Mitglieder von Amnesty fordern die Freilassung von Taner Kılıç, dem ehemaligen Präsident von Amnesty Türkei, sowie der zehn weiteren angeklagten MenschenrechtsverteidigerInnen.© AI Polen / Szymon Stepniak
Mitglieder von Amnesty fordern die Freilassung von Taner Kılıç, dem ehemaligen Präsident von Amnesty Türkei, sowie der zehn weiteren angeklagten MenschenrechtsverteidigerInnen. © AI Polen / Szymon Stepniak

Türkei Menschenrechtlern drohen bis zu 15 Jahre Haft

Medienmitteilung 18. Februar 2020, Bern – Medienkontakt
Im Prozess gegen elf Menschenrechtler, darunter mehrere Amnesty-Mitglieder sowie die ehemalige Direktorin und der Ehrenvorsitzende von Amnesty Türkei, soll am 19. Februar in Istanbul das Urteil gesprochen werden. Bei einem Schuldspruch drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft.

Die elf Aktivistinnen und Aktivisten waren im Sommer 2017 auf der Grundlage haltloser Terror-Anklagen festgenommen worden. Das Verfahren dauert nunmehr schon seit zweieinhalb Jahren an. Unter den Angeklagten befinden sich auch mehrere Mitglieder der türkischen Amnesty-Sektion sowie Taner Kılıç, der ehemalige Präsident von Amnesty Türkei, und Idil Eser, die ehemalige Direktorin der Sektion.

«Dieser Fall zeigt, dass die Türkei mittlerweile ein Land ist, in dem der Einsatz für die Freiheitsrechte anderer den Entzug der eigenen Freiheit mit sich bringen kann, und in dem die Verteidigung der Menschenrechte zunehmend kriminalisiert wird. Dieses Urteil ist eine Feuerprobe für das türkische Justizsystem. Wir fordern ein Ende dieser Ungerechtigkeit, die nun schon so lange andauert», so Marie Struthers, Direktorin für die Region Europa bei Amnesty International.

Kritische Stimmen zum Schweigen bringen

«Vom Moment der Festnahme an stand fest, dass es sich hier um eine politisch motivierte Strafverfolgung handelte.» Marie Struthers, Direktorin für die Region Europa bei Amnesty International.

«Vom Moment der Festnahme an stand fest, dass es sich hier um eine politisch motivierte Strafverfolgung handelte, die darauf abzielte, unabhängige zivilgesellschaftliche Stimmen in der Türkei zum Schweigen zu bringen. Die elf Angeklagten haben Monate im Gefängnis und Jahre vor Gericht verbracht, ohne dass stichhaltige Beweise für die gegen sie erhobenen Anklagen vorgelegt wurden. Alles andere als ein bedingungsloser Freispruch wäre vollkommen untragbar.»

Über zehn Anhörungen hinweg sind die Terroranschuldigungen gegen die elf Angeklagten wiederholt und unzweideutig widerlegt worden, unter anderem durch die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise. Der Versuch der Staatsanwaltschaft, legitime menschenrechtliche Aktivitäten als rechtswidrige Handlungen darzustellen, ist kläglich gescheitert. Das Gerichtsurteil muss dieser Tatsache Rechnung tragen.

Weltweite Solidarität

Seit 2017 haben sich weltweit mehr als zwei Millionen Menschen dem Ruf nach Gerechtigkeit für die elf Aktivistinnen und Aktivisten angeschlossen, darunter auch zahlreiche bekannte Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur wie etwa Ben Stiller, Whoopi Goldberg, Edward Snowden, Peter Gabriel, Sting, Ai Weiwei, Anish Kapoor, Catherine Deneuve und Angélique Kidjo.

Seit 2017 haben sich weltweit mehr als zwei Millionen Menschen dem Ruf nach Gerechtigkeit für die elf Aktivistinnen und Aktivisten angeschlossen.

In einem offenen Brief von 2017, als sich die elf Menschenrechtler noch in Haft befanden, brachten Dutzende bekannte Persönlichkeiten ihre Unterstützung zum Ausdruck: «Wenn diejenigen, die sich für die Menschenrechte engagieren, zum Schweigen gebracht werden, sind die Rechte von uns allen in Gefahr. Sie sind diejenigen, die sich normalerweise für uns stark machen. Jetzt müssen wir uns für sie einsetzen.»

Klima der Angst

Nach mehr als 14 Monaten im Gefängnis wurde Taner Kılıç im August 2018 gegen Kaution auf freien Fuss gesetzt. Acht weitere Aktivstinnen und Aktivisten befanden sich jeweils fast vier Monate lang in Haft, bevor sie im Oktober 2017 freigelassen wurden. Doch Tausende weitere Menschen sitzen infolge der harten Linie der türkischen Regierung gegen Andersdenkende nach wie vor im Gefängnis.

Seit dem Putschversuch im Jahr 2016 herrscht in der Türkei ein repressives Klima, in dem Menschenrechtler verstärkt ins Visier genommen werden. Das harte Durchgreifen der Regierung im Zuge des gescheiterten Putschversuchs äussert sich in nach wie vor anhaltenden repressiven Maßnahmen gegen die Zivilgesellschaft. So wurden bisher mehr als 1’300 NGOs und 180 Medieneinrichtungen geschlossen, und beinahe 130’000 Staatsbedienstete entlassen.

Bei der jüngsten Anhörung im November 2019 legte der Staatsanwalt seine abschliessende Stellungnahme vor und forderte einen Schuldspruch gegen Taner Kılıç wegen «Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation» und gegen Idil Eser, Özlem Dalkıran, Günal Kurşun, Veli Acu und Nejat Taştan wegen «vorsätzlicher und bereitwilliger Unterstützung einer terroristischen Organisation». Für Nalan Erkem, İlknur Üstün, Şeyhmus Özbekli, Ali Gharavi und Peter Steudtner forderte er Freisprüche.

«Dieses Urteil wird über den Gerichtssaal hinweg enorme Auswirkungen haben. Der Freispruch der elf Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler sollte den Anfang vom Ende der harten Linie gegen die Zivilgesellschaft einläuten und dazu führen, dass die Menschenrechte in der Türkei wieder umfassend respektiert werden», so Marie Struthers.

«Die internationale Gemeinschaft wird die Urteilsverkündung mit Interesse verfolgen. Alles andere als ein Freispruch wäre ein haarsträubender Indikator dafür, dass Wahrheit und Gerechtigkeit in der Türkei tatsächlich Fremdworte geworden sind.»

Bei der Anhörung in Istanbul werden hochrangige Vertreterinnen und Vertreter von Amnesty International anwesend sein, unter anderem: Kate Allen, Direktorin der britischen Amnesty-Sektion; John Peder Egenaes, Direktor von Amnesty Norwegen; Anna Lindenfors, Direktorin von Amnesty Schweden; Gabriele Stein, Vorstandssprecherin von Amnesty Deutschland; Stefanie Rinaldi, Präsidentin des Vorstands der schweizerischen Amnesty-Sektion und Yolanda Vega, Türkei-Koordinatorin für Amnesty Spanien.