Übersicht (Nach Themen)
Gender Justice
Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht
Sport und Menschenrechte
Wie sorgt der Bundesrat dafür, dass die Fifa und das IOC ihren Verpflichtungen nachkommen?
Sportdiplomatie. Grossveranstaltungen sollen die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht erfüllen.
Asyl und Migration
Ein Flüchtlingsstatus für Klimaopfer
Schutz für russische Desertierende und Kriegsdienstverweigernde aus dem Ukraine-Krieg.
Right to Protest
Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot
Gender Justice
Endlich! Nach mehr als vier Jahren intensiver Diskussionen kommt die Revision des Sexualstrafrechts zum Abschluss. Die Neudefinition der Vergewaltigung im Strafgesetzbuch nach dem erweiterten "Nein heisst Nein"-Modell wird den Zugang zur Justiz für die vielen Opfer sexueller Gewalt verbessern.
Sollten beide Kammern wie erwartet dem aktuellen Vorschlag zustimmen, wird dies ein Erfolg für die Menschenrechte in der Schweiz sein. Ein Sieg nach einem wahren Marathon, bei dem über 80 Organisationen und 50.000 Menschen sich vier Jahre lang eingesetzt haben. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne das Engagement und die Unterstützung von Betroffenen, internationalen und nationalen Fachpersonen und nicht zuletzt vielen engagierten Menschen in der Verwaltung und im Parlament!
STRAFRAHMENHARMONISIERUNG UND ANPASSUNG DES NEBENSTRAFRECHTS AN DAS NEUE SANKTIONENRECHT
Nationalrat - Donnerstag, 01. Juni 2023
Ständerat - Montag, 05. Juni 2023
18.043 / Geschäft des Bundesrates
Der Nationalrat wird am 1. Juni zum zweiten Mal über die Reform des Sexualstrafrechts (18.043, Entwurf 3) beraten. Falls nötig wird der Ständerat am 5. Juni die letzten Differenzen bereinigen.
Nachdem der Nationalrat in der Wintersession 2022 Geschichte schrieb und "Nur Ja heisst Ja" angenommen hat, hat sich der Ständerat in der Frühlingssession ein Stück bewegt. Am 7. März erweiterte er in einer zweiten Lesung die Ablehnungslösung “Nein heisst Nein”. Die Rechtskommission des Nationalrats nahm am 24. März die ständerätliche Formulierung beim Tatbestand des sexuellen Übergriffs und der Vergewaltigung, welche das Freezing ausdrücklich erwähnt, an.
Amnesty International setzt sich seit 2019 für eine Modernisierung des Sexualstrafrechts ein, die den internationalen Menschenrechtsstandards vollumfänglich entspricht und einen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung ermöglicht. Wir unterstützen daher die "Nur Ja heisst Ja"-Lösung für Absatz 1 der Artikel 189 und 190 des Strafgesetzbuches.
Wir bedauern daher, dass diese Lösung vom Ständerat und RK-N nicht gewählt wurde, begrüssen aber den Schritt in Richtung dieser Lösung mit der Einschliessung der Ausnützung eines Schockzustands.
Amnesty International fordert beide Räte auf, sicherzustellen, dass der endgültige Wortlaut der Artikel 189 und 190 die Vielfalt der Situationen berücksichtigt, in denen ein Opfer nicht in der Lage ist, ein ausdrückliches Nein zu äussern. Dies wird seit Jahren auch von den Betroffenen selbst und von vielen Organisationen und Fachleuten, die im Bereich der sexuellen Gewalt tätig sind, gefordert.
Sport und menschenrechte
Sport fasziniert die Menschen weltweit: Millionen Zuschauer*innen verfolgen Weltmeisterschaften und olympische Spiele. Obwohl diese Grossereignisse für die organisierenden Sportverbände wie die FIFA und das IOK längst zum Milliardengeschäft geworden ist, bleiben die Menschenrechte dabei häufig auf der Strecke. Amnesty setzt sich dafür ein, dass die Sportverbände und die Gastgeberstaaten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen: Sportevents dürfen weder dazu führen, dass lokale Gemeinschaften zwangsumgesiedelt werden, noch dass Arbeitsmigranten ausgebeutet werden.
In der Schweiz reichen die aktuellen Instrumente und Massnahmen nicht aus, um Sportverbände mit Sitz in der Schweiz zur Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu verpflichten. Auch das Recht auf Wiedergutmachung für Opfer wird gegenüber den Verbänden ungenügend durchgesetzt. Die Winterspiele in Peking haben zudem gezeigt, dass Versprechen zur Gewährleistung der Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit wirkungslos bleiben, wenn das IOK diese nicht aktiv einfordert. Die Fussball-WM der Männer in Katar führte zur Ausbeutung Hunderttausender von Arbeitsmigrant*innen, auch weil die Fifa lange Zeit keine Menschenrechtsmassnahmen vorsah. Auch die 2017 eingeführte Menschenrechtspolitik der Fifa sorgt nicht dafür, dass alle ausgebeuteten Arbeitsmigrant*innen angemessen entschädigt wurden.
Diese zwei Beispiele zeigen auf, dass die Schweiz Menschenrechtsverletzungen im Sport in Kauf nimmt, wenn sie davon absieht, griffige Massnahmen zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht für Sportverbände zu prüfen. Als Sitzstaat aller namhaften globalen Verbände hat die Schweiz eine besondere Verantwortung.
