Anti-Kriegs-Graffiti in Sankt Petersburg, Juni 2022.	© Amnesty International
Anti-Kriegs-Graffiti in Sankt Petersburg, Juni 2022. © Amnesty International

Ukraine/Russland Russland muss für seine seit 2014 begangenen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden

23. Februar 2024
Anlässlich des zweiten Jahrestages der russischen Grossinvasion in die Ukraine erklärte Amnesty International, dass es keine Gerechtigkeit für die ukrainische Bevölkerung geben kann, solange Russland nicht für alle Verbrechen seit seiner militärischen Intervention im Jahr 2014 zur Rechenschaft gezogen wird.

Seit der Besetzung der ukrainischen Krim-Halbinsel durch Russland im Jahr 2014, hat Amnesty International zahlreiche Gräueltaten dokumentiert. Darunter gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und wichtige zivile Infrastrukturen, Verschwindenlassen, aussergerichtliche Hinrichtungen, Folter, rechtswidrige Freiheitsberaubung, Verschleppung von Zivilpersonen und die Misshandlung von Kriegsgefangenen. 

«Noch während der Krieg wütet, müssen die Beweise für jede einzelne Gräueltat so gut wie möglich gesichert werden. Diejenigen, die für Völkerrechtserbrechen verantwortlich sind, müssen vor Gericht kommen, egal wie lange das dauert. Solche Straftaten verjähren nicht», sagte Denis Krivosheev, stellvertretender Programmdirektor für Europa und Zentralasien bei Amnesty International.

Ein jahrzehntelanger bewaffneter Konflikt

Im Februar 2014 entsandte Russland seine Truppen auf die ukrainische Krim-Halbinsel, gab aber nie zu, dass seine Streitkräfte im selben Jahr auch in der Ostukraine einmarschierten. Die von Amnesty International aus dem Jahr 2014 veröffentlichten Beweise, einschliesslich der Untersuchung von Satellitenbildern und Augenzeugenberichten, bestätigten jedoch, dass dies der Fall war. Es handelt sich daher um einen jahrzehntelangen internationalen bewaffneten Konflikt. Überall in der Ukraine leiden die Menschen unter den Folgen des Krieges und der begangenen Menschenrechtsverletzungen. Dies gilt insbesondere für die Menschen in den Regionen Donezk und Luhansk. Zwischen 2014 und 2021 wurden mehr als 10'000 ukrainische Zivilpersonen getötet oder verletzt, wobei im ersten Jahr der Kämpfe zahlreiche Verstösse gegen das Kriegsrecht gemeldet wurden. Hunderttausende wurden aus der Ostukraine vertrieben, nachdem von Russland unterstützte bewaffnete Gruppen in Donezk und Luhansk Volksrepubliken» ausgerufen hatten. Viele Menschen sind auch geblieben.

«In Donezk hatte ich ein Dach über dem Kopf, einen Job, der mich ernährte, und meine Eltern, die mich und das Baby unterstützten. Es war sehr schwer mit anzusehen, was mit meiner Heimat geschah ... Aber 2022, als der Druck, sich einen russischen Pass ausstellen zu lassen, und die Einmischung in die Schule zu gross wurden, beschloss ich, dass es Zeit war zu gehen», sagte Olha* aus Donezk.

Von dem Moment an, als die von Russland unterstützten bewaffneten Gruppen die Kontrolle über Donezk und Luhansk übernahmen, waren in den Regionen Verschleppungen, Folter und in vielen Fällen die Tötung von Zivilpersonen an der Tagesordnung. Einwohner*innen von Slowjansk berichteten Amnesty International, dass 2014 eine bewaffnete Gruppe einen örtlichen Pastor, zwei seiner Söhne und zwei Kirchenbesucher*innen entführt und 50'000 US-Dollar Lösegeld gefordert hatten. Bis die Gemeinde das Geld gesammelt hatte, waren die fünf Gefangenen bereits getötet worden.

Solche Gräueltaten wurden von der brutalen Unterdrückung abweichender Meinungen begleitet, die sich gegen Medienschaffende, Wissenschaftler*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Aktivist*innen richtete.

Die Menschenrechtskatastrophe weitet sich aus

Mit Russlands gross angelegter Invasion vor zwei Jahren – einem Akt der Aggression, der ein Verbrechen unter dem Völkerrecht darstellt – weitete sich die Menschenrechtskatastrophe auf das ganze Land aus.

«Diejenigen, die 2014 überlebt haben, sagten uns: 'Das ist Krieg, ihr müsst evakuieren.' Jetzt weiss ich, dass sie Recht hatten. Und erst jetzt weiss ich, wie sich das anfühlt: Die Heimat zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen. Und sie mussten das zweimal erleben», sagte Nataliia* aus Chernihiv in der Nordukraine.

Die von Russland in der Region Kiew begangenen Kriegsverbrechen in den ersten Tagen der gross angelegten Invasion, zeigen eindeutig ein Muster von Folter und rechtswidrigen Tötungen von Zivilpersonen, bei denen es sich zumeist um aussergerichtliche Hinrichtungen zu handeln scheint.

«Ich sah Oleh in einer Blutlache auf dem Boden liegen. [...] Ein Teil seines Kopfes fehlte und er blutete stark. Ich schrie und die Soldaten richteten ihre Gewehre auf mich. Daraufhin rief ich ihnen zu: "Erschiesst mich auch". Die Soldaten zwangen uns, sofort zu gehen. Wir durften erst zurückkommen, nachdem sie sich aus Bucha zurückgezogen hatten. Olehs Leiche blieb dort auf der Strasse liegen», erinnert sich Iryna* an die Tötung ihres Mannes durch russische Soldaten im März 2022.

«Wir müssen sicherstellen, dass die Personen, die für völkerrechtliche Verbrechen verantwortlich sind, in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden. Es ist von grösster Wichtigkeit, dass die ukrainische Bevölkerung Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die verheerenden Auswirkungen erhält, die dieser Krieg in den letzten zehn Jahren auf die Menschen, das Land, die Infrastruktur und die Wirtschaft hatte und immer noch hat», sagte Denis Krivosheev.

*Namen zum Schutz der Identität geändert