Asylgesetzrevision Bundesrätin Sommaruga stellt die Weichen neu

23. Mai 2011
Am 9. Mai 2011 hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga der Staatspolitischen Kommission des Ständerats den Bericht mit neuen Lösungsansätzen im Asylbereich präsentiert. Der Bericht schlägt drei Varianten vor:

Variante 1:
Falls bei einem Asylgesuch keine Zusatzabklärungen notwendig sind (betrifft laut BFM 80 % der Fälle), soll das gesamte Asylverfahren in Bundeszentren abgewickelt werden. Dieses soll nicht länger als 120 Tage dauern und den Asylsuchenden Zugang zu kostenloser Rechtsberatung, Rechtsvertretung und Rückkehrberatung gewähren. Wenn möglich soll auch die Beschwerdeinstanz vor Ort arbeiten. Wie bereits früher soll wieder medizinisches Personal in den Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ) präsent sein (die medizinische Versorgung wurde während der Blocher-Ära aufgehoben). Die für die BefragerInnen entscheidrelevanten Abklärungen sollen alle im Vorfeld des Verfahrens durchgeführt werden (z.B. das Registrieren der Personendaten, die Überprüfung der Reise- und Identitätsdokumente, das Abgleichen der Fingerabdrücke mit verschiedenen Datenbanken, Dublin II-Anfragen, medizinische Abklärungen auf Antrag deR GesuchstellerIn usw.). Danach soll eine ausführliche Befragung zu den Asylgründen stattfinden. Der Entscheid soll unmittelbar nach der Befragung gefällt werden.

Falls weitere Verfahrensschritte notwendig sind, soll ein erweitertes Asylverfahren von maximal 120 Tagen durchgeführt und die die Asylsuchenden den Kantonen zugeteilt werden.

Abgewiesene Asylsuchende sollen intensiv auf eine freiwillige Rückkehr vorbereitet werden. Falls sie dazu nicht bereit sind, sollen sie für den Vollzug der Wegweisung einem Kanton zugeteilt und aus der Sozialhilfe ausgeschlossen werden. Sie können Nothilfe beantragen.

Bund und Kantone müssen für Krisenzeiten über Reservekapazitäten verfügen, für die die Kantone vom Bund entschädigt werden (diese Regelung wurde von alt-Bundesrat Blocher aus Kostengründen aufgehoben).

Variante 2:
Der Bund ist für das ganze Verfahren, inklusive den Vollzug sowie die Unterbringung aller Asylsuchenden während des gesamten Verfahrens zuständig. Ansonsten gelten die gleichen Prinzipien wie für Variante 1.

Variante 3:
Darunter fallen verschiedene kurzfristige Massnahmen unter Beibehaltung der bestehenden Strukturen und Kompetenzen. Die Beschleunigung des Verfahrens soll vor allem durch Einführung von verbindlichen Fristen für die Behandlung der Asylgesuche erreicht werden. Die Aufenthaltsdauer in den EVZ soll auf 120 Tage verlängert werden. Dublin II- und Nichteintretensverfahren sollen in dieser Zeit letztinstanzlich abgeschlossen sein. Diese Variante sieht noch keine umfassende Rechtsberatung und –vertretung vor. Eine punktuelle Verstärkung des Rechtsschutzes und eine Verstärkung der Zusammenarbeit mit den Rechtsberatungsstellen sind jedoch nicht ausgeschlossen. Des Weiteren ist die Weiter-führung gewisser von Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf eingebrachter Revisionsvorschläge vorgesehen, wie die vorgeschlagenen Massnahmen bei Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuchen.

Beurteilung durch Amnesty International
Amnesty International begrüsst den Paradigmenwechsel von Bundesrätin Simonetta Sommaruga und die Anregung, ein kurzes, rechtsstaatliches und glaubwürdiges Asylverfahren einzuführen. Allerdings ist dieses Vorhaben nicht mit Variante 3 vereinbar, die unverständlicherweise wieder Vorschläge einbringen will, die gegen das internationale Flüchtlingsrecht verstossen und somit mit einem glaubwürdigen Asylsystem nicht kompatibel wären.

Seit den achtziger Jahren müssen Asylsuchende viel zu lange auf ihren Asylentscheid warten, wofür nicht nur die Bundesbehörden sondern auch das Parlament verantwortlich sind. Erste Pendenzen entstanden 1984, nachdem das Parlament die von alt-Bundesrat Friedrich beantragten zusätzliche Stellen für den Asylbereich ablehnte. Amnesty heisst daher die Massnahmen zu einer nachhaltigen Verkürzung des Asylverfahrens gut, ist jedoch der Meinung, dass sie mit einer Aufstockung des Personals einhergehen müssen.

Was die Rechtsstaatlichkeit und Glaubwürdigkeit des Asylverfahrens anbelangt, können diese nur erreicht werden, wenn eine umfassende Rechtsberatung und Rechtsvertretung eingeführt werden und eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundesbehörden und Rechtsvertretung besteht. Zu oft werden heute auf unvollständige Sachverhaltsabklärungen gestützte Asylentscheide gefällt. Dies kann weitgehend verhindert werden, wenn Asylsuchende während einer Vorbereitungsphase Zugang zu einer Rechtsberatung und zu medizinischen Untersuchungen erhalten. Amnesty International geht davon aus, dass dadurch auch die Anzahl von Wiedererwägungs- und Zweitgesuchen massiv zurückgehen dürfte, was bei einem aktuellen Stand von rund 1500 Wiedererwägungsgesuchen pro Jahr zu einer nicht unwesentlichen Entlastung des Asylwesens führen dürfte.

Amnesty International begrüsst zudem die Wiedereinführung eines glaubwürdigen und umfassenden Betreuungssystems. Die Aufhebung der grenzsanitarischen Untersuchungen durch das Schweizerische Rote Kreuz hatte katastrophale Auswirkungen auf die Situation in den Empfangsstellen, bzw. in den EVZ. Denn das SRK-Betreuungspersonal kümmerte sich nicht nur um die grenzsanitarische Untersuchung sondern nahm auch wichtige soziale Betreuungsaufgaben wahr. Diese Fachkompetenz fehlt heute weitgehend und führt mitunter zu Missständen, so z.B im EVZ Kreuzlingen.

Was Amnesty International hingegen entschieden bekämpfen würde, wäre eine Verkürzung der Beschwerdefristen ohne umfassende Rechtsvertretung.

Amnesty International erwartet, dass das Parlament seine Verantwortung wahrnimmt und realisiert, dass eine tatsächliche Beschleunigung des Asylverfahrens nur über einen umfassenden Rechtsschutz erfolgen kann und alle anderen Lösungen nicht nachhaltig sind. Die dafür nötigen Mehrkosten würden durch die Verkürzung des Verfahrens wettgemacht. Zudem ist die  Weiterführung der von Bundesrätin Widmer-Schlumpf eingeleiteten Asylgesetzrevision nicht mit dem Ziel eines glaubwürdigen Asylsystems vereinbar.

Stellungnahme zum Download