Bundeshaus Bern, Südsicht. © parlament.ch
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Frühjahrssession (26. Februar - 15. März 2024) Menschenrechte im Parlament: Frühjahr 2024

22. Februar 2024
Aus Menschenrechts-Perspektive wird in der Frühjahrssession der Krieg in Gaza weiterhin einen wesentlichen Platz einnehmen. Recherchen von Amnesty International zeigen, wie die israelischen Streitkräfte das humanitäre Völkerrecht missachten und ganze Familien ungestraft auslöschen. Neben diesem aussenpolitischen Schwerpunkt kann das Parlament Akzente im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit, beim Schutz von Migrant*innen sowie im Kampf gegen die Folter setzen.

Trotz der dramatischen Lage im besetzten Gazastreifen ist die Antwort der internationalen Gemeinschaft und auch die der Schweiz im besten Fall durchzogen – noch immer ist der Sicherheitsrat der Uno blockiert, und anstatt schnell und unbürokratisch humanitäre Hilfe zu leisten, haben verschiedene Länder diese sogar eingeschränkt. Deshalb fordert Amnesty das Schweizer Parlament und den Bundesrat auf, die Hilfe für die UNRWA sofort weiterzuführen, und sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen. Die Motion 23.4338, welche Unterstützung der Schweiz an Organisationen und Institutionen im Nahen Osten erschweren will, ist deshalb abzulehnen. Positiv beurteilen wir hingegen den Vorstoss der SPK-N, der eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus verlangt (Motion 23.4335).  

Neben diesem aussenpolitischen Schwerpunkt kann das Parlament Akzente im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit, beim Schutz von Migrant*innen sowie im Kampf gegen die Folter setzen.

Übersicht (Nach Themen)

Aussenpolitik

Finanzielle Unterstützung in Palästina. Einsetzung einer Taskforce

Für eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus

Gender Justice

Evaluation der Fristenregelung

Opferschutz durch Täterarbeit

Asyl und Migration

Korrektur der Praxisänderung in Bezug auf Asylgesuche von Afghaninnen

Bei häuslicher Gewalt die Härtefallpraxis nach Artikel 50 AIG garantieren

Wirtschaft und Menschenrechte

Nachhaltige unternehmensführung. Wie will der Bundesrat eine einheitliche Regelung erreichen?

Internationales Recht

Folter als eigener Straftatbestand im schweizer Strafrecht

 

aussenpolitik

Finanzielle Unterstützung in Palästina. Einsetzung einer Taskforce
Nationalrat – Dienstag, 05. März2024

 

23.4338 / Motion

Die Motion 23.4338 der APK-N verlangt, dass der Bundesrat die Beiträge der Schweiz an Organisationen und Institutionen im Nahen Osten überprüft. Sie wurde in der Kommission nur äusserst knapp angenommen.

Eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung von Frieden und Menschenrechten. Dies ist gerade im aktuellen Kontext im Nahen Osten der Fall, wo palästinensische und israelische NGOs seit Jahren essenzielle Menschenrechtsarbeit leisten und so auch der Schweizer Aussenpolitik als wichtige Partnerorganisationen zur Verfügung stehen.

Bereits im November hatten mehrere europäische Länder, darunter die Schweiz, Massnahmen ergriffen, um die Finanzierung palästinensischer zivilgesellschaftlicher Organisationen auszusetzen oder einzuschränken. Sie tat dies auf der Grundlage unbegründeter Anschuldigungen, dass Gelder an «terroristische Organisationen» umgeleitet oder für «Aufstachelung zu Hass und Gewalt» verwendet würden. Solche Behauptungen befördern seit langem bestehende rassistische und islamophobe Stereotype, die arabische und muslimische Menschen als gewaltbereit und als potenzielle «Terrorist*innen» darstellen. Die Motion 23.4338 reiht sich ein in diese Logik, und stellt zudem ein allgemeines Misstrauensvotum gegenüber den bereits bestehenden Sorgfaltsprüfungsprozessen des EDA dar.

In der Wintersession 2023 beschloss das Parlament, Schweizer Gelder für die UNWRA nur noch in Tranchen und nach Prüfung durch die Aussenpolitischen Kommissionen zu erlauben. Der Druck auf die UNWRA hat sich nach den Vorwürfen Israels, Mitarbeitende des Uno-Hilfswerks seien an den Anschlägen vom 7. Oktober beteiligt gewesen, weiter verstärkt.

Die Vorwürfe über die Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitenden den von der Hamas verübten Anschlägen vom 7. Oktober sind schwerwiegend und müssen von unabhängiger Seite untersucht werden. Mutmassliche Handlungen einiger weniger Personen dürfen jedoch nicht als Vorwand dienen, um lebensrettende Hilfe einzustellen. Anstatt dringend benötigte Unterstützungsgelder für die Bedürftigen auszusetzen, sollten sich die Staaten dafür einsetzen, die Waffenlieferungen an Israel und die bewaffneten palästinensischen Gruppen zu stoppen. Zudem sollte auch die Schweizeinen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand und einen uneingeschränkten humanitären Zugang fordern, um das verheerende Leid zu lindern.

