Ob Klimaschutz, neue Technologien, Diskriminierung oder Aussenpolitik – die Herausforderungen für das zukünftige Parlament sind immens. Die Menschenrechte sind vor diesem Hintergrund kein «nice to have», sondern sollten ins Zentrum aller politischen Handlungen gerückt werden. Sie bieten Orientierung in einer immer unübersichtlicheren Welt für eine Politik, die auf Prinzipien beruht und in Massnahmen mündet, die dem Schutz der Menschenwürde und der Rechte von allen dienen.
Zwei Monate vor den eidgenössischen Wahlen braucht die Schweiz eine Menschenrechtsagenda für die kommende Legislatur. Amnesty International wird deshalb in der letzten Sessionswoche ein Dokument lancieren, welches die wichtigsten menschenrechtlichen Herausforderungen für die nächste Legislaturperiode skizziert, und klare Empfehlungen formulieren wird.
Doch bevor es so weit ist:
In seiner letzten Session der Legislatur hat das Parlament die Chance, wichtige Akzente zu setzen: Indem es Sportkonzerne verpflichtet, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung endlich besser nachzukommen, indem es die problematische Umsetzung des Gesichtsverhüllungsverbots ablehnt oder indem Opfer von geschlechterspezifischer sexueller und sexistischer Gewalt auf der Flucht besser geschützt werden.
Unsere Positionen zu diesen Themen finden Sie hier!
Inhalt
Sport und Menschenrechte
Wie sorgt der Bundesrat dafür, dass die Fifa und das IOC ihren Verpflichtungen nachkommen?
Recht auf Protest
Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot
Iran
Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft
Asyl/Migration
Ein Flüchtlingsstatus für Opfer von geschlechterspezifischer sexueller und sexistischer Gewalt
Schutz für russische Desertierende und Kriegsdienstverweigernde aus dem Ukraine-Krieg
Sport und Menschenrechte
FIFA OHNE STEUERPRIVILEGIEN
Nationalrat - Dienstag, 19. September 2023
22.4497 / Postulat
Der Bundesrat wird beauftragt, aufzuzeigen wie die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen sind, dass Vereine wie die FIFA gleich besteuert werden wie andere gewinnorientierte Unternehmen ihrer Grösse.
Amnesty International empfiehlt dieses Postulat zur Annahme, da ein solcher Bericht aufzeigen kann, wie Unternehmen wie die FIFA ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen besser nachkommen können.
WIE SORGT DER BUNDESRAT DAFÜR, DASS DIE FIFA UND DAS IOC IHREN VERPFLICHTUNGEN NACHKOMMEN?
Nationalrat - Mittwoch, 27. September 2023
21.4444 / Postulat
Postulat 21.4444 möchte den Bundesrat beauftragen, zu prüfen und in einem Bericht darzulegen, ob und inwiefern die Fifa und das IOC die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) einhalten.
Recherchen von Amnesty International zeigen auf, dass es bei der Vorbereitung und Durchführung von internationalen Sportveranstaltungen wie Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zu teils massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen kommt. Aktuelles Beispiel sind verschiedene Missbrauchsvorwürfe im Rahmen der Fussball-WM der Frauen, bei denen es die FIFA versäumt hat, ihre Sorgfaltspflicht wahrzunehmen. Bei der Fussball-WM der Männer in Katar, gingen die Vorbereitungsarbeiten mit Zwangsarbeit, Lohndiebstahl und Hunderten von ungeklärten Todesfällen einher. Dies zeigt: Die Weltsportverbände unternehmen nicht genügend, um negative Konsequenzen ihrer Tätigkeiten auf die Menschenrechte zu verhindern, zu mildern und zu entschädigen. Deshalb muss die Schweiz Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Sportverbände mit Sitz in der Schweiz, ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gemäss den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nachkommen.
Entgegen der ablehnenden Haltung des Bundesrates empfiehlt Amnesty International das Postulat zur Annahme.
Recht auf Protest
BUNDESGESETZ ÜBER DAS GESICHTSVERHÜLLUNGSVERBOT
Nationalrat - Mittwoch, 20. September 2023
22.065 / Geschäft des Bundesrates
Amnesty International hatte die Initiative für ein Burka-Verbot klar abgelehnt. Das Gesichtsverhüllungsverbot ist unnötige Symbolpolitik mit sehr realen Konsequenzen: Es befeuert die Islamophobie und stigmatisiert die muslimische Minderheit in der Schweiz. Anstatt Frauen, die eine Burka oder einen Nikab tragen, in ihren Emanzipationswünschen zu unterstützen, werden sie durch solche Gesetze diskriminiert und marginalisiert. Trotzdem begrüsst Amnesty grundsätzlich alle Schritte, welche diese negativen Konsequenzen reduzieren könnten, wie beispielsweise die Reduktion der vorgesehenen Bussen.
