Am 5. Juli 2017 wurden zehn MenschenrechtsverteidigerInnen (die sogenannten«Istanbul 10») in einem Hotel auf der Insel Büyükada in Istanbul festgenommen, wo sie an einem routinemässigen Menschenrechtsworkshop teilnahmen.
Unter den Verhafteten befinden sich die frühere Direktorin İdil Eser, mehrere Mitglieder der türkischen Amnesty-Sektion sowie Aktivistinnen und Aktivisten für Frauenrechte und Gleichberechtigung. Sie sind mit absurden Vorwürfen im Zusammenhang mit «Terrorismus» konfrontiert, für die in den vergangenen zehn Anhörungen keinerlei glaubwürdige Beweise vorgelegt wurden.
Die Behörden warfen ihnen vor, an einem geheimen Treffen teilzunehmen. Acht der zehn AktivistInnen wurden aufgrund dieser Beschuldigungen in Untersuchungshaft genommen.
Einen Monat zuvor wurde Taner Kılıç, der damalige Vorstandsvorsitzende von Amnesty Türkei, in den frühen Morgenstunden des 6. Juni 2017 in seinem Haus in İzmir festgenommen. Drei Tage später wurde er unter dem Vorwurf in Untersuchungshaft genommen, Mitglied der Gülen-Bewegung zu sein, die von den türkischen Behörden als Terrororganisation bezeichnet wird.
Nach 99 Tagen Untersuchungshaft wurden die AktivistInnen von Büyükada, İdil Eser, Peter Steudtner, Günal Kurşun, Özlem Dalkıran, Veli Acu, Ali Gharavi, Nalan Erkem und İlknur Üstün bei der ersten Anhörung ihres Falls am 25. Oktober 2017 in Istanbul aus der Haft entlassen. Nach mehr als 400 Tagen in Haft, wurde schliesslich auch Taner Kılıç am 15. August 2018 aus der Untersuchungshaft entlassen.
Die Prozesse gegen Taner Kılıç und die als Istanbul 10 bekannt gewordenen MenschenrechtlerInnen wurden zusammengelegt und seither mehrmals vertagt.
Mehr zu Taner Kılıç und den weiteren Angeklagten hier
Der Fall hat weltweit für Aufsehen gesorgt und zu zahlreichen internationalen Solidaritätsbekundungen mit den elf MenschenrechtsverteidigerInnen geführt. Mehr als zwei Millionen Menschen haben die Petition unterschrieben, darunter unter anderem der Künstler Ai Weiwei und die Schauspielerin Whoopi Goldberg. Sie alle fordern die Freilassung und das Fallenlassen der absurden Anschuldigungen gefordert wird.
Weiter von Haft bedroht
Am 19. Februar 2020 kann das Gericht entscheiden, den Antrag des Staatsanwalts auf Schuldsprüche zu ignorieren und alle freizusprechen. Allerdings ist auch die Forderung des Staatsanwalts nach Freispruch für fünf der MenschenrechtlerInnen keine Garantie dafür, dass diese auch wirklich freigesprochen werden. Alle elf Angeklagten sind weiter von Schuldspruch und Haftstrafe bedroht.
Vier der elf MenschenrechtsverteidigerInnen sind AnwältInnen. Im Falle eines Schuldspruchs und einer Bestätigung im Berufungsverfahren würden sie ihre Lizenz verlieren und könnten nicht länger praktizieren.
Sollte es zu einer Verurteilung der MenschenrechtsverteidigerInnen kommen, wäre dies ein schwerer Schlag für die Betroffenen und für die unabhängige Zivilgesellschaft in der Türkei - selbst für den Fall, dass sie aufgrund der Zeit in Untersuchungshaft nicht wieder ins Gefängnis müssten.
Wie auch immer das Urteil ausfallen wird, es wird wahrscheinlich Rekurs erhoben. Das Risiko einer Verurteilung bleibt bestehen, bis alle elf vom Berufungsgericht freigesprochen werden. Dessen Urteilsspruch könnte Jahre nach der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts erfolgen.