Crisis Evidence Lab: Wie Amnesty Angriffe aus der Ferne verifiziert. Crisis Evidence Lab: Wie Amnesty Angriffe aus der Ferne verifiziert.

Ukraine – Crisis Evidence Lab Kriegsverbrechen digital aufdecken

Amnesty-Berichte stützen sich unter anderem auf verifizierte Videos, Fotos, Satellitenbilder und Berichte von Menschen und Organisationen in der Ukraine. Eine zentrale Rolle bei dieser Ferndokumentation von Menschenrechtsverletzungen spielt dabei das Crisis Evidence Lab.

Das Evidence Lab ist Teil des Krisenreaktionsprogramms von Amnesty International. Im digitalen Verifizierungsprozess kommen hier Open Source Software und menschliche Expertise zusammen: Expert*innen für die visuelle Auswertung von Fernerkundungdaten, Waffenanalyst*innen, Datenwissenschaftler*innen und Entwickler*innen können so die Geschichten derjenigen erzählen, die direkt von einem Konflikt betroffen sind.

Die Website des Evidence Lab bietet einen digitalen Raum, in dem bewährte Praktiken, neue Techniken, Ressourcen und Leitfäden ausgetauscht werden können. Das hilft den Ermittler*innen in Sachen Menschenrechte, die riesige Menge an Informationen auch effektiv nutzen zu können, die jeden Tag online geteilt werden.

Das Team des Evidence Lab stellt sicher, dass wir genaue Informationen aus Konfliktgebieten erhalten. Besonders in einem Gebiet wie der Ukraine, in dem es für viele Researcher*innen zu gefährlich ist, vor Ort Beweise zu sammeln, und in einer Zeit, in der Fehlinformationen und Desinformation weit verbreitet sind.

Seit Beginn der russischen Invasion arbeitet das Evidence Lab daran, audiovisuelles Beweismaterial aus der Ukraine zu sammeln, das Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht dokumentiert. Dazu gehören wahllose Angriffe auf zivile Gebiete, der Einsatz von verbotenen Waffen wie Streumunition oder Angriffe auf zu schützende Orte wie Krankenhäuser und Schulen. So haben wir beispielsweise festgestellt, dass bei einem russischen Luftangriff mit Fliegerbomben Zivilpersonen in der ukrainischen Stadt Chernihiv getötet wurden, die gerade für Essen anstanden.

Wir erhalten Beweise aus einer Reihe von Quellen, darunter Berichte von Augenzeug*innen in der Ukraine sowie Videos und Fotos, die vor Ort aufgenommen wurden, sogenannte «nutzergenerierte Inhalte». Wir prüfen dann, ob es sich um das handelt, was es zu sein vorgibt, z. B. wo und wann das Video/Foto aufgenommen wurde und wer es aufgenommen hat. Dazu gleichen wir es mit Satellitenbildern und anderen öffentlich verfügbaren Informationen wie Wetterberichten und Strassendaten ab. Wir sehen uns zum Beispiel die Landschaft, Bäume, Gebäude, Strassen usw. auf den Bildern an und gleichen sie mit bodennahen Aufnahmen wie Strassenansichten oder Satellitenbildern ab, um den Standort zu überprüfen.

Mit der bei Amnesty vorhandenen Expertise zu Waffen können wir überprüfen, welche Waffen eingesetzt wurden, sei es anhand von Bildern der verwendeten Waffen oder anhand der Auswirkungen, die die Waffen hatten.

Auf der Website des internationalen Sekretariats findet sich eine Liste und eine Karte mit einer Übersicht über alle bisher dokumentierten Angriffe der russischen Armee, bei denen Zivilist*innen verletzt oder getötet wurden.

Mehr Informationen über die Arbeit des Evidence Lab im Magazin AMNESTY vom Dezember 2020, auf citizenevidence.org und in diesem Video

 

Warum ist diese Arbeit wichtig?

