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Wintersession vom 28. November bis 16. Dezember Menschenrechte im Parlament: Winter 2022

25. November 2022
Endlich ein ja! Nach der Rechtskommission des Nationalrates wird auch das Plenum über die Revision des Sexualstrafrechts befinden. Die Kommission hat sich mit deutlicher Mehrheit für die Zustimmungslösung entschieden, damit endlich klar im Gesetz steht, was in der Gesellschaft und im internationalen Recht bereits gilt: Sex braucht die Zustimmung der beteiligten Personen. Der Nationalrat hat somit die Chance, den Entscheid des Ständerates zu korrigieren und der Revision eine zukunftsweisende und mutige Richtung zu geben.

Neben asyl- und migrationspolitischen Themen, bei denen zentrale Menschen- und Kinderrechte auf dem Spiel stehen, wird die Wintersession auch von der Frage nach der Kohärenz zwischen Aussen- und Innenpolitik geprägt sein: Ist das Parlament bereit, der Nationalen Menschenrechtsinstitution der Schweiz den gleichen Stellenwert einzuräumen, den es solchen Institutionen im Ausland zuweist? Ist die Politik bereit, das Recht auf gesunde Umwelt in der Schweiz zu fördern, wie sie es in multilateralen Gremien verlangt? Ist das Parlament bereit, angesichts der menschenrechtswidrigen Repression der Proteste im Iran eine konsequente und sichtbare Aussenpolitik einzufordern?

Übersicht (Nach Themen)

Sexualisierte und häusliche Gewalt

18.043 – Geschäft des Bundesrates - Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht (Revision des Sexualstrafrechts, Entwurf 3)

21.4470; 21.4471; 22.3011 – Motion – Präventionskampagnen gegen Gewalt

Asyl und Migration

22.044 – Geschäft des Bundesrates – Ausländer- und Integrationsgesetz. Finanzielle Unterstützung von Kantonen mit Ausreisezentren an der Grenze. Änderung

22.047 – Geschäft des Bundesrates – Gültigkeitsdauer der dringlichen Bestimmung zum Covid-19-Test bei der Ausschaffung (Art. 72 AIG). Verlängerung

Rechtsstaat / Antiterror-Gesetze

20.465 / Parlamentarische Initiative – Gesicherte Unterbringung von staatsgefährdenden Personen

Aussenpolitik

Iran 

Nationale Menschenrechtsinstitution

NMRI (A231.0441)

Recht auf Gesunde Umwelt

21.436, 21.437, 21.438, 21.439, 21.440 – Pa.IV - Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur

Sexualisierte und häusliche gewalt

5. Dezember 2022 - Nationalrat
18.043 - Geschäft des Bundesrates - Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht (Revision des Sexualstrafrechts, Entwurf 3)

In der Wintersession wird der Nationalrat nach langer Vorbereitung die Sexualstrafrechtsreform bearbeiten. Die Rechtskommission des Nationalrats hat sich bereits mit deutlicher überparteilicher Mehrheit für die Zustimmungslösung ausgesprochen und somit klar gemacht, dass nur diese Lösung die sexuelle Selbstbestimmung umfassend schützen kann.

Amnesty International hat zusammen mit 50 Organisationen und über 40'000 Einzelpersonen das Parlament erneut aufgerufen, sich für die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung im Sexualstrafrecht auszusprechen. Fehlende Einwilligung muss im Mittelpunkt der rechtlichen Definition von Vergewaltigung und anderer Formen sexualisierter Gewalt stehen.

Frauen aus fast allen Fraktionen haben sich ebenfalls klar zur Zustimmungslösung bekannt. Während die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung überparteiliche Unterstützung findet, zeichnet sich ein Geschlechtergraben ab. Dieser entspricht zum Teil dem Trend in der Gesellschaft. Obwohl auch dort die Zustimmungslösung unter Männer am meisten Unterstützung findet, wird diese insbesondere von Frauen und jüngeren Menschen noch stärker unterstützt.

Es ist Zeit, dass sich die Schweiz ein Strafrecht gibt, welches dem internationalen Recht, den Erwartungen der betroffenen Personen und der Bevölkerung entspricht. Deshalb fordert Amnesty den Nationalrat auf, beim Geschäft 18.043 (Entwurf 3) seiner Rechtskommission zu folgen, und sich für die «Nur Ja heisst Ja» Lösung auszusprechen.

12. November 2022 - Ständerat
21.447021.447122.3011 – Motion – Präventionskampagnen gegen Gewalt

Die drei gleichlautenden Motionen aus dem Nationalrat wollen den Bundesrat damit beauftragen, regelmässig Präventionskampagnen gegen häusliche, sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt durchzuführen (21.447021.447122.3011). Präventive Massnahmen können ein zentrales Element in der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt darstellen. Eine weitere gleichlautende Motion aus dem Ständerat wurde von beiden Räten bereits angenommen wurde (21.4418).

Amnesty International empfiehlt die drei Motionen zur Annahme.

Asyl und migration

29. November 2022 - Ständerat
22.044 – Geschäft des Bundesrates – Ausländer- und Integrationsgesetz. Finanzielle Unterstützung von Kantonen mit Ausreisezentren an der Grenze. Änderung

22.044 betrifft kantonale Ausreisezentren in Grenzregionen, wo ausreisepflichtige Personen ohne Aufenthaltsbewilligung kurzfristig festgehalten werden können, um deren Übergabe an einen Nachbarstaat sicherzustellen. Der Bund möchte die Kantone dabei finanziell unterstützen können.

Das Wohl von Kindern und Jugendlichen muss auch im Asylvollzug an erster Stelle stehen, weshalb auf die Festhaltung von Minderjährigen zu verzichten ist. Entsprechend empfiehlt Amnesty International, dem Antrag der Minderheit zu Art. 73 Abs. 5bis E-AIG zu folgen, welche die Festhaltung von Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren ausschliessen möchte.

