In der Sommersession hat der Ständerat auch die Chance, eine langjährige institutionelle Lücke im Menschenrechtsschutz in der Schweiz zu schliessen: der Vorschlag von Bundesrat Ignazio Cassis zur Schaffung einer Nationalen Menschenrechtsinstitution kommt endlich in die kleine Kammer. Während es sich um eine eher bescheidene Vorlage handelt, wäre deren Verabschiedung ein Signal, dass auch das Schweizer Parlament einsieht, wie zentral der Schutz und die Förderung der Menschenrechte für eine Gesellschaft – gerade in Krisenzeiten – sind.
Wieder wird das Parlament verschiedenste Vorstösse im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie beraten. Von besonderer menschenrechtlicher Relevanz sind die Diskussionen rund um die internationale Verfügbarkeit von Impfstoffen und anderen medizinischen Gütern, sowie bezüglich dem Einsatz eines «COVID-Zertifikats» Wie bei allen anderen epidemiologischen Massnahmenmüssen menschenrechtliche Risiken beachtet werden, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Nicht-Diskriminierung, Gleichbehandlung, Bewegungsfreiheit und den Schutz der Privatsphäre.
Im Anschluss finden Sie Amnesty’s Position zu diesen und weiteren Geschäften der bevorstehenden Session.
Übersicht (Nach Themen)
Nationale Menschenrechtsinstitution
Corona Pandemie
Asyl und Migration
Waffen und Waffenhandel
21.021 Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer. Volksinitiative
Sexuelle Gewalt
Vernehmlassung zur Revision des Sexualstrafrechts
nationale Menschenrechtsinstitution
SR, Dienstag, 8. Juni 2021
19.073 Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und zum Schutz der Menschenrechte. Bundesgesetz
Nach jahrelangem Hin und Her und einer anfänglich zögerlichen Haltung des Bundesrates kommt endlich wieder Bewegung in das Geschäft zur Schaffung der Nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI). Der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Schweizer Regierung, der 2019 ans Parlament ging, war eine wenig ambitionierte Umsetzung der internationalen Vorgaben.
Doch nun, nochmals zwei Jahre später, kann der Ständerat in der Sommersession endlich die Weichen stellen. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass eine unabhängige, starke und langfristig finanzierte NMRI einen wesentlichen Mehrwert bieten kann, indem sie die öffentliche Debatte mit Fachwissen unterstützt.
Auch wenn es ein wenig den Anschein macht, dass der Berg eine Maus gebären wird − vor allem, was die geplanten Ressourcen für die NMRI betrifft: Die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes wäre ein Fortschritt. Ein Signal, dass auch das Schweizer Parlament einsieht, wie zentral der Schutz und die Förderung der Menschenrechte für eine Gesellschaft – gerade in Krisenzeiten – sind.
Amnesty empfiehlt dem Ständerat, seiner Kommission zu folgen und das Geschäft 19.073 mit den vorgeschlagenen Änderungen anzunehmen. In Bezug auf Artikel 10b des Entwurfs unterstützt Amnesty den Minderheitsantrag.
Corona Pandemie
COVID-Zertifikate
Grundsätzlich begrüsst Amnesty International, dass das COVID-Zertifikat für den Zugang zu essentiellen Dienstleistungen – wie zum Beispiel zum öffentlichen Verkehr, Schulen und Einkaufsläden – verboten ist und nicht verlangt werden darf. Amnesty begrüsst auch, dass gemäss dem aktuellen Vorschlag der Einsatz des Zertifikates zeitlich und inhaltlich beschränkt sein soll.
Für eine menschenrechtskonforme Umsetzung besteht aber weiterer Klärungsbedarf, insbesondere in Bezug auf den «orangen Bereich», und das Parlament kann hier eine wichtige Rolle spielen.
Der Bundesrat muss deutlicher darlegen, dass der Einsatz des COVID-Zertifikats in den drei Bereichen (grün, orange und rot) ein legitimes Ziel verfolgt (um Krankheiten zu verhindern), sowie notwendig, verhältnismässig und zumutbar ist. Zudem sind Schutzmaßnahmen nötig, um Diskriminierung und die Verschärfung struktureller Benachteiligung zu verhindern. Abhilfemaßnahmen wären auch notwendig, um sicherzustellen, dass Menschen, die keinen Anspruch auf Impfstoffe haben (z.B. weil sie noch nicht an der Reihe sind oder die medizinischen Kriterien nicht erfüllen), nicht ungerechtfertigt benachteiligt werden.
