Ukrainische Lehrpersonen werden in den von Russland besetzten Gebieten gezwungen, einen Lehrplan voller russischer Staatspropaganda zu unterrichten. © Amnesty International
Ukrainische Lehrpersonen werden in den von Russland besetzten Gebieten gezwungen, einen Lehrplan voller russischer Staatspropaganda zu unterrichten. © Amnesty International

Ukraine/Russland Drohungen und Gewalt gegen Lehrpersonen in besetzten Gebieten

7. Oktober 2024
Ukrainische Lehrer*innen sind Einschüchterungen und Gewalt ausgesetzt, um ihre Kooperation mit den russischen Besatzungsbehörden zu erzwingen. Verweigern sie die Zusammenarbeit, bleibt ihnen meist nur die Flucht in ukrainisch kontrollierte Gebiete.

Ukrainische Lehrer*innen in den von Russland besetzten Gebieten stehen vor einer schmerzhaften Entscheidung: Entweder müssen sie aus ihrer Heimat fliehen oder sie werden gezwungen einen Lehrplan zu unterrichten, der darauf abzielt, Schüler*innen mit Propaganda des russischen Staates zu indoktrinieren. Die russischen Behörden wollen ihre Kontrolle über die besetzten Gebiete weiter konsolidieren und haben die Wiedereröffnung von Schulen vorangetrieben. Um die Kooperation der verbliebenen Lehrer*innen sicherzustellen, haben die Behörden emotionale Erpressung, Drohungen, Hausdurchsuchungen und, wo das nicht zum Ziel führte, physische Gewalt angewendet.

Lisa Salza, Expertin für Europa und Zentralasien bei Amnesty Schweiz, sagt dazu: «Ukrainische Lehrpersonen haben keine Möglichkeit, in den russisch besetzten Gebieten zu bleiben, ohne dabei den russischen Lehrplan anwenden zu müssen. Wer sich dem verweigert, dem drohen psychische und physische Misshandlungen, bis hin zu Entführungen. Viele Lehrer*innen sehen sich daher gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wir forden von den zuständigen Gremien eine Untersuchung dieser Menschenrechtsverletzungen durch die russischen Besatzungsbehörden. Internationale Organisationen und Expert*innen müssen sich ebenfalls einbringen und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.»


Verfolgung und Bestrafung ukrainischer Lehrpersonen 

Angehörige der russischen Behörden in den besetzten Gebieten haben proaktiv ukrainische Lehrer*innen zu Hause aufgesucht und in einigen Fällen ihre Häuser durchsucht. Lehrer*innen sahen sich gezwungen, ihren Beruf zu verbergen und ukrainische Lehrbücher zu verstecken.

Lehrer*innen, die ihren Beruf aufgegeben haben, um nicht mit den Besatzungsbehörden zu kooperieren, wurden ebenfalls zu Hause aufgesucht. Vertreter*innen der russischen Behörden bedrohten sie dabei mit dem Entzug von Sozialleistungen und medizinischer Versorgung sowie der Aufnahme in eine sogenannte ‚schwarze Liste‘. Die auf dieser Liste aufgeführten Personen dürfen die besetzten Gebiete nicht verlassen. Wenn diese Massnahmen nicht ausreichten, um die Kooperation der Lehrpersonen zu erzwingen, haben die russischen Besatzungsbehörden Gewalt ausgeübt und Lehrpersonen entführt.

Amnesty International hat mit dem Opfer einer solchen Entführung gesprochen. Der 44-jährige Schuldirektor aus dem Oblast Saporischschja wurde über mehrere Stunden festgehalten, geschlagen und beschimpft. Verschiedene Quellen aus den russisch kontrollierten Gebieten haben Amnesty International bestätigt, dass solche Entführungen keine Seltenheit darstellen.

Hintergrund

Amnesty International hat zwischen Mai und September 27 Lehrer*innen und Direktor*innen aus den Regionen Charkiw, Mykolajiw, Saporischschja und Cherson interviewt. Alle interviewten Personen weigerten sich, mit den russischen Behörden zu kooperieren und mussten schliesslich in den von der Ukraine kontrollierten Teil des Landes fliehen.

Amnesty International arbeitet seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine an der Dokumentation von Kriegsverbrechen und anderen Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht. Alle bisher veröffentlichten Ergebnisse von Amnesty International finden Sie hier.