Verschiedene Vorstösse an der Sommersession könnten diesbezüglich Fortschritte erzielen.
WIE SORGT DER BUNDESRAT DAFÜR, DASS DIE FIFA UND DAS IOC IHREN VERPFLICHTUNGEN NACHKOMMEN?
Nationalrat - Donnerstag, 08. Juni 2023
21.4444/ PostulatDer Bundesrat wird beauftragt, zu prüfen und in einem Bericht darzulegen, ob und inwiefern die FIFA und das IOC die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) einhalten.
Amnesty International empfiehlt das Postulat 21.4444 zur Annahme.
SPORTDIPLOMATIE, GROSSVERANSTALTUNGEN SOLLEN DIE MENSCHENRECHTE SORGFALTSPFLICHTIG ERFÜLLEN
22.4206 / Postulat
Der Bundesrat soll in einem Bericht darlegen, wie eine Strategie für den Umgang der Schweiz mit internationalen Sportgrossveranstaltungen in Bezug auf die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht aussieht.
Amnesty International empfiehlt das Postulat 22.4206 zur Annahme.
FIFA OHNE STEUERPRIVILEGIEN
Der Bundesrat wird beauftragt, aufzuzeigen wie die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen sind, dass Vereine wie die FIFA gleich besteuert werden wie andere gewinnorientierte Unternehmen ihrer Grösse.
Amnesty International empfiehlt auch dieses Postulat zur Annahme, da ein solcher Bericht aufzeigen kann, wie Unternehmen wie die FIFA ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen besser nachkommen können.
Asyl und Migration
Nationalrat - Mittwoch, 07. Juni 2023
EIN FLÜCHTLINGSSTATUS FÜR KLIMAOPFER
Die Motion ersucht den Bundesrat, eine Definition für "Personen, die wegen Naturkatastrophen geflüchtet sind, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen" zu erarbeiten und diesen Personen in der Schweiz – in Ergänzung des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge – einen Flüchtlingsstatus zu verleihen, um sie besser zu schützen.
Es ist international anerkannt, dass Staaten verpflichtet sind, von der Klimakrise verursachte Menschenrechtsverletzungen in ihren Asyl-Verfahren einzubeziehen. So hat der UNO-Menschenrechtsausschuss bereits 2020 entschieden, dass Neuseeland einen Mann nicht nach Kiribati zurückschaffen darf, weil dort sein Leben in Gefahr ist. Der internationale Gerichtshof wurde kürzlich von der UN-Generalversammlung aufgefordert, ein verbindliches Gutachten zu den Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der Staaten im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu erstellen.
Entsprechend unterstützt Amnesty die Motion 22.3092, damit die Schweiz aufzeigen kann, wie sie ihren Verpflichtungen gegenüber nachkommen kann.
SCHUTZ FÜR RUSSISCHE DESERTIERENDE UND KRIEGSVERWEIGERNDE AUS DEM UKRAINE-KRIEG
Der Bundesrat wird aufgefordert zu prüfen, wie er Desertierenden und Kriegsdienstverweigernden aus Russland Schutz gewähren kann.
Militärdienstverweiger*innen aus Gewissensgründen und andere Menschen, die sich dem Militärdienst entziehen, darunter Deserteur*innen, können nach internationalem Recht berechtigt sein, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Zudem kann die Angst, im Rahmen des Krieges in der Ukraine zu illegalen Handlungen gezwungen zu werden, und die Aussicht, sich der strafrechtlichen Verantwortung und Strafverfolgung stellen zu müssen, ungeachtet der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen einer Verfolgung im völkerrechtlichen Sinne gleichkommen.
Entsprechend empfiehlt Amnesty das Postulat 22.4003 zur Annahme.
Right to Protest
BUNDESGESETZ ÜBER DAS GESICHTSVERHÜLLUNGSVERBOT
Ständerat - Montag, 05.Juni 2023
Amnesty International hatte die Initiative für ein Burka-Verbot klar abgelehnt. Das Gesichtsverhüllungsverbot ist unnötige Symbolpolitik mit sehr realen Konsequenzen: Es befeuert die Islamophobie und stigmatisiert die muslimische Minderheit in der Schweiz. Anstatt Frauen, die eine Burka oder einen Nikab tragen, in ihren Emanzipationswünschen zu unterstützen, werden sie durch solche Gesetze diskriminiert und marginalisiert.
Amnesty begrüsst grundsätzlich alle Schritte, welche diese negativen Konsequenzen reduzieren könnten, wie beispielsweise die Reduktion der vorgesehenen Bussen.
Der Entwurf des Bundesrats sieht vor, dass die zuständigen Behörden für die Ausübung der Grundrechte der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit, namentlich bei Demonstrationen, eine Bewilligung zur Gesichtsverhüllung erteilen können. Amnesty ist besorgt, dass diese Ausnahme wohl nur dann zum Tragen kommen würde, wenn eine Versammlung vorgängig bewilligt wurde. Diese wäre insofern problematisch, dass die Voraussetzung einer Bewilligung zur Ausübung der Versammlungsfreiheit - unabhängig vom Anwendungsfall - gegen internationale Menschenrechtsnormen verstösst.