22.047 – Geschäft des Bundesrates – Gültigkeitsdauer der dringlichen Bestimmung zum Covid-19-Test bei der Ausschaffung (Art. 72 AIG). Verlängerung

Amnesty International hatte sich an der Vernehmlassung zur geplanten Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG) beteiligt. Aufgrund erheblicher menschenrechtlicher Bedenken lehnt Amnesty International die vorgeschlagene Änderung des AIG ab. Insbesondere erachtet Amnesty Zwangstests als einen unverhältnismässigen Eingriff und damit als eine Verletzung des Grundrechts auf körperliche Integrität als Teil der persönlichen Freiheit.

Entsprechend empfiehlt Amnesty 22.047 zur Ablehnung.

Rechtsstaat /Antiterror-gesetze 

5. Dezember 2022 - Nationalrat
20.465 / Parlamentarische Initiative – Gesicherte Unterbringung von staatsgefährdenden Personen

Schon im Rahmen der Debatten zum «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT) hatte das Parlament die Einführung einer Präventivhaft, die im eklatanten Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention gestanden wäre, abgelehnt. Zudem besteht aktuell keine Lücke, denn durch die Revision des Strafgesetzbuches wurde das Instrumentarium gegen terroristische Organisationen bereits verschärft.

Personen können für die Beteiligung oder Unterstützung von Organisationen, die den Zweck verfolgen Gewaltverbrechen zu begehen, für die Anwerbung, Ausbildung und Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat oder für die Finanzierung von Terrorismus bereits heute strafrechtlich verfolgt werden.

Entsprechend empfiehlt Amnesty International dem Nationalrat, die parlamentarischen Initiative 20.465 abzulehnen.  

Aussenpolitik

Iran

Angesichts der gravierenden Menschenrechtsverletzungen im Iran, wo Sicherheitskräfte rücksichtslos an ihrem weit verbreiteten Einsatz rechtswidriger tödlicher Gewalt, Massenverhaftungen von Demonstrierenden mit Strafmass bis hin zur Todesstrafe festhalten, sollte sich nach der APK-N auch das Parlament verstärkt mit der Rolle der Schweiz beschäftigen.

Amnesty International hat mit einer internationalen Petition über eine Million Unterschriften dafür gesammelt, dass die Vereinten Nationen einen Untersuchungs- und Rechenschaftsmechanismus einrichten, mit der die Menschenrechtsverletzungen im Iran international und unabhängig untersucht werden.

Die Schweiz soll sich sicht- und hörbar für die Schaffung eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus einsetzen, und parallel ihr Engagement gegen die Todesstrafe, zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und die aktive Solidarität mit den Demonstrierenden weiter ausbauen. Die Schweiz kann mit Prozessbeobachtungen von Personen, denen wegen ihrer Teilnahme an Protesten die Todesstrafe droht, einen konkreten Beitrag der Solidarität mit Betroffenen und ihren Angehörigen leisten.

Nationale menschenrechtsinstitution

NMRI (A231.0441)

Während der Budgetdebatte wird das Parlament auch über die Finanzierung der Nationalen Menschenrechtsinstitution beraten (A231.0441).

Ab 2023 nimmt die vom Parlament beschlossene Nationale Menschrechtsinstitution (NMRI) ihre Arbeit auf. Sie soll Menschenrechte in der Schweiz schützen und fördern. Um dies aus unabhängiger Warte tun zu können, braucht es eine angemessene Finanzierung. Die vorgesehene Finanzierung von jährlich 1 Million Franken reicht für die NMRI nicht aus, um ihren gesetzlichen Auftrag wahrnehmen zu können.

Amnesty International weist deshalb ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines erhöhten Zahlungsrahmens hin. Andernfalls riskiert die NMRI, den A-Status der globalen Dach- und Akkreditierungsorganisation für NMRI zu verpassen, und somit den internationalen Vorgaben, welche die Schweiz in ihrer Aussenpolitik wiederholt und explizit unterstützt hat, nicht gerecht zu werden. Eine «zweitklassige» Menschenrechtsinstitution stünde der Schweiz angesichts ihrer humanitären Tradition und als Sitzstaat internationaler Menschenrechtsorganisationen schlecht an.

Entsprechend empfiehlt Amnesty International die Annahme der Minderheit zu A231.0441.

Recht auf gesunde umwelt

Ab 5. Dezember 2022 - Nationalrat
21.436, 21.437, 21.438, 21.439, 21.440 – Pa.IV - Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur

Aus fünf Fraktionen wurden gleichlautende Parlamentarische Initiativen eingereicht, welche fordern, dass der Schutz von Umwelt und Natur in der Bundesverfassung verankert wird. Dies soll durch die Verankerung eines individuellen Grundrechts auf eine gesunde Umwelt sowie durch die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt.

Für Amnesty International ist eine gesunde Umwelt eine Voraussetzung für die Achtung und Wahrnehmung aller anderen Menschenrechte - es wird keine Freiheit oder Gleichheit geben, wenn die Welt, in der wir leben, verbrannt, versunken und vergiftet ist.

Als Mitinitiantin einer Resolution in der Uno-Generalversammlung hat die Schweiz dazu beigetragen, dass das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt international als eigenständiges Menschenrecht anerkannt wird. Für die Glaubwürdigkeit der Schweizer Innen- und Aussenpolitik ist es deshalb zentral, dass dies auch in der nationalen Gesetzgebung nachvollzogen wird.

Entsprechend empfiehlt Amnesty die parlamentarischen Initiativen 21.436, 21.437, 21.438, 21.439, 21.440 zur Annahme.