Das heisst, um jede diskriminierende Wirkung auszuschliessen, müssen Impfung, Genesung sowie negativer Test in der Praxis gleichwertig behandelt werden. Es muss sichergestellt und beobachtet werden, dass auch Mitglieder von strukturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen, effektiven und kostenlosen Zugang zu Impfungen oder Tests und somit COVID-Zertifikaten haben.
NR, Mittwoch, 16. Juni 2021
21.3019 Die Versorgung mit Impfstoffen gegen das Coronavirus weltweit verbessern
Die Gesundheit ist ein hohes Gut und ein Menschenrecht. Der Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen muss grundsätzlich jederzeit und überall gewährleistet sein, insbesondere aber während einer globalen Gesundheitskrise wie der Corona-Pandemie. Heute ist das bei weitem nicht der Fall: Viele Länder haben noch immer keinen Zugang zu Impfungen, Medikamenten und Tests. Die Schweiz muss das Recht auf Gesundheit über die Interessen der Pharmaindustrie stellen und sich im Sinne einer solidarischen Pandemie-Bekämpfung entschieden international engagieren.
Entsprechend begrüsst Amnesty den Vorstoss der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, welcher den Bundesrat auffordert, sich multilateral und durch das Erlassen eigener Rechtsvorschriften dafür einzusetzen, den raschen weltweiten Zugang zu COVID-19-Impfstoffen zu erhöhen. Während Amnesty die Motion zur Annahme empfiehlt, sind wir der Meinung, dass sie nicht weit genug geht.
Wir bitten den Bundesrat, die derzeit in der WTO diskutierte TRIPS-Ausnahmeregelung für COVID-19-Tests, Medikamente und Impfstoffe zu unterstützen. Zudem erwarten wir, dass die Schweiz dem Programm zum Wissensaustausch der WHO C-TAP (COVID-19 Technology Access Pool) beitritt und die Schweizer Pharmaunternehmen anhält, C-TAP ebenfalls beizutreten. Desweitern sollten die Verträge mit Impfstoffproduzentinnen veröffentlicht werden.
Asyl und Migration
SR, Dienstag, 8. Juni 2021
21.018 UNO-Migrationspakt
Amnesty International hat sich während den Verhandlungen zum Uno-Migrationspakt für umsetzbare Empfehlungen eingesetzt und erachtet das Schlussdokument trotz gewisser Schwächen als Fortschritt. Schon früher hat Amnesty dem Parlament empfohlen, den Uno-Migrationspakt zu unterstützen. Mit der Zustimmung zu der Vereinbarung würde die Schweiz ein wichtiges Zeichen setzen, für die internationale Zusammenarbeit und die Verlässlichkeit der Schweizer Diplomatie.
Entsprechend bedauert Amnesty international die erneute Verzögerung bei der Ratifizierung und fordert das Parlament und den Bundesrat auf, den Uno-Migrationspakt zeitnah zu beraten und umzusetzen.
SR, Donnerstag, 10. Juni 2021
21.3282 s Wiedereinführung Botschaftsasyl
Die Wiedereinführung des Botschaftsasyls ist eine zentrale Forderung von Amnesty International für die 51. Legislatur. Es ist ein Schlüsselelement einer Migrationspolitik, welche die Rechte von schutzbedürftigen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Mit der Abschaffung des Botschaftsasyls hat auch die Schweiz dazu beigetragen, dass sich Menschen unter Todesgefahr auf unsichere Fluchtrouten begeben mussten.
Seit 2015 steckt die europäische Migrationspolitik in der Krise: Die Tendenz zur Abschottung hat sich in diversen Staaten verstärkt. Damit verschlimmerte sich die gravierende Lage an den europäischen Aussengrenzen. Die Leidtragenden sind in erster Linie Menschen auf der Flucht. Griechenland, Italien und Spanien, die die Hauptlast an Asylgesuchen tragen, werden vom Rest Europas weitgehend sich selbst überlassen. Was die Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie der Türkei oder Libyen betrifft, hat sich gezeigt, dass das Fehlen funktionierender Asylsysteme zu schweren Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten führt.
Amnesty empfiehlt die Annahme der Motion 21.3282 zwecks Ausarbeitung einer Gesetzesgrundlage zur Wiedereinführung des Botschaftsasyls.
