Dem Landminen-Monitor 2023 zufolge sind in der Ukraine 2022 insgesamt 608 Menschen aufgrund von Landminen gestorben, mehr als in jedem anderen Land der Welt mit Ausnahme von Syrien. Die meisten Todesopfer sind dabei auf Antipersonenminen zurückzuführen. Es handelt sich dabei um unterschiedslos wirkende Waffen, die als solche im humanitären Völkerrecht verboten sind.
«Antipersonenminen stellen eine andauernde tödliche Bedrohung für die Zivilbevölkerung dar. In jeder ehemals von Russland besetzten Region der Ukraine haben wir Beweise dafür gefunden, dass Zivilpersonen durch Antipersonenminen der russischen Streitkräfte getötet und verletzt wurden. Einige wurden absichtlich in Wohnhäusern platziert, um Menschen zu verstümmeln und zu töten. Bei allen Vorfällen muss untersucht werden, ob ein Kriegsverbrechen vorliegt. In der Ukraine leisten Minenräumer*innen jeden Tag mühsame und gefährliche Arbeit, um die Gefahr durch Landminen zu beseitigen. Das grösste Hindernis dabei ist die anhaltende Aggression Russlands», sagt Patrick Thompson, Experte für die Ukraine bei Amnesty International.
Antipersonenminen werden in der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs 2022 und in geringerem Umfang seit 2014 regelmässig eingesetzt. Als die Menschen nach dem russischen Rückzug aus den Oblasten Mykolajiw, Cherson und Charkiw Ende 2022 in ihre Häuser zurückgekehrt sind, ist die Zahl der zivilen Opfer von Antipersonenminen deutlich angestiegen.
Im März 2022 haben die russischen Streitkräfte Oleksandr* (Name geändert) und seine Mutter aus ihrer Wohnung in Snihuriwka in der Region Mykolajiw vertrieben. Eine russische Militäreinheit hatte den gesamten Wohnblock übernommen, bis sie nach heftigen Kämpfen im November 2022 zum Rückzug gezwungen wurde. Oleksandr ist in den Wohnblock zurückgekehrt, um zu prüfen, wie stark er beschädigt wurde. Im Keller trat er auf eine getarnte PFM-1-Antipersonenmine, die unter Holzdielen platziert wurde. Die Mine explodierte, Oleksandr ist gestürzt und dabei auf weitere getarnte Minen gefallen. Dabei hat er sein linkes Bein und seinen linken Arm verloren.
Seine Geschichte ist kein Einzelfall. Expert*innen von Amnesty International haben weitere Vorfälle dokumentiert, bei denen russische Streitkräfte Antipersonenminen in Wohngebieten der Verwaltungsregionen Cherson und Charkiw platziert haben.
Die Ukraine hat sich verpflichtet, den Einsatz von Antipersonenminen durch die eigenen Streitkräfte zu untersuchen, doch ist nicht klar, ob eine solche Untersuchung eingeleitet wurde.
Antipersonenminen, die heute platziert werden, werden langfristig Leben und Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung in der Ukraine zerstören. Die internationale Gemeinschaft muss nachhaltige finanzielle und technische Hilfe zusagen, um diese Gefahr zu beseitigen.
«Alle Länder müssen das weltweite Verbot des Einsatzes, der Herstellung, der Lagerung und der Weitergabe von Antipersonenminen einhalten. Es muss Schluss sein mit dem Einsatz solcher unterschiedslos wirkender Waffen», sagt Patrick Thompson.