Vertriebene Palästinenser*innen kehren Mitte April 2024 in den Gaza-Streifen zurück © AFP via Getty Images
Vertriebene Palästinenser*innen kehren Mitte April 2024 in den Gaza-Streifen zurück © AFP via Getty Images

Stellungnahme Die Schweiz darf die Palästinenser*innen jetzt nicht im Stich lassen

17. Februar 2025 – Von Michael Ineichen, Advocacy-Verantwortlicher von Amnesty Schweiz
Nach der definitiven Streichung der US-Gelder durch Präsident Trump ist humanitäre Hilfe umso dringender: Die Schweiz muss sich für die weitere Finanzierung des Uno-Hilfswerks UNRWA einsetzen.

Der Waffenstillstand zwischen Gaza und Israel hat Erleichterung gebracht – für Palästinenser*innen und für Israelis. Doch die humanitäre Lage im Gazastreifen bleibt desolat. Zwar erhalten vermehrt wieder humanitäre Organisationen Zugang zur Region, doch was sie dort antreffen, ist die totale Zerstörung. Es fehlt an allem. Die Wasserversorgung wurde grösstenteils zerstört, 75 Prozent der Felder sind nicht mehr urbar, 96 Prozent des Viehs kam während der Kämpfe ums Leben, der Fischereisektor steht am Rande des Zusammenbruchs. Hinzu kommt, dass viele Gebiete aufgrund der massiven Verminung nicht mehr passierbar sind.

Millionen Palästinenser*innen sind jetzt mehr denn je auf humanitäre Hilfe angewiesen, um ihr Leben nach Zwangsvertreibung, Hunger und flächendeckender Zerstörung wieder aufbauen zu können. Doch die offizielle Schweiz, die sich ihre lange humanitäre Tradition immer wieder auf die Fahne schreibt, tut bisher wenig, um das Leid zu lindern. Im Gegenteil: Seit mehr als einem Jahr diskutieren das Parlament und die Aussenpolitischen Kommissionen (APK) über die Frage der weiteren Finanzierung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) – das Gerangel um die Hilfsgelder mitten in grösster Not ist zu einer unwürdigen Parodie der humanitären Schweiz verkommen. Am 30. April sprach sich eine Mehrheit der APK noch dafür aus, einen Teilbetrag (10 Mio. CHF) für humanitäre Hilfe freizugeben. Am 8. Mai fällte der Bundesrat den entsprechenden Entscheid. Ein Entscheid, der nicht lange anhielt: Der Nationalrat stimmte im September für einen Antrag der SVP, die Finanzierung der UNRWA einzustellen. Im Dezember wollte der Nationalrat auf Antrag der SVP, die UNRWA-Finanzierung aus dem Entwicklungshilfebudget streichen, was der Ständerat glücklicherweise wieder stoppte. Die Frage wird nun am 17. Februar von der APK des Ständerates weiter besprochen.

Bisher war die Politik der Schweizer Regierung zum Krieg in Gaza im besten Fall planlos, im schlimmsten Fall feige. Anstatt die humanitäre Hilfe aufzustocken und neben dem Waffenstillstand einen Stopp der Waffenlieferungen, sowie ein Ende der Besatzung zu fordern, laviert die Schweiz seit Monaten hin und her. Viele Parlamentarier*innen, mit denen ich in Kontakt bin, rollen nur noch die Augen. Angesichts der Wichtigkeit des Themas erscheint dies beinahe zynisch. Denn die Palästinenser*innen, die den Völkermord in Gaza überlebt haben, sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Hilfe, für die die UNRWA unersetzlich ist.

Seit Inkrafttreten des Waffenstillstands hat die UNRWA nach Angaben der Uno rund 60 Prozent der gesamten humanitären Hilfe, inklusive Nahrungsmittellieferungen, in den palästinensischen Gebieten geleistet. Damit ist die UNRWA nach wie vor die grösste humanitäre Akteurin vor Ort. Nur sie verfügt über das notwendige Netzwerk, um grundlegende Dienstleistungen wie Notunterkünfte, medizinische Versorgung, Nahrungsmittel- und Wasserverteilung sowie Abwasserentsorgung im gesamten Gazastreifen bereitzustellen.

Die Unterstützung der UNRWA durch die Schweiz ist umso dringender, seitdem das israelische Parlament per Gesetz die Präsenz des Uno-Hilfswerks im Land verboten hat. Dieses Gesetz verstösst gegen internationales Recht, welches die Schliessung einer humanitären Hilfsorganisation in einem besetzten Gebiet verbietet.

Statt dieses Verbot vehement zu verurteilen, zieht die Schweiz es jedoch vor, vor Israel zu kuschen. Dabei könnte ein klares Bekenntnis zur humanitären Hilfe einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass der Waffenstillstand anhält. Denn eine friedliche und auf der Achtung der Menschenrechte aufbauende Gesellschaft in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet kann nur geschaffen werden, wenn zuerst die Hunderttausenden von verletzten, hungernden und traumatisierten Menschen in Gaza mit Hilfe versorgt werden. Verzweiflung, Armut und Frustration hingegen sind ein Nährboden für Radikalisierung – und eine Gefahr für den Frieden.

In einer Zeit, in der US-Präsident Trump Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof erlässt und Hilfsorganisationen die Mittel streicht, hat die Schweiz die Chance, sich zu den Menschenrechten und zur humanitären Hilfe zu bekennen und so ein Zeichen gegen Hass und Hetze zu setzen. Es ist daher unerlässlich, dass die APK sich am 17. Februar entschlossen für die Finanzierung der UNRWA ausspricht. Nur so bewahrt die humanitäre Schweiz einen Rest an Glaubwürdigkeit und Menschlichkeit.