Türkei Zweifel an Untersuchungen zu Bombardements in Uludere

6. Februar 2012
Amnesty International hat gegenüber den türkischen Behörden ernste Besorgnis bezüglich der Untersuchungen über die Bombardierung von Zivilisten durch ein Kriegsflugzeug im Kreis Uludere/ Qileban in der Provinz Şırnak  im Südosten der Türkei ausgedrückt.

In der Nacht des 28. Dezember 2011 wurden im Landkreis Uludere/Qileban 34 Zivilisten, darunter 18 Minderjährige, durch Bombenabwürfe eines türkischen Kriegsflugzeugs getötet.  Bei dem Angriff wurde kein militärisches Ziel getroffen. Zunächst behaupteten die Behörden, die Getöteten seien bewaffnete Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gewesen. Später gaben sie zu, dass es sich um zivile Schmuggler handelte, die vom benachbarten Irak in die Türkei zurückgekehrt waren.

Amnesty International hatte die Behörden aufgefordert, eine sorgfältige, unabhängige und unparteiische Untersuchung durchzuführen und für eine Wiedergutmachung - insbesondere Entschädigungszahlungen für die Opfer des Angriffs  - zu sorgen. Die Türkei ist gemäss internationalen Menschenrechtskonventionen verpflichtet, Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen unverzüglich, sorgfältig und effektiv durch unabhängige und unparteiische Institutionen untersuchen zu lassen, Wiedergutmachung, einschliesslich Entschädigungszahlungen für die Opfer, zu leisten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Amnesty begrüsst Entschädigungen

Amnesty International begrüsst es, dass Entschädigungszahlungen für die Familien der bei dem Angriff Getöteten zugesichert wurden. Andere Entwicklungen erwecken jedoch Zweifel daran, dass die Untersuchungen sorgfältig und unparteiisch  durchgeführt werden und aufdecken werden, was genau geschehen ist und wer dafür verantwortlich ist.

Zeugen der Bombardierung haben Aussagen gegenüber zivilgesellschaftlichen Delegationen, darunter oppositionelle Parteien, Vertreter von Anwaltskammern und einer Kommission von Menschenrechtsorganisationen gemacht. Sie gingen davon aus, dass die Soldaten wussten, dass es sich um Zivilisten handelte. Die Soldaten seien über den gewohnheitsmässigen Schmuggel der Dorfbewohner informiert gewesen und hätten ihn geduldet. Sie hätten auch gewusst, dass an dem Tag der Bombardierung schmuggelnde Dorfbewohner in der Gegend unterwegs waren.

Die Zeugen sagten ausserdem aus, die Menschen seien von Soldaten daran gehindert worden, in das Dorf Ortasu/Roboski zurückzukehren, nachdem sie die irakische Grenze überschritten hatten. Die Soldaten hätten ihnen befohlen, in dem Gebiet zu bleiben, das anschliessend bombardiert wurde.

Kein Zugang für Menschenrechtsorganisationen

Menschenrechtsorganisationen, die den Vorfall  untersuchen wollten, berichteten, ihre Delegierten seien von Soldaten daran gehindert worden, den Ort der Bombardierung zu besuchen. Als Begründung wurden «Sicherheitsbedenken» angeführt. Regierungen dürfen Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die ein Mandat haben, die Einhaltung von Menschenrechtsstandards zu beobachten, nicht daran hindern, Gebiete zu betreten, wenn der begründete Verdacht besteht, dass es dort zu Verletzungen von Menschenrechten gekommen ist. Amnesty International hat die türkischen Behörden um Aufklärung darüber gebeten, warum den Delegierten der Zugang verweigert wurde.

Die Art und Weise, wie die Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft geführt werden,  verstärkt die Befürchtung, dass die Umstände und Hintergründe der Bombardierung nicht aufgeklärt werden.

Über einen Monat nach der Bombardierung sollen die zuständigen Staatsanwälte noch immer keine Zeugenaussagen aufgenommen haben. Die Staatsanwälte müssen sicherstellen, dass Zeugenaussagen sorgfältig untersucht werden und dass Angehörige des Militärs zur Verantwortung gezogen werden, wenn festgestellt wird, dass sie  fahrlässig oder absichtlich Zivilisten angegriffen haben.

Keine Ermittlungen vor Ort

Ausserdem sollen die Staatsanwälte keine Ermittlungen am Tatort durchgeführt haben. Als Begründung dafür wurde «die Wut der örtlichen Bevölkerung, die sich in der Gegend versammelt hat und die Gefahr von terroristischen Aktivitäten» angeführt.  Diese Rechtfertigung erinnert an das Versäumnis einer sofortigen Untersuchung des Tatortes nach dem Tod von Ceylan Önkol, einem Mädchen, das im Jahr 2009 getötet wurde, als es in der Nähe ihres Elternhauses Vieh weidete. Es besteht der Verdacht, dass sie durch eine von den türkischen Sicherheitskräften abgefeuerte Mörsergranate getötet wurde. In diesem Fall sind die strafrechtlichen Ermittlungen noch immer nicht abgeschlossen, mehr als zwei Jahre nach dem Tod von Ceylan Önkol.

Ein weiterer Grund zur Besorgnis sind Berichte, wonach die Staatsanwälte Informationen über den Tatort ausschliesslich von militärischen Einheiten bezogen haben. Auch dies stellt eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Untersuchungen dar.

Amnesty International hat von den Behörden Aufklärung darüber gefordert, warum beschlossen wurde, die Ermittlungen geheim zu führen. Damit wird eine Verfolgung der Untersuchungen sowohl durch die Öffentlichkeit als auch durch die Anwälte der Familien der Opfer verhindert.