Organisationen, die gegen die neuen Bestimmungen verstossen, könnten mit Geldstrafen belegt werden und müssten unter Umständen sogar mit einer temporären Schliessung oder mit ihrer Auflösung rechnen. Das vom Parlament vorgeschlagene Gesetzespaket sieht vor, dass NGOs, die die «Migration fördern», künftig eine staatliche Sicherheitsfreigabe und eine Genehmigung benötigen.
«Die kaum verhohlenen Versuche, bestimmte NGOs zu stigmatisieren, sind nun in einen Generalangriff auf Organisationen übergegangen, die in Ungarn unerlässliche Arbeit leisten, darunter auch Amnesty International», so die Einschätzung von Gauri Van Gulik, Europa-Expertin bei Amnesty International.
«Diese Gesetzesvorlage würde der Regierung einen Blankoscheck ausstellen, um NGOs unter den fadenscheinigsten Vorwänden ins Fadenkreuz zu nehmen. In Wirklichkeit haben diese Pläne nichts mit der Gewährleistung der nationalen Sicherheit oder dem Schutz der Grenzen zu tun. Vielmehr sollen damit diejenigen, die Menschen in Not helfen und kritische Ansichten äussern, aus dem Verkehr gezogen werden.»
Unter diesen Gesetzesbestimmungen würde die ungarische Regierung solche NGOs «identifizieren», die ihrer Ansicht nach «Migration fördern». Diese Organisationen müssten dann zur Ausübung ihrer Tätigkeiten die Genehmigung des Innenministeriums einholen. Betroffen wären NGOs, die Kampagnenarbeit leisten, «Gerichte beeinflussen», Informationsmaterialien erstellen, Netzwerke aufbauen und Ehrenamtliche mit der Absicht rekrutieren, die Einreise und den Aufenthalt von Personen, die um internationalen Schutz nachsuchen, zu finanzieren, organisieren oder anderweitig zu unterstützen. Das Innenministerium würde dann die nationalen Sicherheitsdienste kontaktieren, um eine staatliche Sicherheitsfreigabe zu erwirken. Insgesamt kann dieses Verfahren bis zu neun Monate in Anspruch nehmen.
Das vorgeschlagene Gesetzespaket würde zudem bedeuten, dass die betroffenen Organisationen auf alle ausländischen Finanzmittel, die vermeintlich der «Förderung der Migration» dienen, eine Steuerleistung in Höhe von 25 Prozent erbringen müssten. Tun sie dies nicht, so müssen sie mit astronomischen Geldstrafen, dem Bankrott oder gar ihrer Auflösung rechnen.
Der Gesetzesvorschlag läuft den völkerrechtlichen Verpflichtungen Ungarns zuwider, die Rechte auf Vereinigungsfreiheit, freie Meinungsäusserung und Freizügigkeit zu gewährleisten.
«Wir fordern die ungarische Regierung auf, den Gesetzentwurf zurückzunehmen. Zudem muss die EU-Spitze, die bisher nur untätig zugesehen hat, wie Ungarn eine rote Linie nach der anderen übertreten hat, endlich konkrete Massnahmen ergreifen, um diesem Angriff auf die Zivilgesellschaft Einhalt zu gebieten», so Gauri van Gulik.
«Wir werden auf allen Ebenen gegen dieses diskriminierende und zerstörerische Gesetz ankämpfen: auf der Strasse ebenso wie in den Gerichten, in Ungarn ebenso wie jenseits der ungarischen Grenzen.»
Hintergrund
Bisher ist noch nicht bekannt, ob das Gesetz auf normalem Wege oder im Eilverfahren durchgebracht werden soll.
Amnesty International wird auf ihrer Website nähere Informationen veröffentlichen, sobald diese bekannt werden.
Der Gesetzentwurf definiert die betroffenen Organisationen wie folgt (inoffizielle Übersetzung): «Gemäss dieser Bestimmungen gelten solche Vereinigungen und Stiftungen als Organisationen zur Förderung der Migration, die in Ungarn registriert sind und die Einreise bzw. den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, die um internationalen Schutz nachsuchen und aus einem sicheren Drittstaat kommen, finanzieren, organisieren oder anderweitig unterstützen.»
Da einige Bestimmungen des Gesetzentwurfs die nationale Sicherheit betreffen, muss das Parlament ihn mit einer Zweidrittelmehrheit annehmen.
Sollte eine Organisation nicht die nötigen Genehmigungen erhalten und ihre Arbeit dennoch fortsetzen, dann könnten ihr diese drei verfahrensrechtlichen Schritte drohen:
- Aufforderung zur Einhaltung der Vorschriften und Einstellung der nicht genehmigten Aktivitäten, während die Steuernummer der Organisation kurzfristig unwirksam gemacht wird;
- Geldstrafe von bis zu 5800 Euro pro Zuwiderhandlung;
- Wird die Geldstrafe nicht beglichen, kann die Organisation per Gerichtsbeschluss aufgelöst werden.
Bereits im Juni 2017 trat in Ungarn ein «Gesetz über die Transparenz von aus dem Ausland finanzierten Organisationen» in Kraft. Unter diesem Gesetz müssen Organisationen, die Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, sich bei den Behörden registrieren lassen. Bei Zuwiderhandlung drohen ihnen Geldstrafen und strafrechtliche Sanktionen. Mehrere NGOs – darunter auch die ungarische Sektion von Amnesty International – kündigten damals an, sich diesen Bestimmungen nicht zu unterwerfen.