Neben der allgemein diskriminierenden Intention des Gesetzes ist auch die konkrete Ausgestaltung problematisch. Der Entwurf des Bundesrats sieht vor, dass die zuständigen Behörden eine Bewilligung zur Gesichtsverhüllung erteilen können, wenn es um die Ausübung der Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geht. Diese wäre insofern problematisch, dass die Voraussetzung einer Bewilligung zur Ausübung der Versammlungsfreiheit - unabhängig vom Anwendungsfall - gegen internationale Menschenrechtsnormen verstösst.
Zudem kann nach Völkerrecht das Verdecken des Gesichts oder das Tragen einer Maske ein Mittel sein, um sich im Rahmen eines Protests auszudrücken, und ist somit durch die Rechte auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung geschützt. Die anonyme Teilnahme an einem Protest ist ein legitimes Mittel für Demonstrant*innen, um Vergeltungsmassnahmen zu vermeiden oder ihr Recht auf Privatsphäre zu schützen. Nur in Ausnahmefällen, in denen die getragenen Symbole ausdrücklich zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufrufen, sollten Einschränkungen gelten.
Iran
UNTERSTÜTZUNG DER IRANISCHEN ZIVILGESELLSCHAFT
Ständerat - Donnerstag, 28. September 2023
22.4278 / Motion
Amnesty International begrüsst das Engagement für die Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft, sowohl vor Ort als auch in der Schweiz. Amnesty International fordert zudem, dass die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden, und dass mutmassliche Täter strafrechtlich verfolgt und angeklagt werden, auch durch die universelle Gerichtsbarkeit. Die Schweizer sollen sich weiterhin gegen die Todesstrafe einsetzen, und den Iran unverzüglich und öffentlich auffordern, sofort ein offizielles Moratorium für alle Hinrichtungen zu verhängen.
Asyl und Migration
EIN FLÜCHTLINGSSTATUS FÜR OPFER VON GESCHLECHTERSPEZIFISCHER SEXUELLER UND SEXISTISCHER GEWALT
Nationalrat - Montag, 25. und 27. September 2023
22.4346 / Motion
Die Motion (welche je nach Fortschritt der Agenda im Herbst behandelt wird) versucht den Schutz von Personen, die wegen geschlechterspezifischer sexueller und sexistischer Gewalt in die Schweiz flüchten zu stärken, indem eine entsprechende Definition formuliert, und der Flüchtlingsstatus dieser Personen anerkannt wird.
Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat sich die Schweiz verpflichtet, die Flüchtlingskonvention geschlechtssensibel auszulegen. Sie muss sicherzustellen, dass schutzbedürftige Opfer von Gewalt gegen Frauen unter keinen Umständen in ihr Heimat- oder Herkunftsland weggewiesen werden, insbesondere wenn die reale Gefahr besteht, dass ihr Leben bedroht ist oder dass sie gefoltert, unmenschlich oder erniedrigend behandelt oder bestraft werden.
Entsprechend empfiehlt Amnesty International die Annahme der Motion 22.4346.
SCHUTZ FÜR RUSSISCHE DESERTIERENDE UND KRIEGSVERWEIGERNDE AUS DEM UKRAINE-KRIEG
22.4003 / Postulat
Militärdienstverweiger*innen aus Gewissensgründen und andere Menschen, die sich dem Militärdienst entziehen, darunter Deserteur*innen, können nach internationalem Recht berechtigt sein, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Zudem kann die Angst, im Rahmen des Krieges in der Ukraine zu illegalen Handlungen gezwungen zu werden, und die Aussicht, sich der strafrechtlichen Verantwortung stellen zu müssen einer Verfolgung im völkerrechtlichen Sinne gleichkommen.
Entsprechend empfiehlt Amnesty das Postulat 22.4003 zur Annahme.
KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG IM ZUSAMMENHANG MIT KRIEGSVERBRECHEN ALS ASYLGRUND NICHT MEHR AUSSCHLIESSEN
22.4516 / Motion
Auch wenn das aktuelle Asylgesetz in der Praxis meist ausreicht, um Kriegsdienstverweigerung - die oft schwer bestraft wird - als Asylgrund anzuerkennen, unterstützt Amnesty International das Bestreben Menschen expliziter zu schützen. Damit könnte stärker sichergestellt werden, dass niemand gezwungen wird an Kriegsverbrechen teilzunehmen. Entsprechend unterstützt Amnesty International auch die Motion 22.4516.