Entsprechend empfiehlt Amnesty International die Ablehnung von Motion 23.4338.

 

Für eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus
Nationalrat – Donnerstag, 07. März 2024

23.4335 / Motion

Rassismus und Antisemitismus stellen eine Bedrohung für die Menschenrechte dar. Sie verleugnen eines der Grundprinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind. Angesichts der zunehmenden geopolitischen Polarisierung und der jüngsten Gewalteskalation im Nahen Osten gehört es zur menschenrechtlichen Verantwortung der Schweiz, Massnahmen zu ergreifen, um alle Menschen vor rassistischer und antisemitischer Diskriminierung zu schützen.

Dazu braucht es ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Kantonen, aber auch eine bessere Datenerfassung und -Auswertung, um rassistische und antisemitische Übergriffe als solche zu erkennen und sichtbar zu machen. Mit der Motion 23.4335  nimmt die Staatspolitische Kommission ein Anliegen der ähnlich lautenden Motion 22.3307 auf. Zudem ruft sie Bundesrat und Kantone dazu auf, die Einsetzung eines Beauftragten für Rassismus- und Antisemitismusbekämpfung zu prüfen.

 Amnesty International empfiehlt die Motion 23.4335 der Staatspolitischen Kommission zur Annahme.

 

Gender justice

Evaluation der Fristenregelung

Nationlarat – Dienstag, 27 Februar 2024

23.3762 und 23.3805/ Postulat

In den letzten Jahren wurden internationale Menschenrechtsstandards in Bezug auf den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erheblich weiterentwickelt. Viele Menschenrechtsorgane, darunter der Menschenrechtsausschuss, der WSK-Ausschuss und der CEDAW-Ausschuss der Uno, sowie die Weltgesundheitsorganisation empfehlen die vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Beseitigung aller Hindernisse oder Diskriminierungen, die den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch behindern können.

Zwanzig Jahre nach der Einführung der Fristenregelung im Schweizer Strafgesetzbuch ist es deshalb wichtig, die Auswirkungen dieser Gesetzgebung in der Praxis zu bewerten. Die Postulate 23.3805 und 23.3762 sollen die aktuellen Hindernisse identifizieren, die den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz erschweren, sowie eine Bestandsaufnahme der guten Praktiken und der Lücken in diesem Bereich auf kantonaler Ebene erstellen. Die Wahrung der Menschenrechte der betroffenen Personen sollte im Zentrum dieser Analyse stehen.

Amnesty International empfiehlt dem Nationalrat deshalb, die beiden Postulate 23.3805 und 23.3762

 

Opferschutz durch Täterarbeit

Nationalrat – Dienstag, 27 Februar 2024

23.3801 / Postulat

Artikel 16 der Istanbul-Konvention fordert die Vertragsstaaten auf, "die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen zu ergreifen, um Programme einzurichten oder zu unterstützen, die darauf abzielen, Täter*innenn häuslicher Gewalt gewaltfreies Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen beizubringen, um weitere Gewalt zu verhindern und gewalttätige Verhaltensmuster zu ändern." In der im April 2021 verabschiedeten Roadmap zu häuslicher Gewalt erkennen Bund und Kantone an, dass "es wesentlich ist, die Nachbetreuung von Gewalttäter*innen zu verstärken". Ausserdem verpflichten sie sich, eine gemeinsame und koordinierte Politik zur Prävention und Bekämpfung von häuslicher Gewalt zu stärken.

Postulat 23.3801 ist ein erster wichtiger Schritt zur Erreichung dieser Ziele, da es mögliche Handlungsansätze zur Stärkung der Begleitung von Gewalttäter*innen durch einen zwischen Bund und Kantonen koordinierten Ansatz prüfen soll. Die Polizeistatistiken zeigen, dass die Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt nicht zurückgehen und 2022 sogar leicht angestiegen sind. In ihren Empfehlungen für die laufende Legislaturperiode fordert Amnesty International das Parlament auf, diese Situation sehr ernst zu nehmen, insbesondere durch den Ausbau und die Harmonisierung der Leistungen im Bereich der Opferhilfe und der Begleitung der Täter*innen.

Aus all diesen Gründen empfiehlt Amnesty International dem Nationalrat, das Postulat 23.3801 anzunehmen.

 

Asyl und migration

Korrektur der Praxisänderung in Bezug auf Asylgesuche von Afghaninnen

Nationalrat – Dienstag 27 Februar 2024

23.4241 / Motion


Die humanitäre Lage in Afghanistan ist aufgrund zahlreicher dokumentierter Menschenrechtsverstösse weiterhin prekär. Die Praxisänderung des Staatssekretariats für Migration vom Sommer 2023 in Bezug auf Frauen und Mädchen erfährt nicht nur in der Schweiz, sondern auch in verschiedenen europäischen Ländern eine breite Akzeptanz. Die Motion 23.4241 fordert, diese Praxisänderung rückgängig zu machen.