Angesichts von Kriegspropaganda, Desinformation und gefälschten Videos aus dem Krieg ist es von zentraler Bedeutung, dass unabhängige Organisationen wie Amnesty International Bilder und Berichte von Gräueltaten auf ihre Echtheit prüfen und durch Abgleich mit anderen Quellen verifizieren. So können wir verlässliche Aussagen über Verstösse gegen humanitäres Völkerrecht und Menschenrechtverletzungen treffen.

Die Arbeit des Evidence Lab ist ungemein wichtig, um Beweise für Kriegsverbrechen zu sammeln. Sie erstellen Dokumentationen, die in Zukunft verwendet werden können, um die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen und Verstösse gegen humanitäres Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen. Und das Evidence Lab erzählt damit auch die Geschichten der Menschen, die am unmittelbarsten von diesem Konflikt betroffen sind.

Wie geht das Evidence Lab genau vor?

Je nachdem, wonach sie suchen, setzen die Mitarbeiter*innen des Evidence Lab eine ganze Reihe von Überprüfungsmethoden ein. Einige Beispiele:

Chrono-Lokalisierung

Mit Hilfe der Chrono-Lokalisierung lässt sich bestätigen, wo und wann ein Video oder Foto aufgenommen wurde. Dies kann durch einen Abgleich des zu verifizierenden Materials mit Satellitenbildern, bodennahen Aufnahmen und anderen öffentlich zugänglichen Informationen erfolgen. Dabei wird überprüft, ob die auf den fraglichen Aufnahmen abgebildeten Landschaften, Bäume, Gebäude oder Strassen mit denen auf Vergleichsfotos oder aus anderen Bildquellen – wie beispielsweise von Google Street View – übereinstimmen.

Auch Wetterdaten werden daraufhin ausgewertet, ob sie mit den Bedingungen übereinstimmen, die zum Zeitpunkt der angeblichen Aufnahme des untersuchten Fotos oder Videos am fraglichen Ort herrschten.

Fernerkundung

Dabei nutzen die Expert*innen Satellitenbilder und Bilder anderer Darstellungsmethoden wie Radar und LiDAR, um nach verräterischen Anzeichen von Angriffen wie zerstörten Gebäuden, Kratern, Trümmern, Truppen- oder Waffenbewegungen zu suchen. Die Vogelperspektive ist ausserdem wichtig, um die Dynamik von Angriffen verstehen und so auch potenzielle Ziele ermitteln zu können.

Identifizierung von Waffen

Die Waffenexpert*innen von Amnesty International analysieren Fotos, Videos und andere Daten, um zu überprüfen, welche Waffen eingesetzt werden und ob deren Einsatz zu Menschenrechtsverletzungen führt. Dazu gehört beispielsweise die Untersuchung der Form eines von einer Rakete hinterlassenen Kraters, die Auswertung von Filmmaterial eines Luftangriffs oder die Untersuchung von Fotos nach abgebildeten Waffenresten. Ausserdem analysieren die Expert*innen auch eventuell abgebildete Handelsdaten der Waffen, wie eingravierte Modell- oder Artikelnummern, um so Rückschlüsse auf deren Herkunft ziehen zu können.

Augenzeug*innen

Das Evidence Lab arbeitet auch mit Expert*innen zusammen, die Interviews mit Augenzeug*innen von Angriffen durchführen. Diese Zeugenaussagen können digitale Belege untermauern.

Archivierung und Dokumentation

Das Evidence Lab katalogisiert und archiviert alle Originalbelege und dokumentiert die angewendeten Überprüfungs- und Analysemethoden, um die Rechenschaftspflicht und weitere juristische Massgaben zu erfüllen. Wir wollen die Verantwortlichen bei der Justiz unterstützen und unsere Beweise zur Verfügung stellen, um sicherzustellen, dass Täter*innen auch zur Rechenschaft gezogen werden.