NR, Dienstag, 15. Juni 2021
20.063 n Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes
Amnesty International erachtet ein grundsätzliches Verbot oder zusätzliche Restriktionen von Auslandreisen für Asylsuchende und «vorläufig» Aufgenommene als unverhältnismässigen Eingriff in das in der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie in die Kinderrechte. Zudem wäre die Bewegungsfreiheit der Betroffenen damit stark eingeschränkt. Die Menschenrechtsorganisation hat deshalb bereits in der Vernehmlassung die vorgesehenen Änderungen entschieden abgelehnt.
Hingegen begrüsst Amnesty International, dass erwerbstätige «vorläufig» Aufgenommene neu bei Erfüllen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Bewilligung eines Kantonswechsels haben sollen. Dies reicht jedoch nicht aus: Es braucht weitere Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von vorläufig Aufgenommenen. Entsprechend empfiehlt Amnesty dem Nationalrat, auch das zweite Mal nicht auf die Vorlage einzutreten.
Waffen und Waffenhandel
SR, Donnerstag, 3. Juni 2021
21.021 Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer. Volksinitiative
Amnesty ist Mitglied der Allianz gegen Waffenexporte In Bürgerkriegsländer und teilt deshalb deren Forderungen. Die Allianz ist grundsätzlich erfreut, dass der indirekte Gegenvorschlag zur «Korrektur-Initiative» das Kriegsmaterialgesetz in ihrem Sinne ändern will. Die Allianz lehnt jedoch die vorgesehenen Abweichungskompetenzen für den Bundesrat, Waffenexporte trotzdem zu bewilligen, wenn «ausserordentliche Umstände vorliegen» und zur «Wahrung aussen- oder sicherheitspolitischer Interessen», entschieden ab. Damit würde für den Bundesrat ein Schlupfloch offenbehalten, um die Mitsprache durch das Parlament und die Bevölkerung zu umgehen. Die Abweichungsklausel muss gestrichen werden.
Ausserdem fehlt im Gegenvorschlag eine Streichung der Ausnahmeklausel für Ersatzteile und Munition. Es muss klar sein, dass Ersatzteillieferungen denselben Bewilligungskriterien zu folgen haben wie sonstiges Kriegsmaterial.
SR, Donnerstag, 3. Juni 2021
18.4138 n Stopp aller Kriegsmaterialexporte an die Jemen-Kriegsallianz
Der Bundesrat wird aufgefordert, alle früher erteilten Bewilligungen für die Ausfuhr von Kriegsmaterial an die Mitglieder der von Saudi Arabien angeführten Kriegsallianz im Jemen zu widerrufen und keine neuen Bewilligungen für Kriegsmaterialexporte zu erteilen. Somit soll der Export von Ersatzteilen und Munition usw. gestoppt werden.
Amnesty hat bereits früher dazu aufgerufen, den Export von Waffen, welche den Jemen-Konflikt befeuern, zu stoppen. Amnesty International fordert alle Staaten auf, dafür zu sorgen, dass keine Konfliktpartei im Jemen - weder direkt noch indirekt - mit Waffen, Munition, militärischer Ausrüstung oder Technologie beliefert wird, die in dem Konflikt eingesetzt werden könnten, bis sie solche schweren Verstöße beenden. Dies gilt auch für logistische und finanzielle Unterstützung für solche Transfers.
Entsprechend empfehlen wir dem Ständerat die Motion anzunehmen, wie dies der Nationalrat bereits im Dezember getan hat.
Sexuelle Gewalt
Am 10. Mai hat die Vernehmlassung zur Revision des Sexualstrafrechts geendet. In ihrer Antwort hat Amnesty International Parlament und Behörden dazu aufgerufen, das veraltete Sexualstrafrecht umfassend zu modernisieren und sich ohne Vorbehalte hinter den Schutz von Betroffenen sexueller Gewalt zu stellen. Die Menschenrechtsorganisation empfiehlt in ihrer Antwort auf die Vernehmlassung, die Chance jetzt zu ergreifen und nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung zu definieren.
Amnesty begrüsst das grosse Interesse an der Vorlage in der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft, und hofft, dass die Rechtskommission des Ständerates in den weiteren Beratungen diesem klaren Ruf nach einem modernen Sexualstrafecht Rechnung tragen wird.