Trotz der dramatischen Lage im besetzten Gazastreifen ist die Antwort der internationalen Gemeinschaft und auch die der Schweiz im besten Fall durchzogen – noch immer ist der Sicherheitsrat der Uno blockiert, und anstatt schnell und unbürokratisch humanitäre Hilfe zu leisten, haben verschiedene Länder diese sogar eingeschränkt. Deshalb fordert Amnesty das Schweizer Parlament und den Bundesrat auf, die Hilfe für die UNRWA sofort weiterzuführen, und sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen. Die Motion 23.4338, welche Unterstützung der Schweiz an Organisationen und Institutionen im Nahen Osten erschweren will, ist deshalb abzulehnen. Positiv beurteilen wir hingegen den Vorstoss der SPK-N, der eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus verlangt (Motion 23.4335).
Neben diesem aussenpolitischen Schwerpunkt kann das Parlament Akzente im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit, beim Schutz von Migrant*innen sowie im Kampf gegen die Folter setzen.
Übersicht (Nach Themen)
Aussenpolitik
Finanzielle Unterstützung in Palästina. Einsetzung einer Taskforce
Für eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus
Gender Justice
Evaluation der Fristenregelung
Asyl und Migration
Korrektur der Praxisänderung in Bezug auf Asylgesuche von Afghaninnen
Bei häuslicher Gewalt die Härtefallpraxis nach Artikel 50 AIG garantieren
Wirtschaft und Menschenrechte
Nachhaltige unternehmensführung. Wie will der Bundesrat eine einheitliche Regelung erreichen?
Internationales Recht
Folter als eigener Straftatbestand im schweizer Strafrecht
aussenpolitik
Finanzielle Unterstützung in Palästina. Einsetzung einer Taskforce
Nationalrat – Dienstag, 05. März2024
23.4338 / Motion
Die Motion 23.4338 der APK-N verlangt, dass der Bundesrat die Beiträge der Schweiz an Organisationen und Institutionen im Nahen Osten überprüft. Sie wurde in der Kommission nur äusserst knapp angenommen.
Eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung von Frieden und Menschenrechten. Dies ist gerade im aktuellen Kontext im Nahen Osten der Fall, wo palästinensische und israelische NGOs seit Jahren essenzielle Menschenrechtsarbeit leisten und so auch der Schweizer Aussenpolitik als wichtige Partnerorganisationen zur Verfügung stehen.
Bereits im November hatten mehrere europäische Länder, darunter die Schweiz, Massnahmen ergriffen, um die Finanzierung palästinensischer zivilgesellschaftlicher Organisationen auszusetzen oder einzuschränken. Sie tat dies auf der Grundlage unbegründeter Anschuldigungen, dass Gelder an «terroristische Organisationen» umgeleitet oder für «Aufstachelung zu Hass und Gewalt» verwendet würden. Solche Behauptungen befördern seit langem bestehende rassistische und islamophobe Stereotype, die arabische und muslimische Menschen als gewaltbereit und als potenzielle «Terrorist*innen» darstellen. Die Motion 23.4338 reiht sich ein in diese Logik, und stellt zudem ein allgemeines Misstrauensvotum gegenüber den bereits bestehenden Sorgfaltsprüfungsprozessen des EDA dar.
In der Wintersession 2023 beschloss das Parlament, Schweizer Gelder für die UNWRA nur noch in Tranchen und nach Prüfung durch die Aussenpolitischen Kommissionen zu erlauben. Der Druck auf die UNWRA hat sich nach den Vorwürfen Israels, Mitarbeitende des Uno-Hilfswerks seien an den Anschlägen vom 7. Oktober beteiligt gewesen, weiter verstärkt.
Die Vorwürfe über die Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitenden den von der Hamas verübten Anschlägen vom 7. Oktober sind schwerwiegend und müssen von unabhängiger Seite untersucht werden. Mutmassliche Handlungen einiger weniger Personen dürfen jedoch nicht als Vorwand dienen, um lebensrettende Hilfe einzustellen. Anstatt dringend benötigte Unterstützungsgelder für die Bedürftigen auszusetzen, sollten sich die Staaten dafür einsetzen, die Waffenlieferungen an Israel und die bewaffneten palästinensischen Gruppen zu stoppen. Zudem sollte auch die Schweizeinen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand und einen uneingeschränkten humanitären Zugang fordern, um das verheerende Leid zu lindern.
Entsprechend empfiehlt Amnesty International die Ablehnung von Motion 23.4338.
Für eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus
Nationalrat – Donnerstag, 07. März 2024
23.4335 / Motion
Rassismus und Antisemitismus stellen eine Bedrohung für die Menschenrechte dar. Sie verleugnen eines der Grundprinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind. Angesichts der zunehmenden geopolitischen Polarisierung und der jüngsten Gewalteskalation im Nahen Osten gehört es zur menschenrechtlichen Verantwortung der Schweiz, Massnahmen zu ergreifen, um alle Menschen vor rassistischer und antisemitischer Diskriminierung zu schützen.
Dazu braucht es ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Kantonen, aber auch eine bessere Datenerfassung und -Auswertung, um rassistische und antisemitische Übergriffe als solche zu erkennen und sichtbar zu machen. Mit der Motion 23.4335 nimmt die Staatspolitische Kommission ein Anliegen der ähnlich lautenden Motion 22.3307 auf. Zudem ruft sie Bundesrat und Kantone dazu auf, die Einsetzung eines Beauftragten für Rassismus- und Antisemitismusbekämpfung zu prüfen.
