© Howie Shia  / Amnesty International
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Spanien Prominente Katalan*innen wurden mit «Pegasus» überwacht – EU muss dringend handeln

19. April 2022
Amnesty International bestätigt neue Angriffe mit der Überwachungssoftware «Pegasus» gegen prominente Katalan*innen. Die Institutionen der Europäischen Union versäumen es, Menschenrechtsverletzungen durch diese Software ein Ende zu setzen.

Neue Recherchen des Citizen Lab haben gezeigt, wie zahlreiche katalanische Politiker*innen, Journalist*innen und ihre Familien zwischen 2015 und 2020 mit der Spionagesoftware Pegasus der NSO Group angegriffen wurden. Technische Expert*innen des Security Lab von Amnesty International haben unabhängig Beweise für die Angriffe überprüft und die Ergebnisse bestätigt.

Amnesty International bestätigte die Überwachung von Elisenda Paluzie und Sònia Urpí Garcia, die für die Assemblea Nacional Catalana arbeiten, eine Organisation, die die politische Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien anstrebt. Elisenda Paluzie ist die derzeitige Vorsitzende der Gruppe.

Auch das Telefon der katalanischen Journalistin Meritxell Bonet wurde im Juni 2019 gehackt. Sie wurde in den letzten Tagen eines Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof gegen ihren Ehemann Jordi Cuixart ausspioniert. Ihr Eheman, Aktivist und ehemaliger Vorsitzender der katalanischen Vereinigung Òmnium Cultural, wurde wegen «Aufwiegelung» verurteilt.

Der Politiker, Universitätsprofessor und katalanische Aktivist Jordi Sànchez wurde von September 2015 bis Juli 2020 umfassend und beharrlich mit Pegasus überwacht. Zwischen 2015 und 2017 war er Präsident der Assemblea Nacional Catalana. Sein Telefon wurde am 13. Oktober 2017 mit Pegasus kompromittiert, wenige Tage vor seiner Verhaftung durch die spanischen Behörden unter dem Vorwurf der «Aufwiegelung».

Im Oktober 2020 wandte sich Amnesty International Spanien schriftlich an die spanische Regierung und forderte sie auf, Informationen über alle Verträge mit privaten Unternehmen für digitale Überwachung offenzulegen, was jedoch nicht geschah. Später wandte sich Amnesty International Spanien auch an das spanische Verteidigungsministerium und bat das Nationale Nachrichtenzentrum um Informationen über den Einsatz von Pegasus. In der Antwort hiess es, solche Informationen fielen unter Verschluss. Die NSO Group erklärte, dass es nur an Regierungen verkauft und dass seine Instrumente zur Bekämpfung der schweren organisierten Kriminalität und des Terrorismus eingesetzt werden sollen.

«Die spanische Regierung muss offenlegen, ob sie ein Kunde der NSO Group ist oder nicht. Ausserdem muss sie eine gründliche, unabhängige Untersuchung des Einsatzes von «Pegasus» gegen die in dieser Untersuchung identifizierten Katalan*innen durchführen», sagte Likhita Banerji, Verantwortliche für Technologie und Menschenrechte bei Amnesty International.

Das Security Lab von Amnesty International hat die forensischen Beweise einer Stichprobe von Personen, die zuerst in der Untersuchung des Citizen Lab identifiziert wurden, überprüft und in allen Fällen Beweise für den gezielten Einsatz von Pegasus gefunden.

Europäisches Parlament muss handeln

Die Enthüllungen fallen zusammen mit der ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments am Dienstag (19. April). Der Untersuchungsausschuss untersucht Verstösse gegen EU-Recht im Zusammenhang mit dem Einsatz von «Pegasus» und gleichwertiger Spionagesoftware. Der Ausschuss tagt als Folge der Enthüllungen über das «Pegasus»-Projekt im Juli 2021. Letzte Woche berichtete Reuters, dass hochrangige EU-Persönlichkeiten mit «Pegasus» der NSO-Gruppe ausspioniert wurden.

«Wir fordern den Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments auf, nichts unversucht zu lassen, um die Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, die durch unrechtmässige Spionageprogramme ermöglicht werden», sagte Likhita Banerji. «Regierungen auf der ganzen Welt haben nicht genug getan, um Menschenrechtsverletzungen durch invasive Spionageprogramme wie «Pegasus» zu untersuchen oder zu stoppen. Die Nutzung, der Verkauf und die Weitergabe dieser Überwachungstechnologie muss vorübergehend gestoppt werden, um weitere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.»

Amnesty International hat zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen bereits früher den weit verbreiteten und rechtswidrigen Einsatz von Spionagesoftware gegen Aktivist*innen, Politiker*innen und Journalist*innen auf der ganzen Welt dokumentiert, auch im Rahmen des Pegasus-Projekts.

In Europa wurden Aktivist*innen, Journalist*innen und andere Mitglieder der Zivilgesellschaft in Belgien, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Polen, Spanien und im Vereinigten Königreich unrechtmässig ins Visier genommen. 

Die NSO Group hat keine angemessenen Massnahmen ergriffen, um den Einsatz ihrer Instrumente zur unrechtmässigen gezielten Überwachung zu stoppen, obwohl sie entweder wusste oder hätte wissen müssen, dass dies geschah. Die NSO Group muss die Systeme ihrer Kund*innen sofort abschalten, wenn es glaubhafte Beweise für den Missbrauch ihrer Tools gibt.