Seit der Machtergreifung der Taliban hat sich besonders die Situation für Frauen und Mädchen kontinuierlich verschlechtert. Frauen und Mädchen werden systematisch verfolgt und ihre Rechte strikt eingeschränkt. Die Lage vor Ort verschärfte sich zusätzlich nach Naturkatastrophen wie dem Erdbeben im Oktober 2023. Auch im Nachbarland Pakistan finden Geflüchtete keinen Schutz. Die pakistanischen Behörden verstossen gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, in dem Afghan*innen schikaniert, inhaftiert oder abgeschoben werden.

Nachdem das Parlament in der Wintersession die Beratung von Motion 23.4241 verschoben hatte, lehnte sie die Staatspolitische Kommission des Nationalrats ab.
 
Amnesty International empfiehlt dem Nationalrat, der Kommission zu folgen und plädiert weiterhin für Ablehnung der Motion 23.4241.

 

BEI HÄUSLICHER GEWALT DIE HÄRTEFALLPRAXIS NACH ARTIKEL 50 AIG GARANTIEREN
STANDERAT – MITTWOCH, 28. FEBRUAR 2024
21.504 / Parlamentarische Initiative

Amnesty International ist davon überzeugt, dass die Parlamentarische Initiative 21.504 der SPK-N einen wirksamen Schutz für Migrant*innen ermöglicht, die häusliche Gewalt erleben. Zudem können damit entsprechenden Anforderungen der Istanbul-Konvention erfüllt werden.

Amnesty International begrüsst deshalb grundsätzlich die Änderung des Artikels 50 im Ausländer- und Integrationsgesetz und sieht diese als Chance, mehr Rechtsgleichheit unter Gewaltbetroffenen und einen besseren Opferschutz zu gewährleisten. Die vorgeschlagene Anpassung könnte eine präventive Wirkung auf Tatpersonen haben und Betroffenen den Zugang zu Opferhilfestellen vereinfachen, deren Existenz sie bislang allzu oft nicht einmal kennen.

Amnesty International empfiehlt dem Ständerat, die Vorlage anzunehmen.

 

wirtschaft und menschenrechte

NACHHALTIGE UNTERNEHMENSFÜHRUNG. WIE WILL DER BUNDESRAT EINE EINHEITLICHE REGELUNG ERREICHEN?
STÄNDERAT – MITTWOCH, 13. MÄRZ 2024
23.4388 / Interpellation

Die Europäische Union steht kurz vor der Verabschiedung einer Richtlinie, die eine erweiterte Sorgfaltspflicht für Unternehmen in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards festlegt. Es ist daher dringend notwendig, dass die Schweiz die gesetzlichen Lücken schliesst. Der indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative sieht nur eine Berichtspflicht für nicht-finanzielle Fragen vor. Eine Sorgfaltspflicht ist nur für zwei besondere Aspekte vorgesehen: offensichtliche Fälle von Kinderarbeit und Konfliktmineralien. Es gibt jedoch keine Sanktionen für Verstösse. Der Ball liegt also beim Bundesrat, der während des Abstimmungskampfes 2020 eine “international koordinierte” Lösung versprochen hatte, damit schweizerische und europäische multinationale Unternehmen "gleichgestellt" würden. Doch selbst der Bericht des Bundesamts für Justiz vom November 2022 kommt zum Schluss, dass der Entwurf der EU-Richtlinie "erhebliche Unterschiede" im Vergleich zur Schweizer Gesetzgebung aufweist. Die Schweiz braucht deshalb ohne Verzögerung eine starke und wirksame Gesetzgebung zur Konzernverantwortung.
 
Der Bundesrat kann bei der Behandlung der Interpellation 23.4388 aufzeigen, dass er wirklich bereit ist, Konzerne für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in die Pflicht zu nehmen.

 

internationales recht

FOLTER ALS EIGENER STRAFTATBESTAND IM SCHWEIZER STRAFRECHT
NATIONALRAT – FREITAG, 15. MÄRZ 2024
20.504 / Parlamentarische Initiative

Die Schweiz hat die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen ratifiziert, aber ungenügend umgesetzt. Weder Folter noch die Misshandlung von Gefangenen ist in der Schweiz ein Straftatbestand. Dies wird seit vielen Jahren von internationalen Menschenrechtsgremien kritisiert, zuletzt durch den Universal Periodic Review (UPR) des Uno-Menschenrechtsrats. Es ist höchste Zeit, diese Lücke im Schweizer Strafrecht endlich zu schliessen. Die RK-N plant per Ende 2024 eine Vernehmlassung zu einem Erlassentwurf, dafür muss aber das Parlament die Behandlungsfrist verlängern.

Amnesty unterstützt das Vorhaben, den Foltertatbestand im Strafgesetzbuch zu verankern, und empfiehlt deshalb eine Verlängerung der Frist.

 

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