Taner Kılıç  © Amnesty International
Taner Kılıç © Amnesty International

Türkei Neue Justizfarce um Amnesty-Ehrenpräsident Taner Kılıç

22. Juni 2018
Obschon selbst die Untersuchungen der Polizei Taner Kılıç vollumfänglich entlasten, bleibt der Ehrenpräsident von Amnesty-Türkei in Untersuchungshaft. Dieser äusserst ungerechte Entscheid ist nur der jüngste Beleg dafür, dass von einer unabhängigen Justiz in der Türkei nichts mehr übrig geblieben ist.

Ein Gericht in Istanbul entschied am 21. Juni, dass Taner Kılıç mehr als ein Jahr nach seiner Verhaftung weiterhin in Untersuchungshaft verbleiben muss. Die nächste gerichtliche Anhörung wurde auf den 7. November 2018 angesetzt.

Der Entscheid erfolgte, obschon die Staatsanwaltschaft auch diesmal nicht die geringsten Belege für die von ihr erhobenen «Terror»-Vorwürfe vorbringen konnte. Vielmehr wurden dem Gericht zwei polizeiliche Gutachten vorgelegt, die Taner Kılıç vollumfänglich von der (ohnehin fragwürdigen) Hauptanschuldigung entlasteten, die Messenger-App ByLock auf seinem Mobiltelefon benutzt zu haben.

«An manchen Tagen ist es schwer, für die Menschenrechte zu kämpfen. Heute ist eine solcher Tag. Der Entscheid, Taner Kılıç in Untersuchungshaft zu behalten, ist absurd und entbehrt jeder Logik.»
Manon Schick, Geschäftsleiterin AI-Schweiz, war am Prozess dabei

Manon Schick, Geschäftsleiterin der Schweizer Amnesty-Sektion und Beobachterin der Gerichtsanhörung in Istanbul, sagte kurz nach dem Entscheid: «An manchen Tagen ist es schwer, für die Menschenrechte zu kämpfen. Heute ist eine solcher Tag. Mehr als ein Jahr ist Taner Kılıç nun ohne jeden Grund von seiner Familie getrennt. Der Entscheid, Taner Kılıç in Untersuchungshaft zu behalten, ist absurd und entbehrt jeder juristischen Logik. Diese Farce hat einmal mehr gezeigt,  dass die Justiz in der Türkei nur noch ein Instrument zur politischen Unterdrückung unabhängiger und kritischer Stimmen ist.»

«Es ist ein schwarzer Tag für die Justiz in der Türkei. Aber wir werden uns nicht abschrecken lassen. Wir werden uns noch entschiedener für die Freilassung Taner Kılıçs und der vielen anderen einsetzen, die in der Türkei allein wegen ihrer freien Meinungsäusserung hinter Gittern sitzen. Wir werden nicht aufhören zu kämpfen und wir werden dies mit noch grösserer Entschlossenheit tun», so Manon Schick.

Haltlose Vorwürfe

Die systematische Unterdrückung kritischer Stimmen in der Türkei macht auch vor Vertretern von unabhängigen internationalen Organisationen nicht Halt: Taner Kılıç, Ehrenvorsitzender von Amnesty International in der Türkei, wurde am 6. Juni 2017 verhaftet. Drei Tage später, am 9. Juni 2017, ordnete ein Gericht Untersuchungshaft gegen ihn an. Er wurde in ein Gefängnis in Izmir überstellt, in dem er bis heute festgehalten wird.

Das offensichtlich politisch motivierte Verfahren gegen Taner Kılıç soll erst am 7. November fortgesetzt werden. Mit ihm sind zehn weitere Menschenrechtsverteidiger angeklagt, die sich inzwischen auf freiem Fuss befinden, darunter auch die Direktorin der türkischen Amnesty-Sektion, İdil Eser. Allen Beschuldigten werden aufgrund ihres zivilgesellschaftlichen Engagements Unterstützung oder gar Mitgliedschaft in «terroristischen Organisationen» vorgeworfen. Dabei handelt es sich um völlig haltlose Vorwürfe, für die die Staatsanwaltschaft bisher keinerlei Beweise vorlegen konnte.

Polizei findet keine Spuren von ByLock

Taner Kılıç wird beschuldigt, die Messenger-App ByLock heruntergeladen und verwendet zu haben, die den türkischen Behörden zufolge auch von Mitgliedern der Gülen-Bewegung genutzt wurde. Vor wenigen Tagen wurde ein Polizeibericht zur forensischen Untersuchung von Taner Kılıçs Smartphone endlich vor Gericht eingereicht – fast ein Jahr nachdem das Telefon als Beweismittel beschlagnahmt wurde. Ein weiterer Polizeibericht wurde dem Gericht kurz vor der Anhörung am 21. Juni übergeben. Beide Polizeiberichte kommen – wie vier unabhängige forensische Untersuchungen zuvor – zum Ergebnis, dass es keinerlei Hinweise dafür gibt, dass ByLock auf dem Smartphone von Taner Kılıç installiert war.

Amnesty International ruft die türkischen Behörden auf, Taner Kılıç sofort freizulassen und alle Vorwürfe gegen ihn, İdil Eser sowie alle weiteren angeklagten MenschenrechtsverteidigerInnen fallenzulassen. Die Unterdrückung kritischer Stimmen in der Türkei muss beendet werden.