Amnesty International empfiehlt die Motion 23.4335 der Staatspolitischen Kommission zur Annahme.
Gender justice
Evaluation der Fristenregelung
Nationlarat – Dienstag, 27 Februar 2024
In den letzten Jahren wurden internationale Menschenrechtsstandards in Bezug auf den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erheblich weiterentwickelt. Viele Menschenrechtsorgane, darunter der Menschenrechtsausschuss, der WSK-Ausschuss und der CEDAW-Ausschuss der Uno, sowie die Weltgesundheitsorganisation empfehlen die vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Beseitigung aller Hindernisse oder Diskriminierungen, die den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch behindern können.
Zwanzig Jahre nach der Einführung der Fristenregelung im Schweizer Strafgesetzbuch ist es deshalb wichtig, die Auswirkungen dieser Gesetzgebung in der Praxis zu bewerten. Die Postulate 23.3805 und 23.3762 sollen die aktuellen Hindernisse identifizieren, die den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz erschweren, sowie eine Bestandsaufnahme der guten Praktiken und der Lücken in diesem Bereich auf kantonaler Ebene erstellen. Die Wahrung der Menschenrechte der betroffenen Personen sollte im Zentrum dieser Analyse stehen.
Amnesty International empfiehlt dem Nationalrat deshalb, die beiden Postulate 23.3805 und 23.3762
Opferschutz durch Täterarbeit
Nationalrat – Dienstag, 27 Februar 2024
23.3801 / Postulat
Artikel 16 der Istanbul-Konvention fordert die Vertragsstaaten auf, "die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen zu ergreifen, um Programme einzurichten oder zu unterstützen, die darauf abzielen, Täter*innenn häuslicher Gewalt gewaltfreies Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen beizubringen, um weitere Gewalt zu verhindern und gewalttätige Verhaltensmuster zu ändern." In der im April 2021 verabschiedeten Roadmap zu häuslicher Gewalt erkennen Bund und Kantone an, dass "es wesentlich ist, die Nachbetreuung von Gewalttäter*innen zu verstärken". Ausserdem verpflichten sie sich, eine gemeinsame und koordinierte Politik zur Prävention und Bekämpfung von häuslicher Gewalt zu stärken.
Postulat 23.3801 ist ein erster wichtiger Schritt zur Erreichung dieser Ziele, da es mögliche Handlungsansätze zur Stärkung der Begleitung von Gewalttäter*innen durch einen zwischen Bund und Kantonen koordinierten Ansatz prüfen soll. Die Polizeistatistiken zeigen, dass die Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt nicht zurückgehen und 2022 sogar leicht angestiegen sind. In ihren Empfehlungen für die laufende Legislaturperiode fordert Amnesty International das Parlament auf, diese Situation sehr ernst zu nehmen, insbesondere durch den Ausbau und die Harmonisierung der Leistungen im Bereich der Opferhilfe und der Begleitung der Täter*innen.
Aus all diesen Gründen empfiehlt Amnesty International dem Nationalrat, das Postulat 23.3801 anzunehmen.
Asyl und migration
Korrektur der Praxisänderung in Bezug auf Asylgesuche von Afghaninnen
Nationalrat – Dienstag 27 Februar 2024
23.4241 / Motion
Die humanitäre Lage in Afghanistan ist aufgrund zahlreicher dokumentierter Menschenrechtsverstösse weiterhin prekär. Die Praxisänderung des Staatssekretariats für Migration vom Sommer 2023 in Bezug auf Frauen und Mädchen erfährt nicht nur in der Schweiz, sondern auch in verschiedenen europäischen Ländern eine breite Akzeptanz. Die Motion 23.4241 fordert, diese Praxisänderung rückgängig zu machen.
BEI HÄUSLICHER GEWALT DIE HÄRTEFALLPRAXIS NACH ARTIKEL 50 AIG GARANTIEREN
STANDERAT – MITTWOCH, 28. FEBRUAR 2024
21.504 / Parlamentarische Initiative
Amnesty International ist davon überzeugt, dass die Parlamentarische Initiative 21.504 der SPK-N einen wirksamen Schutz für Migrant*innen ermöglicht, die häusliche Gewalt erleben. Zudem können damit entsprechenden Anforderungen der Istanbul-Konvention erfüllt werden.
Amnesty International begrüsst deshalb grundsätzlich die Änderung des Artikels 50 im Ausländer- und Integrationsgesetz und sieht diese als Chance, mehr Rechtsgleichheit unter Gewaltbetroffenen und einen besseren Opferschutz zu gewährleisten. Die vorgeschlagene Anpassung könnte eine präventive Wirkung auf Tatpersonen haben und Betroffenen den Zugang zu Opferhilfestellen vereinfachen, deren Existenz sie bislang allzu oft nicht einmal kennen.
Amnesty International empfiehlt dem Ständerat, die Vorlage anzunehmen.
wirtschaft und menschenrechte
NACHHALTIGE UNTERNEHMENSFÜHRUNG. WIE WILL DER BUNDESRAT EINE EINHEITLICHE REGELUNG ERREICHEN?
23.4388 / Interpellation
internationales recht
FOLTER ALS EIGENER STRAFTATBESTAND IM SCHWEIZER STRAFRECHT