Weissrussland: Interview mit der Mutter eines Hingerichteten «Sie folterten mein Kind, und jetzt mich »

Dieser Bericht wurde publiziert in: The Wire, März 2013
Lubou Kavalyoua bekam am 17. März 2012 vom Obersten Gerichtshof einen Brief, mit der Mitteilung, ihr Sohn sei hingerichtet worden. Sie war von der Hinrichtung vorab nicht informiert worden. Im Gespräch mit Amnesty spricht sie über ihren Sohn, ihre Suche nach seinem Grab und ihren Kampf gegen die Todesstrafe.

foto u Uladzslau Kavalyou, 23-jährig © Lubou Kavalyoua.

Lubou Kavalyoua’s Sohn, Uladzslau Kavalyou − genannt Ulad – war in Zusammenhang mit einem Bombenattentat in Weissrussland in April 2011 verhaftet worden. Nach einem unfairen Prozess wurde er im November 2011 zum Tode verurteilt. Der 26jährige, der seinen Anwalt nur drei Mal während des gesamten Prozesses gesehen hatte, wurde zu einem Geständnis gezwungen. Obwohl er diese später widerrufen hat und obwohl es keine forensischen Beweise gab, die ihn in Zusammenhang mit der Explosion gebracht hätten, passierte seine Strafe den Obersten Gerichtshof ohne Chance auf Berufung.

Wie war Ihr Sohn?

Ulad war ein fröhlicher, aktiver Junge, und er war schüchtern. Er liebte Musik. Er hat immer gelesen. Psychologie hat ihn interessiert. Das hat ihm ein wenig im Gefängnis geholfen, denn es war sehr schwer es dort auszuhalten. Er war sehr gut zu seinen Freunden und seine Freundschaften hielten Jahre. Jetzt besuchen mich seine Freunde, nicht sehr oft, aber sie versuchen, mich zu unterstützen. Es geht mir besser, wenn sie da sind.

Erzählen Sie uns, was ihm passiert ist

Ich erfuhr von seiner Verhaftung, als Polizeibeamte eines Nachts mit einem Durchsuchungsbefahl kamen. Sie gaben uns keine Auskunft darüber, warum sie unsere Wohnung durchsuchten oder warum Ulad verhaftet worden war. Als ein Nachbar die Polizisten fragte, was los wäre, sagte man ihm, Ulad habe sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden. Mehr sagten sie nicht.

Während des Prozesses gingen jeden Tag Menschen ins Gericht und waren sehr beunruhigt, von dem, was sie dort beobachteten. Sie kritisieren das Urteil noch heute. Ich hätte darauf gefasst sein müssen, aber ich habe immer gehofft.  Ich kann mich nicht mehr erinnern, was passierte als das Urteil gesprochen wurde. Ich weiss nicht einmal mehr, was Ulad mir mitteilen wollte. Andere Leute sagten mir, er habe signalisiert: «Mutter, weine nicht!»

Wie haben Sie es erfahren, dass er hingerichtet worden war?

Am 13., 14. und 15. März versuchte sein Anwalt ihn zu sehen und wurde abgewiesen. Mein Herz hat mir nicht gesagt, dass es Ulad nicht mehr gibt – ich hab nichts gefühlt. Erst als ich den Brief vom Obersten Gerichtshof erhielt, hab ich verstanden.

Was haben Sie unternommen, um herauszufinden, wo er begraben liegt?

Wir baten Präsidenten Lukashenka zu verfügen, dass die Körper der Hingerichteten ihren Angehörigen übergeben werden, oder dass ihnen zumindest mitgeteilt wird, wo sie begraben sind. Es gibt doch keinen Grund den Verwandten den Leichnam nicht zu übergeben oder ihnen den Ort der Bestattung nicht bekanntzugeben. Lukashenka kann uns zumindest mitteilen, wo Ulads Grab ist.

Wir haben bei den Behörden nachgefragt, aber sie konnten uns nichts sagen. Ich glaube, sie selbst wissen nicht, woher das Gesetz stammt, dass die Körper den Familien nicht übergeben werden und ihnen auch der Bestattungsort nicht  bekanntgegeben wird. Das ist Folter für eine Mutter. Sie folterten mein Kind, um eine Aussage zu erhalten, und jetzt foltern sie mich.

Was hat Sie bewogen gegen Todesstrafe aktiv zu werden?

Am Anfang war es die Angst. Ich habe erlebt, wie Beweise zustande kommen, und dass eine Aussage als Beweis gilt, egal wie sie erzwungen wird.

Ich weiss nicht, ob wir Erfolg haben werden, aber ich denke, dass wir es mit Hilfe der Gesellschaft, der Menschen, schaffen können. Es ist möglich, die Gesetzgebung zu ändern und die Todesstrafe abzuschaffen.

Mehr als 400 Personen sind in den vergangenen 20 Jahren in Weissrussland hingerichtet worden: Niemand spricht darüber. Niemand sagt etwas, und die Gefangenen werden erschossen. Jeder sollte darüber erfahren.