«Mobiltelefone sind wie Polizisten in der Westentasche»: Strassenszene in Minsk, Juni 2016. © Max Sarychau
«Mobiltelefone sind wie Polizisten in der Westentasche»: Strassenszene in Minsk, Juni 2016. © Max Sarychau

Weissrussland Überwachung erstickt Meinungsäusserungsfreiheit

7. Juli 2016
Österreichische, türkische und andere Telekommunikations-Unternehmen ermöglichen der Regierung in Weissrussland (Belarus), ihre Bürgerinnen und Bürger auszuspionieren. Die Behörden verwenden die Telefonnetze von einigen der weltweit grössten Kommunikationsunternehmen, um die freie Meinungsäusserung zu ersticken.

Der am 7. Juni von Amnesty International veröffentlichte Bericht: «It’s enough for people to feel it exists: Civil society, secrecy and surveillance in Belarus» dokumentiert, wie die weitreichende und unkontrollierte Überwachung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und AktivistInnen schwächt. Es stellt bereits ein Risiko dar, telefonisch ein Treffen zu verabreden.

«In einem Land, in dem man für Kritik am Präsidenten verhaftet werden kann, macht allein die Möglichkeit, von Behörden ausspioniert zu werden, die Arbeit von NGOs und AktivistInnen so gut wie unmöglich», sagte Joshua Franco, Experte für Technologie und Menschenrechte bei Amnesty International.

Telekom-Unternehmen, darunter auch solche im Besitz von Telekom Austria und Turkcell, erlauben dies und gestatten damit der Regierung nahezu unbegrenzten Zugriff auf die Kommunikation ihrer Kundinnen und Kunden und deren Daten.

«Unternehmen, die in Weissrussland arbeiten, müssen den Behörden Zugriff auf ihre Kundendaten gewähren. Wenn der Geheimdienst jemanden ausspionieren will, braucht er keinen Vollstreckungsbefehl und muss das Unternehmen nicht um Zugang zu den Daten bitten», sagte Joshua Franco.

«Die Zukunft der Meinungsfreiheit im Online-Zeitalter hängt wesentlich davon ab, ob sich Telekommunikationsunternehmen notfalls auch gegen repressive Regierungen stellen und den Schutz der Privatsphäre und der freien Meinungsäusserung ernst nehmen, oder ob sie sich des Gewinnes wegen wegducken.»

«Mobiltelefone sind wie Polizisten in der Westentasche»

Der Bericht basiert auf Interviews mit mehr als 50 Menschenrechtsaktivisten, Journalistinnen, Rechtsanwälten, Mitgliedern der politischen Opposition, Technologie-Expertinnen in Belarus und im Exil. Die Interviews wurden zwischen August 2015 und Mai 2016 durchgeführt. Er zeigt, welche Auswirkungen die Angst vor Überwachung der Privatsphäre, auf die freie Meinungsäusserung, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und auf die Zivilgesellschaft hat.

Einfachste administrative Vorgänge, wie Telefonate oder Anträge zur finanziellen Unterstützung einer Organisation sind mit Risiken verbunden. Aktivistinnen befürchten, dass ihre persönlichen oder finanziellen Daten verwendet werden könnten, um sie zu verfolgen, zu diskreditieren oder zu erpressen.

Aktivisten berichteten Amnesty International, mit welchen Tricks sie sich in einem Klima der totalen Überwachung schützen müssen. Ein unabhängiger Journalist, der seine Identität geheim halten möchte, erzählt: «Die meisten Menschen haben Angst, offen am Telefon zu sprechen. Diese Angst ist ein Teil Ihrer Einstellung geworden. Menschen übernehmen von Anfang an diese Haltung: alles ist schlecht, ich kann es nicht beeinflussen oder steuern.»

Internationale Telekomunternehmen verletzen Menschenrechtsstandards

Amnesty International geht davon aus, dass die involvierten Telekommunikations-Unternehmen etablierte Standards für Wirtschaft und Menschenrechte verletzen. Das Leitbild der Vereinten Nationen für Responsible Business stellt klar, dass nationale Gesetze nicht dazu verwendet werden dürfen, um Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen.

Amnesty International fordert die Behörden in Belarus auf, ein System der Checks und Balances zu etablieren und die Überwachungspraktiken internationaler Standards anzugleichen.

Gleichzeitig fordert Amnesty International die Telekommunikations-Unternehmen auf, die fragwürdigen Gesetze in Belarus zu hinterfragen, die sie davon abhalten, die Privatsphäre der Kunden zu schützen. Ausserdem sollen die Unternehmen ihre Kunden wenigsten darüber informieren, dass ihre Daten für die Behörden jederzeit abrufbar sind.