroristischen) GefährderIn eine breite Auswahl an präventiven Massnahmen zur Verfügung. Das weitaus radikalste Instrument zur Gefahrenabwehr ist die Eingrenzung des Aufenthalts auf eine Liegenschaft (Hausarrest). Dieser präventive Freiheitsentzug zur allgemeinen Gefahrenabwehr, wie ihn die Gesetzesvorlage vorsieht, ist mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar.
Besonders stossend sind zudem die in der Vorlage vorgesehenen Altersgrenzen. Der präventive Hausarrest könnte bereits für Personen ab 15 Jahren verfügt werden; Kontakt- und Rayonverbote könnten gar gegenüber Kindern im Alter von 12 Jahren zum Einsatz kommen.
Die SIK-N beantragt (in einem knappen Entscheid mit 11 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen), dass die polizeilichen Massnahmen zudem noch um eine «gesicherte Unterbringung von Gefährdern (GUG)» ergänzt werden sollen. Dieser Antrag ist abzulehnen, denn bereits die Idee einer Präventivhaft ohne fairen Prozess und Beweis einer Schuld ist mit unserem Rechtsstaat unvereinbar und verstösst eindeutig gegen die EMRK.
Die NGO-Plattform fordert das Parlament auf, das Nichteintreten und eventualiter die Rückweisung zu unterstützen, beziehungsweise substanzielle Änderungen der Vorlage zum Polizeigesetz vorzunehmen. Im Minimum wären der Hausarrest zu streichen und die Massnahmen nicht auf Kinder und Jugendliche anzuwenden (Details siehe Stellungnahme).
Der Europarat hat in einem Schreiben seiner Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatović das Parlament aufgefordert, den Entwurf des Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu überprüfen, um sicherzustellen, dass alle Menschenrechtsstandards eingehalten werden.
Brief der Menschenrechtsbeauftragen des Europarates
19.023 s Ja zum Verhüllungsverbot. Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag
In ihrer Stellungnahme vom September 2018 zum indirekten Gegenvorschlag zur sogenannten Anti-Burka-Initiative begrüsste Amnesty International den Entscheid des Bundesrates, die Initiative abzulehnen, sprach sich gleichzeitig aber auch gegen einen Gegenvorschlag aus. Diese Position hat sich nicht geändert. Amnesty International ist der Auffassung, dass keine gesetzgeberische Notwendigkeit besteht. Ein Gesichtsverhüllungsverbot betrifft hauptsächlich muslimische Frauen, die einen Ganzkörperschleier (als Burka oder Nikab bezeichnet) tragen. Da dies in der Schweiz nur wenige Frauen tun, schaffen die Initianten (wie bereits bei der Minarett-Initiative) eine Problematik, die so in der Schweiz gar nicht gegeben ist. Es handelt sich vor allem um einen Versuch, mit Symbolen Politik zu betreiben und auf eine diskriminierende Rhetorik zu setzen. Frauen werden instrumentalisiert, um Stereotype über den Islam zu fördern und Islamismus-Ängste zu schüren.
Amnesty empfiehlt, die Initiative und den Gegenvorschlag abzulehnen.
Amnesty-Positionspapier zum «Burka-Verbot» vom September 2018